Luisa ist in ihren mittleren Jahren, die Kinder sind schon groß und aus dem Haus. Ihr Mann zieht seine Kumpels mittlerweile vor, und das nach all den gemeinsamen Jahren mit ihr. Diese Tatsache interessiert sie allerdings nur am Rande, sie sitzt mit ihm nur noch die restliche Zeit ab, wie sie es gesagt hat damals, bis das der Tod euch scheidet.
Dass ihre Kinder aus dem gemeinsamen Haus auszogen, hat sie allerdings wirklich verletzt. Plötzlich stand Luisa vor dem Nichts, sie hatte nichts mehr, um das sie sich kümmern, dass sie mit ihrer Liebe erdrücken konnte.
Gut das damals, etwa zur gleichen Zeit, das Haus gegenüber verkauft wurde. Ein seltsames Mädchen zog dort ein, das hat die Gemüter der ganzen Siedlung erregt.
Nur mit Luisa hat dieses Mädchen gesprochen, außer Hallo und Guten Tag sogar in ganzen Sätzen. Luisa hat sich mit ihrer ganzen Körperfülle einfach dem Mädchen aufgedrängt, es hatte gar keine Chance, dem schnellen und munteren Geplapper einer erst kürzlich verlassenen Mutter, zu entgehen.
An ihre Haustür gelehnt beobachtet Luisa das Besenschwingende Mädchen. Es hält den Kopf gesenkt, ihre langen, schwarzen Haare sind locker im Nacken zu einem Zopf zusammen gebunden. Sie ist klein und sehr schlank, fast schon dürr. Das schwarze, ärmellose T-Shirt liegt eng an ihrem Körper und unterstreicht ihre Figur nur noch, genau wie die enggeschnittene, ebenfalls schwarze Hose.
Die Haut ist sehr hell, ihr Gesicht schon fast weiß, den linken Arm ziert eine Tätowierung. Ein Tribal, es beginnt an ihrer Schulter und zieht sich über den gesamten Arm, bis fast zum Handgelenk hin. Die dicken, schwarzen Linien und Bögen stehen in einem starken Kontrast zu der hellen Haut, so fällt das Tattoo nur noch mehr ins Auge.
Luisa überlegt, ob es nicht gerade diese Tätowierung war, die damals die gesamte Siedlung gegen das Mädchen aufbrachte, oder war es eher die Tatsache, dass sie ganz alleine in ein großes Haus zog? Dass sie so merkwürdig war, so geheimnisvoll und niemand genaueres über sie wusste.
Luisa zuckt mit den Schultern und setzt ihre Körpermassen in Bewegung. Langsam geht sie über die kleine Straße auf das schöne Einfamilienhaus zu. Die Einfahrt ist nicht lang, trotzdem kehrt die junge Frau schon mindestens zehn Minuten auf ihr herum. Sie lässt sich Zeit dabei.
Vielleicht will sie ein Schwätzchen mit mir halten, überlegt sich Luisa, aber daraus wird nichts werden, heute habe ich dir etwas Interessantes zu erzählen. Heute will ich keine Neuigkeiten über deine Bücher, über deine Arbeit oder über dich wissen, heute habe ich dir etwas zu berichten.
Luisa lehnt sich auf den Zaun aus Gusseisen und blickt zu dem kehrenden Mädchen.
»Hallo, Vivien«, sagt sie lächelnd, »warum kehrst du heute selbst? Deine Putze macht das doch sonst?«
Vivien fegt unbeirrt weiter, sie murmelt nur:
»Die hat heute frei. Weiß auch nicht genau warum. Aber ich schätze, ich werde auch mal selbst sauber machen können.« Sie hebt den Blick und dunkle Augen sehen amüsiert in Luisas feistes Gesicht.
»Oder meinst du, es erregt die Gemüter der Nachbarschaft, wenn ich meine eigene Einfahrt kehre?«
Luisa legt den Kopf in den Nacken und lacht kurz gackernd wie ein Huhn.
»Alles was du tust, erregt die Gemüter unserer ach so feinen Nachbarn. Selbst wenn du ausatmest, wird darüber geredet.« Vivien lächelt schief und widmet sich erneut dem Schmutz ihrer Einfahrt.
Luisa kann es kaum erwarten, ihr die Neuigkeit zu erzählen, so fängt sie auch ohne Einleitung einfach an zu plappern.
»Hör mal, hast du schon den neuen Mieter aus dem Orangen gesehen?«, mit erwartungsvoll geweiteten Augen sieht sie Vivien gespannt an.
Das sogenannte orange Haus ist das einzige Mehrfamilienhaus in der Siedlung. Es hat vier Stockwerke und fünf Wohnungen. Es ist ganz in orange gestrichen und wird von allen nur als das Orange bezeichnet. Es steht nicht weit von ihren Häusern entfernt, gut sichtbar, an der Kreuzung.
Einige Zeit hat die oberste Wohnung leer gestanden, nun ist sie scheinbar wieder vermietet worden.
Vivien stellt das Kehren ein und sieht ihre Nachbarin an, sie runzelt leicht ihre Stirn.
»Nein, sollte ich das?«, fragt sie mit einem spöttischen Lächeln.
»Aber unbedingt, Mädchen. Er hat sich bei allen hier schon vorgestellt. Er war auch bei dir, ich habe es gesehen, er hat geklingelt. Du hast aber nicht aufgemacht.« Luisa schämt sich kein bisschen dafür, dass sie ihre Neugier so unumwunden zugibt.
Wiederum lächelt das schwarzhaarige Mädchen, arbeitet jedoch weiter.
»Ich hab’s gehört, hatte aber zu tun. Was wollte er denn?«
Verschwörerisch lehnt sich Luisa noch weiter über den Gartenzaun und flüstert:
»Er hat uns alle zu seiner Einweihungsparty eingeladen. Samstag in zwei Wochen, im Garten vom Orangen Das ist aber total unerheblich.« Luisa winkt ärgerlich ab.
» Ihn musst du dir ansehen. Ein Traum von einem Kerl, so was hab ich noch nicht gesehen. Wie für dich geschaffen, Mädchen.«
Vivien stützt sich auf ihrem Besen und schiebt düster die schön geschwungenen Brauen zusammen.
Sie hat zwar schon vor einiger Zeit aufgegeben sich über Luisa zu ärgern, aber über ihre Kupplungsversuche kann sie sich doch jedes Mal fürchterlich aufregen. Zumal Luisa genau über ihre Vergangenheit Bescheid weiß, über ihre Kindheit, was geschehen ist damals.
»Luisa«, sagt sie langsam, »lass das bitte sein. Du weißt genau, dass ich das nicht mag.«
Genervt verdreht Luisa ihre Augen nach oben.
»Ja, ja, ich weiß. Aber hier zählt das nicht. Der Typ ist so toll, so klasse, so … so … «
Sprachlos hält Luisa kurz inne, mit der Beschreibung eines gutaussehenden Mannes ist sie wirklich überfordert.
»Du weißt schon, wie ich das meine«, fährt sie fort.
»Adonis ist wahrscheinlich ein Dreckklumpen gegen ihn.« Vivien, noch auf ihren Besen gestützt, lacht kurz auf. Den Vergleich findet sie wirklich komisch.
Von ihrem Lachen angespornt, spricht Luisa rasch weiter.
»Er ist ungefähr in deinem Alter, schätze ich. Und du glaubst gar nicht, wie er aussieht, und so charmant. Mit einem Lächeln hat er die alte Bentke für sich eingenommen. Sogar die redet nur in den höchsten Tönen über ihn. Und du weißt, was das heißt, die zerreißt sich sogar über die Spatzen hier ihr Maul.«
Luisa holt kurz Luft, dabei wirkt sie, wie ein Vulkan, der jeden Moment ausbricht, alles an ihr bebt.
»Du musst ihn einfach kennen lernen. Er ist so ein unglaublicher Kerl, selbst ich würde ihn nicht von der Bettkante schubsen.« Vivien hebt amüsiert eine Augenbraue und Luisa holt lächelnd nochmals Luft.
»Wobei sich die Frage selbstverständlich nicht stellen würde, da er mich natürlich nicht in seinem Bett haben will, so nett und charmant er auch zu mir war«, schließt sie, nun breit grinsend.
Vivien schüttelt mit dem Kopf und beginnt erneut, die Einfahrt mit dem Besen zu bearbeiten.
Erstaunt reißt Luisa ihre Augen auf, sie kann Vivien nicht verstehen, warum interessiert sie sich überhaupt nicht für Männer, egal wie sie aussehen. Wobei der Typ die Krönung von allen ist, von allen Kerlen, die sie selbst in ihrem langen Leben schon zu Gesicht bekommen hat.
»Ach übrigens«, ergreift Luisa erneut das Wort, »er heißt Micki, kannst du dir das vorstellen, so ein klasse Kerl heißt wie eine Zeichentrickmaus«, abermals lacht Luisa gackernd.
Das Mädchen lächelt vor sich hin, sie verspürt keine Neugier auf diesen angeblich so tollen Typ. Auch weiß sie jetzt schon, dass sie nicht auf diese Einweihungsparty gehen wird. Sie nimmt grundsätzlich keine Einladungen an, eine Lebensmaxime von ihr.
Frustriert stöhnt Luisa laut auf.
»Oh, Vivien, interessiert dich der Typ denn kein bisschen? Bist du gar nicht neugierig, willst du nicht mehr wissen? Was er gesagt hat, oder was ich ihm erzählt habe? Gar nichts?«
Читать дальше