Als ich erwachte war es noch hell. Dichte Wolken waren aufgezogen und bedeckten den ganzen Himmel. Mein Gesicht schmerzte und fühlte sich an wie eine einzige geschwollene Masse. Arme und Beine spürte ich dagegen überhaupt nicht mehr.
Der Bläut war gegen mich gesunken und schlief, fest an mich gelehnt. Eine seiner Hände lag auf meinen Schenkeln. Überrascht schaute ich plötzlich genauer hin. In seinem Schoß ruhte ein dicker, gedrungener Wurm. Er hatte sich aus seiner Kleidung geschoben. Ein Symbiont bestimmt. Vielleicht so etwas ein Kriechegel, mit dem man sein Gehör deutlich verschärfen konnte, wenn er sich neben dem Ohr festsaugen durfte. Viele Jäger wollten nur noch mit dem dicken Egel am Kopf zur Hatz aufzubrechen, um genauso gut hören zu können, wie ihre Beute.
Doch dann dachte ich, dass der Wurm des Bläut möglicherweise ein Teil von ihm war, der tatsächlich seinem Körper entspross. Damit wäre meine biologische Abstammung doch wohl wieder fraglich. So etwas hing nun wirklich nicht an mir dran. Das wusste ich sicher. Vielleicht hatte ich mit den Bläut also doch nichts gemein. Der Gedanke heiterte mich deutlich auf. Ich bewegte meine Finger und Zehen methodisch, um wieder Gefühl in meine Glieder zu bekommen und überlegte dabei fieberhaft, wie ich meiner Lage entrinnen könnte.
Mein wundes Gesicht brannte und juckte zugleich, aber das war jetzt auszuhalten. Ganz allmählich begannen meine Arme und Beine zu kribbeln. Das steigerte sich langsam, bis es heftig schmerzte. Ich jaulte gedämpft vor mich hin und machte einfach immer weiter. Zum Glück war es mir nicht möglich, mit dem Knebel richtig Lärm zu machen und den Bläut unabsichtlich zu wecken. Er schlief tief und entspannt. Ein Sabberfaden verlief aus seinem Mund bis zu seinem Kinn runter.
Nach gefühlter Ewigkeit, es war inzwischen stockdunkel, klang der Schmerz ab und ich hatte wieder Gefühl im ganzen Körper. Gerade überlegte ich, wie ich an einen der Schnitter des Bläut herankommen konnte, die er griffbereit hinten an der Schulter trug, als es plötzlich verdächtig ruhig im Wald wurde. Sämtliche Schreihälse unterbrachen ihr nächtliches Konzert. Selbst die unermüdlichen Krawaller waren verstummt. Nur weit in der Ferne hörte man noch einen Klauenschlenker rufen.
Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Kein gutes Zeichen, nein, gar kein gutes Zeichen. Ich versuchte leise den Bläut zu wecken, doch der schlief so fest, dass meine unbeholfenen Zuckungen nicht zu ihm durchdrangen. Dann wurde die Stille so tief, als ob jedes Leben im Umfeld gemeinsam mit mir den Atem anhielt und ich wagte nicht mehr mich zu bewegen.
Der Baum bebte leicht, als etwas Großes sich in ihm bewegte. Ich fühlte etwas Massiges vor uns auftauchen, wie verdichtete Finsternis. Ein leichter, ranziger Geruch wanderte gemächlich über mich hinweg, begleitet von leisen Berührungen. Als sie mein Gesicht erreichten brachen sie abrupt ab. Ich spürte, wie etwas vor mir zurückzuckte und dankte dem Federling inbrünstig für die verabreichte Rotelsafttortur. Der nämlich hinterlässt neben dem irremachenden Jucken auch einen ekelhaften Geschmack und Geruch auf der Haut. Deswegen nutzt ihn auch niemand für die Jagd. Das unbekannte Wesen vor uns traf offenbar eine Entscheidung. Das Gewicht des fest schlafenden Bläut verschwand von meiner Seite. Außer dem leisen Zittern des Baumes, als der Angreifer sich entfernte, nahm ich nichts weiter wahr. Kein einziger Laut kam von dem Bläut.
Wie verrückt zerrte ich an meinen Fesseln. Was wusste ich denn schon, möglicherweise kam der Angreifer gleich wieder, um mich, Rotelsaft hin oder her, ebenfalls wegzuschleppen oder in kleinen Häppchen aus meinen Fesseln zu zupfen. Doch niemand kam um mich zu holen. Meine Schreie erstarben hinter dem Knebel in meinem Mund.
(Schnappkröte: Schuppenhäuter mit zwei Vorderbeinen und vier Hinterbeine. Mit ihren harten zahnlosen Kiefer kann sie heftig beißen. Wenn sie flieht kann sie schnell und ausdauernd auf zwei Hinterbeinen laufen. Die Schnappkröte ist ungefähr so groß wie eine kleine Bläut. Sie lebt auf dem Waldboden und ernährt sich von Wurzeln alter Bäume. Dazu beißt sie dicke Stücke ab, die sie am Fuß des Baumes freilegt und höhlt sie dann von innen her aus. An den Vorderbeinen hat sie jeweils einen zum Schaber umgeformten Knochenfinger. Das Weibchen legt Eier, die im Boden vergraben und sich dann selbst überlassen werden.)
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