Warum sind Spezialisierungen wichtig? Als Betroffener ist man umso mehr in einem einseitigen Denk-, Gefühls- und Verhaltenskreislauf verstrickt, je spezieller und schwerwiegender ein psychischer Leidenszustand ist. Um hierbei helfen zu können, kann eine tiefere Spezialisierung eines Helfers nötig sein, damit dieser in der Lage ist, Hilfesuchende wirklich dort abzuholen, wo sie momentan stehen. Nicht-spezialisierte Helfer können das nicht immer, auch wenn sie ein gutes Grundverständnis haben.
Beispielsweise sind die Ursachen von Depressionen und Angststörungen oft sehr ähnlich, dennoch kann es sinnvoller sein, sich bei einer schweren Depression an einen Spezialisten für Depressionen zu wenden, und bei starken Ängsten eben an einen Spezialisten für Ängste.
Spezialisierungen sind in der Praxis jedoch nicht selbstverständlich. Manche Anbieter halten sich für universal-zuständig. Sie präsentieren ihre Leistungen für eine ganze Palette an psychischen Problemen oder pauschal für »jedes Leiden« oder »jede Lebenslage«. Typisch für solche Anbieter ist auch, dass sie nur eine einzige oder sehr wenige Methoden als Allheilmittel anpreisen. Das zeigt sich beispielsweise bei angeblichen Angstspezialisten, die kaum etwas anderes kennen (wollen) als die Konfrontation. Diese ist zwar bei Ängsten meistens sinnvoll, aber für sich allein oft nicht ausreichend.
Wer spezialisiert ist gibt dies meistens auf der Homepage, in Inseraten, Flyern etc. bekannt. Auch auf Such-Portalen im Internet kann man bei der Detailsuche Spezialisierungen angeben. Ansonsten sollten Sie sich im persönlichen Kontakt nach Spezialisierungen erkundigen.
Vermeiden Sie Anbieter, die
• keine Spezialisierungen angeben und auch auf Nachfrage meinen, Spezialisierungen seien nicht nötig
• vorgeben, bei »jedem Leiden« oder »jeder Lebenslage« helfen zu können
• sowohl bei den Leidenszuständen als auch bei den Methoden zu viele »Spezialisierungen« vorgeben, denn das ist etwa so, wie wenn man mehrere Musikinstrumente irgendwie spielen kann, aber keines davon ordentlich
• methodisch zu einseitig spezialisiert sind, also zum Beispiel nur Konfrontationstherapie oder nur Familienaufstellung machen. Solche Angebote sollte man eher nur als mögliche Ergänzungen sehen.
Diese Aufzählung von Leidenszuständen dient als Orientierung zur Selbsteinschätzung:
• Angstzustände, Panikattacken, Klaustrophobie, Auftrittsangst (Redeangst), Flugangst …
• Depression, Erschöpfung, Kränkung, Trauer
• Persönlichkeitsstörungen, z. B. Borderline (BPS), Narzissmus
• Probleme mit verschiedenen Formen von Gewalt (als Opfer wie auch als Aggressor), z. B. Mobbing, Gewaltausbrüche, Neigungen wie Verletzungsabsichten, Rachsucht oder Mordgedanken
• Missbrauch und Missbrauchsfolgen
• Traumata verschiedener Art
• Essstörungen
• Süchte (Alkohol, Drogen, Esssucht, Spielsucht, Sexsucht …)
• Zwänge, z. B. Selbstverletzung, Waschzwang, Wiederholungszwang, Zwangsgedanken
Wahnstörungen, Psychosen, Halluzinationen.
3. So erkennen Sie unseriöse Wirksamkeitsversprechen und Prognosen
Wirksamkeits- und Heilversprechen gehören oft zu den ersten Signalen, die man als Hilfesuchender bei möglichen Anbietern wahrnimmt, und durch diese Signale kann man gute und problematische Anbieter relativ leicht voneinander unterscheiden.
Dass Anbieter zu übertriebenen Wirksamkeitsversprechen greifen, kommt nicht nur am nicht-regulierten Psychomarkt vor, sondern ist auch unter normalen Psychotherapeuten keine Seltenheit. Die Gründe dafür sind meiner Erfahrung nach dreierlei. Erstens: Die Anbieter überschätzen sich bzw. die Wirksamkeit ihrer Arbeit. Zweitens: Anbieter wollen Klienten anlocken und aus geschäftlichen Gründen einen vollen Terminkalender haben.
Und drittens: Wirksamkeitsversprechen werden als versteckte therapeutische Maßnahme eingesetzt, denn allein die Aussicht auf eine wirksame Hilfe kann bei hilfesuchenden Menschen Vorstellungen und Empfindungen auslösen, die tatsächlich heilsam sind: »Mir wird geholfen; ich bin in Sicherheit; ich bin in guten Händen; es wird mir bald besser gehen; ich werde akzeptiert und gehört; ich werde bald meine Ziele erreichen und glücklicher sein.«
Wirksamkeitsversprechen können auf viele verschiedene Arten und auch indirekt und unterschwellig formuliert werden. Da heißt es beispielsweise, ein Angebot würde »besonders gut helfen«, sei »höchst erfolgreich«, »sehr effektiv« oder es würde »schnell« und »nachhaltig« eine positive Veränderung bewirken. Dreist, aber für Hilfesuchende möglicherweise verlockend, sind etwa auch Floskeln wie: »Mein Angebot hilft auch da, wo andere Methoden versagt haben.«
Manche Anbieter versprechen sogar »Sofortwirkungen« im Voraus, was völlig unprofessionell ist. Während ich dieses Buch schrieb, traf ich zum Beispiel wieder einmal auf eine Website, auf der eine bestimmte alternative Methode pauschal als »die wirksamste Therapie« bei psychischen Problemen angepriesen wird. Manch andere Anbieter meinen über die Klopftechnik EFT ganz pauschal und manipulativ, diese Methode würde »Emotionen unbewusst von der Ursache her lösen« oder »ganz direkt bei der Emotion ansetzen«, als ob die menschliche Psyche eine Maschine wäre, die man mechanisch behandeln könne.
Manche Anbieter sagen den Klienten sogar im Voraus, diese seien selbst schuld, wenn die Behandlung nicht wirkt. Oder sie behaupten, die Behandlung sei so gut, dass sie »immer wirkt« und zumindest »unbewusst wirkt«, also auch dann, wenn der Klient nicht offen genug ist und er die Wirkung nicht (sofort) spürt. Die Wirkung würde sich dann »später automatisch durch das Unterbewusstsein entfalten«. Manche Anbieter sind enorm kreativ mit solchen irreführenden Wischiwaschi-Floskeln.
Auch unter jenen Anbietern, die sich für besonders spirituell halten, fallen viele durch typische Floskeln auf. Da ist etwa davon die Rede, in einer Therapiesitzung würde eine »heilsame Energieübertragung« stattfinden oder es würden sich »höhere Kräfte« entfalten. Meiner Erfahrung nach haben nur wenige Menschen solche besonderen Fähigkeiten, und selbst wenn, dann gilt auch hier: Wenn die Psyche und die Zellen eines Klienten nicht offen genug sind, dann kann auch keine Heilenergie von außen in sie eindringen. Ein echter Heiler weiß, ebenso wie jeder ordentliche Arzt, dass er nichts in andere Menschen hineinzaubern kann, sondern nur versuchen kann, die Natur der Hilfesuchenden von innen her zu öffnen und zu stabilisieren.
Besonders im Hypnosegeschäft werden beispielsweise auch Aussagen gebildet, wonach man geistig scheinbar in das menschliche Gehirn eingreifen könne wie in einen Computer oder in ein Auto, und defekte Prozesse »einfach und schnell umprogrammieren« könne, was dann angeblich dazu führt, dass sich das Leben auch im Äußeren auf wundersame und unbewusste Art »automatisch« verändert.
Leute, die mit solchen und ähnlichen Floskeln arbeiten, kennen sich nicht gut genug aus, überschätzen sich oder lügen. Wenn dies der Fall ist, dann kann auch die angebotene Hilfe nicht gut sein. Jede Art von pauschalen Wirksamkeits- und Heilversprechen ist unseriös, weil es keine Therapeuten, Methoden und Mittelchen gibt, die allen Menschen gleich gut helfen. Diese gibt es am ehesten in der körperlichen Medizin, aber schon gar nicht bei psychischen Leiden.
Auch mit sonstigen Prognosen sind seriöse Anbieter vorsichtig. Wenn es etwa heißt, eine Therapie wird nur kurz dauern, so kann dies dazu führen, dass der Helfer den Klienten, als auch der Klient sich selbst unter Druck setzt, und wenn sich der Erfolg nicht so schnell einstellt wie prognostiziert, so machen sich beim Klienten Frust und Schuldgefühle breit.
Andererseits kann eine zu lange Prognose der Therapie dazu führen, die Heilungsmöglichkeit zu unterschätzen. Bei einer meiner ersten Beratungen meinte etwa die Therapeutin, ich solle mich auf vier Jahre Psychoanalyse einstellen (sie war natürlich selbst Psychoanalytikerin). Hilfesuchende – noch dazu in der ersten Sitzung – auf eine jahrelang notwendige Therapie einzuschwören ist völlig unprofessionell.
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