Carl Wilckens
13
Die Mine
Band 5
Wilckens, Carl : Dreizehn. Die Mine. Band 5. Hamburg, acabus Verlag 2021
Originalausgabe
ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-796-1
PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-795-4
Dieses Buch ist auch als Print erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.
Print-ISBN: 978-3-86282-794-7
Lektorat: Laura Künstler, acabus Verlag
Satz: Laura Künstler, acabus Verlag
Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag
Covermotiv: © pixabay.com
Karten: © Carl Wilckens
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.
_______________________________
© acabus Verlag, Hamburg 2021
Alle Rechte vorbehalten.
http://www.acabus-verlag.de
Für Wendy
Die Mine
Personenverzeichnis
Danksagung
Der Autor
Die herabstürzenden Splitter des Himmels hatten in Dustrien eine Zerstörung angerichtet, wie es alle Bomber aus der Flotte der Königin nicht vermocht hätten. South Harrow, eine der größten Städte des Landes, war fast vollständig unter einem Trümmer zermalmt worden. Er sah aus wie Glas, hatte jedoch keine Konturen. Gelbe Funken umspielten seine Oberfläche, während er nahtlos in den ihn umgebenden Raum überzugehen schien.
Ein weiteres Fragment des Himmels, groß wie ein Berg, war vor der Südküste des Landes niedergegangen und hatte eine Flutwelle apokalyptischen Ausmaßes ausgelöst. Sämtliche Schiffe im Umkreis von hunderten Kilometern wurden von der Wassermasse verschlungen, ehe sie mit der kinetischen Energie mehrerer heranrasender Kohlezüge das Land erreichte. Donnernd brach sie sich vor der Steilküste, auf der der Leuchtturm von Treedsgow stand, und preschte den Sithwell stromaufwärts wie eine marine Kavallerie. Die Schiffe, die im Hafen der Stadt ankerten, wurden wie Spielzeuge emporgehoben und über die Dächer des Hafenviertels geworfen. Kein Gebäude hielt der Gewalt der Katastrophe stand. Treedsgow sowie Wither, Riverton und Gatling wurden von der Landkarte gewischt wie Schmutzflecken von einer Tischplatte.
Am schlimmsten aber traf es Horizone. Ein verhältnismäßig kleiner Splitter beschädigte den dort befindlichen Elementarreaktor und löste einen Super-GAU aus. Die dabei freigesetzte entrische Energie verwandelte die Stadt in einen Moloch weißglühender Schmelze und zog die Wolken in der Atmosphäre zu sich heran. Ein riesiger, von zuckenden Lichtbögen umspielter Blitz ragte aus der Schmelze in den Himmel hinauf und verschwand im Zentrum des Wolkenstrudels. Gemächlich drehte er sich im Einklang mit dem Wirbel um sich selbst, als tanzten zwei Urgewalten einen langsamen Walzer.
Auch wenn die Folgen der herabstürzenden Himmelstrümmer in allen anderen Städten Dustriens nicht so gravierend waren, kam doch keine unbeschadet davon. Die von Erdbeben begleiteten Einschläge der Splitter ließen zwei der größten Bergwerke von Rust einstürzen. Zahllose weitere Gebäude brachen zusammen, darunter Saint Ergustin, die wohl größte Kathedrale des Landes, sowie große Teile der Zitadelle von Rust.
Das Ereignis beendete den Bürgerkrieg in Dustrien weitestgehend. Die Kirchen füllten sich mit Menschen, und das Volk bat um Vergebung für seine Sünden. Die Besatzungen mehrerer Luftschiffe entschlossen sich einstimmig zu desertieren, und flohen aus dem Land in der Hoffnung, in einem fernen Teil der Welt sicher zu sein. Als der vorerst letzte Splitter auf das Land gestürzt war, senkte sich Stille über Dustrien herab. Hätte die Angst in den Köpfen der Menschen eine Stimme gehabt, wäre wohl lautes Kreischen erklungen. Und wäre die Bedrohung, die von dem Loch im Himmel ausging, nicht so schleichend nähergekommen wie ein Seeungeheuer, das sich im Schutz des dunklen Wassers seiner Beute nähert, hätte man wohl ferne Kriegstrommeln und Hörner, die zum Angriff bliesen, gehört.
Die Angst im Zellenblock 13 von Blackworth lastete dreifach auf den Schultern der Gefangenen. Zum ersten schien das Land selbst reglos wie ein Reh in Alarmbereitschaft zu lauschen. Kein Flüstern tönte in den kahlen Kronen der Bäume, kein Zwitschern aus der Kehle eines Vogels. Die Welt schwieg und wirkte somit wie ein billiges Imitat der Wirklichkeit.
In die Furcht des Landes stimmte die der Gefangenen mit ein: Beim Anblick des aufbrechenden Himmels verloren sie allen Mut, den sie einander hätten zusprechen können. Im Chor des Schweigens, der dabei ertönte, schwang kaum wahrnehmbar die dritte Angst mit – die Sorge um eine sterbende Hoffnung, die ausgerechnet nur der Mann nähren konnte, der alle Zuversicht verloren zu haben schien. Die Gedanken der Gefangenen scharten sich um die Hoffnung wie um ein angeschossenes Tier, das auf dem schmalen Pfad zwischen Leben und Tod balancierte.
Nicht jeder im Zellenblock 13 fand Schlaf in dieser Nacht. Die Stille vertrieb ihn nicht weniger effizient, als es das rhythmische Donnern einer Flugabwehrkanone im Sperrfeuer getan hätte. Im Laufe der Nacht verzogen sich die Wolken und gaben das Loch im Himmel frei. Die Schwärze dahinter war nur vom dunklen Nachthimmel zu unterscheiden, weil darin keine Sterne schienen. Außerdem leuchtete sein Rand so hell und silbern wie der Riss, aus dem es entstanden war. Das Loch ließ den Himmel zweidimensional erscheinen; entlarvte die Tiefe des Universums als Lüge, die Sterne und den Mond als Farbtupfer auf der Innenseite eines sphärenförmigen Gemäldes.
Als der Morgen graute, erlöste Gesang die Gefangenen von der Stille. Obgleich der Mann jeden Ton traf, wie der Sänger feststellte, klang seine Stimme blechern auf der stillen Leinwand, auf die er sie auftrug:
»Wohin geht der Mond, wenn der Himmel verwelkt,
und das Weltall die Sterne verliert?
Wer trinkt das Meer, wenn sich der Meeresgrund wölbt,
und das Land zerreißt wie Papier?«
End schlug die Augen auf. Allem Unheil zum Trotz hatte er den Schlaf der Gerechten geschlafen. Der Grund dafür mochte sein, dass er in der Nacht zuvor kein Auge zugetan hatte, doch es wirkte so, als hätte er nichts vom Untergang der Welt zu befürchten; oder aber, als hätte er nichts zu verlieren.
End erhob sich von der Pritsche und reckte sich. Kurz sah der Sänger seinen muskulösen, von einem Netz aus Narben überzogenen Rücken, ehe sich der Mann in der Zelle gegenüber das Hemd anzog und vor das vergitterte Fenster trat.
»Zuris, mein Gott, warum hast du uns verlassen?
Hast uns – deinen Kindern – den Rücken gekehrt.
Es ist wohl die Strafe, weil wir vergaßen
dein Wort, das uns deine Priester gelehrt.«
»Wer singt da?«, fragte der Sänger und richtete sich auf seiner Pritsche auf.
»Ein Arbeiter«, antwortete Baxter in der Zelle neben End, während der Gesang allmählich leiser wurde. »Scheinbar ist die Seite eines Nebengebäudes von Blackworth eingestürzt. Jetzt liegen Trümmer auf den Gleisen. Der Mann hat sie in eine Schubkarre verladen und bringt sie weg.«
Читать дальше