Am Abend vor dem geplanten Aufbruch der Jagdgesellschaft wurde gewaltig gefeiert. An jedem Feuer prahlte man mit abenteuerlichen Geschichten über gigantische Jagderfolge. Die Raubfalter und ich schwelgten im Überfluss. Fast ununterbrochen flogen kleine Essensbröckchen in die Luft, die die Raubfalter mit akrobatischen Flugmanövern einfingen. Auch ich sammelte mir einen großen Vorrat für meine Reise zusammen. Zuletzt erinnere ich mich, hockte ich zusammengekuschelt und schläfrig auf einem dicken Ast. Neben mir voll gefressene Raubfalter. Ihre Flügel hatten sie müde um die filigranen Körper gewickelt. Immer undeutlicher drangen die Stimmen vom Feuer unter mir an mein Ohr, bis alles in einem großen Rauschen verklang.
(Grabhyäne: großer Fresser, ähnelt optisch unseren Hyänen, nur deutlich größer. Zieht allein oder in kleinen Gruppen durch den Wald. Frisst lebende Beute und auch Aas. Ihr Fleisch schmeckt hervorragend. Aber sie ist sehr schwer zu töten, da ihre Haut sehr dick ist und sich zudem die lebenswichtigen Organe bei jeder Grabhyäne an anderer Stelle befinden. Sie vergräbt die Reste ihrer Beute, auf die sie vorher ein Verdauungssekret speit, damit diese schnell mürbe wird, wie gut abgehangen. Männliche und Weibliche Tiere ziehen ihren Nachwuchs gemeinsam auf. Sie bleiben ihr Leben lang Geschlechtspartner.)
Kapitel 7: Wie es ist, als Köder zu dienen und über die erste Begegnung mit Lust und Hennentod
Als ich wach wurde, schmerzte mir der Schädel. Nur mühsam fand ich allmählich zu mir.
Unbequem war dieses Nest, einfach zum Wegscharren. Missmutig wälzte ich mich herum. Ein plötzlicher Schmerz in meiner linken großen Fußkralle klärte mir langsam den dröhnenden Kopf und ich öffnete die Augen. Ich lag auf einer kleinen Lichtung, die umwachsen war von verfilzten, dichten Gestrüpp mit einzelnen großen Bäumen dazwischen. Wieder war ich angebunden und zwar an einem Pflock in der Mitte der freien Fläche. Bei meinem Glück war das Seil, das an meinem rechten Handgelenk festgemacht war, bestimmt wieder aus Spurschnüfflerleder. Ich setzte mich auf und schüttelte die kleine Sammlerin ab, die mich mit ihrem herzhaften Biss in meinen Fuß wachgerüttelt hatte. Irritiert krabbelte sie ziellos am Boden herum, bis sie schließlich eine Duftspur fand und auf ihr eilig von dannen zog. Dann inspizierte ich das Seil, insbesondere die Verschlüsse an Gelenk und Pfosten. Kein Zweifel, schnell würde ich mich nicht losmachen können, wenn überhaupt. Mein Bewegungsradius betrug rund 10 große Hennenschritte um den Pfosten herum, wie ich schnell herausfand, als ich ihn mit dröhnendem Kopf abschritt und die Lichtung war vielleicht viermal so groß.
Am Rand sah ich das Zuhause meiner kleinen Sammlerin. Ungünstig für mich, - der Bau war so hoch wie ich und auch so breit. Dort lebten sicher jede Menge kleiner, eifriger Sammlerinnen. Ich hatte nichts gegen diese allgegenwärtigen Bewohner des Waldes, aber weitere Bisse würde ich gerne vermeiden. Auf keinem Fall wollte ich zum Objekt ihrer Sammelleidenschaft werden. In winzigen Stücken würden sie mich nach Hause tragen.
Ich holte tief Luft und rief lauthals nach meinem Schwarm. Hier im Wald konnten sie mich vielleicht hören und mir zu Hilfe kommen. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo ich war. Kaum war mein erster Ruf verklungen, raschelte es schon im Dickicht. Ich zuckte zusammen. Das war ein bisschen zu schnell, sogar für Werhennen. Aus dem Gebüsch schob sich der dicke Kopf einer Grabhyäne. Sie spähte gelassen, aber aufmerksam über die Lichtung. Ich zog mich langsam hinter den Pfahl zurück und versuchte verzweifelt meine Hand freizubekommen. Die Grabhyäne ließ sich Zeit. Sie musste schon länger um meine Lichtung herumgestrichen sein. Diese Fresser sind sehr vorsichtig. Wahrscheinlich hatte ich sie idiotischer Weise erst mit meinem Hilferuf aus der Deckung gelockt. Jetzt wartete sie offenbar auf eine Antwort. Nach einer Weile, als alles ruhig blieb, trat sie behäbig ganz auf die Lichtung heraus. Mich würdigte sie noch keines Blickes. Zunächst sicherte sie, prüfte die Luft. Dann schritt sie langsam den Außenrand der Lichtung ab. Ich bewegte mich parallel dazu mit, immer den Pfahl zwischen ihr und mir. Wahrscheinlich würde sie diesen später, nach der Mahlzeit, zur Reinigung ihrer Zähne benutzen. Erst nachdem sie die Lichtung gründlich überprüft hatte schenkte sie mir ihre Aufmerksamkeit. Gemächlich machte sie einige Schritte auf mich zu und witterte schnaufend, mit erhobenem Kopf. Ich wich nach hinten aus und hielt den Pfahl zwischen uns. Sie rückte ruhig weiter vor und stellte sich neben den Pfahl, während ich mich gleichzeitig so weit zurückzog, wie das Ende meiner Leine es zuließ. Der Räuber spannte die Muskeln zum Sprung an und ich konnte das Wasser nicht länger halten. Es lief mir die Beine hinunter, die zur selben Zeit unter mir nachgaben.
Die Grabhyäne sprang und noch im Absprung wurde sie plötzlich wuchtig zur Seite geschleudert. Zappelnd und zuckend lag sie auf dem Rücken und schnappte um sich. Zwei mit Werhennenfedern, - von Gluck? - befiederte Pfeile ragten aus ihrer Seite. Ich hockte zusammengekauert auf dem Boden, die Arme schützend über dem Kopf. Auf die Lichtung traten mein Rotelsaft-Opfer der Federling und ein Bläut. „ Das war soooo unglaublich gut“, rief der Bläut. Ich meinte in ihm den jungen Steineschmeißer zu erkennen, dem ich meinen Sporn in die Schulter gerammt hatte. „Ja, wir sind vermutlich nicht zu schlagen. Wer hätte das gedacht. So eine fette Beute - und nur undenkbare zwei Pfeile.“
Die beiden freuten sich noch eine ganze Weile über ihren Erfolg. Doch dann wandte der Federling sich mir zu. „Du kannst gern noch häufiger nach dem Schwarm rufen“, sagte er zu mir „Es ist mir nur Recht, wenn du so meinen Jagderfolg steigerst. Du Mistvieh, ich hab dir doch gesagt, ich kriege dich. Und das Schöne dabei, du hast dir selber den Brocken mit dem Schlafmittel in den Hals gestopft.“ „Was machen wir jetzt mit der Henne?“ fragte der Bläut. „Lassen wir sie laufen?“ „Kommt nicht in Frage.“ Der Federling war ganz offensichtlich nicht angetan von dem Vorschlag. „Sie lockt uns die beste Beute an. Sie bleibt! Ich wette, ein Zeffallo kann ihr auch nicht widerstehen. Jung und knackig. Zartes Fleisch fertig serviert, wen schert es schon, was mit ihr passiert. Hör nur, ich werde schon bei dem Gedanken ganz poetisch“
Der Bläut seufzte nur angeödet. Dann meinte er „Na ja, mir fallen doch einige Leute ein, die sich immer sehr für dieses Huhn eingesetzt haben. Aber es sind ja sowieso alle aufgebrochen. Niemand weiß wo sie steckt. Besser noch, wahrscheinlich hat überhaupt noch keiner bemerkt, dass sie nicht mehr in dem ollen Marktbaum hockt.“
Die beiden grinsten sich verschwörerisch an. Dann stupsten sie vorsichtig mit ihren Bögen gegen die Grabhyäne, die sich nicht mehr rührte. „Was für ein Riesenvieh, und nur zwei Pfeile. Man wird staunen über diese Leistung. Ich habe das noch nie vorher gesehen.“ Der Federling war sichtlich stolz. Zufrieden meinte er weiter „Wir müssen die Grabhyäne ins Sammellager schaffen. Sie schmecken so gut. Alle werden etwas abhaben wollen. Zum Glück ist sie mehr als groß genug. Was machen wir denn jetzt als nächstes?“ Der Bläut zuckte mit den Schultern „Keine Ahnung! Wenn wir die Helfer rufen, sehen sie unseren Köder und es gibt wahrscheinlich Ärger. Schließlich haben wir keinen der Ältesten um Erlaubnis gefragt. Aber allein bringen wir das Riesenvieh von Grabhyäne nicht durchs Unterholz zum Lager. Dazu ist sie viel zu schwer. Sieh dir nur den Kopf an. Ich glaube mein Kopf passt komplett in ihr Maul.“ „Ha, ich weiß wie wir es machen, die Henne muss weg“, sagte der Federling entschlossen. „Sie muss verschwinden, dann können wir Leute rufen, die uns helfen, unsere Beute ins Lager zu schaffen. Vielleicht sollten wir sie verspeisen. Ich habe bereits Hunger, die Tagesplaneten stehen schon tief, die letzte Mahlzeit ist lange her. Werhennen sollen zwar ungenießbar zäh sein, aber sie ist sehr jung und zudem auch keine echte Henne“ Der Federling blickte mich prüfend an. Beschwichtigend drehte ich meinen Kopf weg und duckte mich.
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