Zu diesem Buch
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Prolog
Kapitel 1 Paris 1942, Gestapoverhörkeller
Kapitel 2 Paris 2010, Seine-Ufer
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Nachwort
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Während des zweiten Weltkriegs wird in Paris ein Gemälde des Malers Picasso durch die Gestapo beschlagnahmt. Es ist ein Portrait der ‚Weinenden Frau’. Kurz vor dem Einmarsch der Alliierten in Paris überquert ein Trupp Naziflüchtlinge die Pyrenäen. Mit dabei ist die ‚Weinende Frau’ ... und das Kind einer jüdischen Widerstandskämpferin.
Jahrzehnte später kauft der Student Jorge bei einem Bouquinisten in Paris ein Buch über die baskische Stadt Guernica, die während des spanischen Bürgerkriegs von der deutschen Luftwaffe bombardiert und zerstört wurde. Im Buch steckt ein Zettel mit einer Nachricht: Wer du auch bist, der das liest, wenn du begreifst, werde ich nicht mehr sein. Bete für die weinende Frau. Laura.
Jorge beschliesst, die Frau, die er in Gefahr wähnt, zu suchen. Dabei wird er durch Olivia unterstützt, die ihm wie zufällig über den Weg läuft. Das ‚Projekt Laura’ führt ihn zu einer geistig verwirrten Alten in einer psychiatrischen Klinik Sevillas. Sie übergibt ihm ihr Tagebuch und Jorge erfährt eine unglaubliche Familiengeschichte, eine Geschichte über weinende Frauen, wie sie einst Picasso malerisch dargestellt hat. Die Alte scheint Laura zu kennen. Je mehr Jorge über sie erfährt, desto mehr beginnt sie, in ihm zu leben, bis er sie in Visionen seiner Seele erkennt. Doch gibt es sie nur in seiner Phantasie?
Der Autor ist gebürtiger Schweizer spanischer und russischer Abstammung. Er lebt in Bern, ist verheiratet und Vater dreier Töchter. Bis 2013 führte er eine Arztpraxis. Bisherige Veröffentlichungen: Die Fuge der Liebe (2014), Eine Faustsinfonie (2016).
José L. de la Cuadra
Das Tagebuch
der weinenden Frau
Roman
Für sie
Impressum
Texte: © Copyright by José Luis de la Cuadra
Umschlaggestaltung: © Copyright by José Luis de la Cuadra
Verlag: José Luis de la Cuadra, CH-3074 Muri
delacuadrajose@bluewin.ch
www.josedelacuadra.com
Selten hat ein Bild den Aufschrei der Weiblichkeit gegenüber der männlichen Gewalt so drastisch vorgeführt wie das Bild ‚Guernica’ von Pablo Picasso. Das Sinnbild der Zerstörung der baskischen Stadt während des spanischen Bürgerkriegs wurde, weit über den zweiten Weltkrieg hinaus, Symbol für die Widerstandskraft des freiheitlichen Denkens in Europa. Das sinnlose Gemetzel hat Picasso zum Anlass genommen, das Leiden aus der Sicht weiblicher Empathie dem männlichen Drang zur Gewalt bildnerisch gegenüberzustellen.
In diesem Roman begibt sich Jorge auf die Suche nach einer Frau, die durch ihr Weinen seine Seele berührt – und gerät dabei in eine Familientragödie, die in Paris zur Zeit des zweiten Weltkriegs ihren Anfang nimmt.
1
Paris 1942, Gestapoverhörkeller
„Warum schweigen Sie?“
Gestapo-Offizier Walter Müllheim saß an einem einfachen Holztisch im Untergeschoss des Gebäudes, Rue des Saussaies Nr.11. Vor ihm lag die Akte der Gefangenen Nr. 326. Auf dem verschmutzten Umschlag stand: Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Paris, Angeklagte L. v. L, geb. 1. Jan. 1924, Begründung: Widerstand gegen die Staatsgewalt (Partisanengruppe ‚Rose Blanche’), Jüdin. Er öffnete die Akte und übersprang die ersten fünf Blätter. Sie enthielten die bekannten Umstände der Festnahme, der politischen Aktivitäten, der Anklagebegründung und Details über die durchzuführenden Maßnahmen. Es folgten die Seiten mit den Verhören, insgesamt dreizehn. Außer den Kalenderdaten waren diese Blätter weitgehend leer. Es fanden sich nur einige Bemerkungen wie: Aussage verweigert, Angeklagte schweigt, L. v. L. ist störrisch. Dreizehn Seiten ohne Geständnis.
Müllheim wusste, dass auch das heutige Verhör ergebnislos verlaufen würde. Die Frau galt als resistent, aggressiv und unkooperativ. Kein Wort hatte der SS-Offizier aus ihr herausgebracht. Keinen einzigen Laut hatte Rüdiger aus ihr herausgeprügelt. Sie blieb stumm wie ein Fisch. Nicht die kleinste Regung verriet, was in ihr vorging.
Der SS-Mann betrachtete seine im Aschenbecher sengende Zigarette. Er brauchte den Geruch seiner Glimmstängel, um den Gestank nach Schweiß und verbranntem Fleisch, der aus den Kerkern durch die Ritzen der Mauern kroch, zu ertragen. Überhaupt fiel es ihm jeden Morgen schwerer, die Treppen zum Verhörkeller hinunterzusteigen. Die Schreie aus den Folterkammern raubten ihm den Schlaf.
Er nahm einen Zug, inhalierte tief und blies den Rauch verärgert in Richtung der Gefangenen, die, von einer Lampe grell beleuchtet, mit angezogenen Beinen auf einem Schemel saß. Die Schwaden tanzten vor ihrem Gesicht hin und her.
„Sie schweigen immer noch?“
Jetzt war es eher eine Feststellung. Müllheim wusste, die Frau würde die Antwort verweigern, ihn mit ihrem Schweigen in Verlegenheit bringen. Warum sagte sie kein Wort? Warum verteidigte sie sich nicht? Warum bettelte sie nicht um Gnade? Benutzte sie das Schweigen als Waffe, um ihn zu bestrafen? Ja, er tat Unrecht, aber es war das Unrecht des Krieges. Über seine eigene Verantwortung hatte er nie nachgedacht. Bis heute.
Schon auf dem Weg zur Rue des Saussaies war er mehrmals stehengeblieben. Heute würde er entscheiden müssen. Die Verhöre abzubrechen, ohne Aussage, ohne Geständnis, bedeutete den Tod der Jüdin. Die Befragungen ergebnislos weiterzuführen würde ihm einen Verweis seiner Vorgesetzten einbringen.
Zweifel nagten an seinem Verstand. Es war ihm nicht gelungen, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. In seinen Ohren klang die Stille wie ein stummer Schrei, als wäre seine Schuld nicht in Worte zu fassen.
Müllheim spürte ein schmerzhaftes Ziehen im Nacken. Er holte eine Medikamentenschachtel aus der Schublade, schob sich eine Tablette Aspirin in den Mund und schluckte sie mit einem Glas Wasser hinunter, in der Hoffnung, die drohende Migräne abzuwenden.
Im Licht der nackten Glühbirne, die an einem Kabel von der Decke hing, starrte er auf das Verhörprotokoll. Seite vierzehn: leer. Seine Fingernägel krallten sich am Papier fest und zerknitterten es unter hörbarem Rascheln. Er war hin- und hergerissen.
Plötzlich richtete er sich auf.
„Lise von Lilienthal, Sie sind Jüdin und haben sich einer französischen Widerstandsgruppe angeschlossen. Seit der Besetzung ihres Landes durch unsere Truppen unterstehen Sie deutschem Recht. Sie sind angeklagt, terroristische Aktionen gegen Soldaten der deutschen Wehrmacht geplant und durchgeführt zu haben. Wenn Sie uns nicht sagen, wer Ihre Freunde sind und wo wir sie finden können, werden Sie diesen Ort nicht lebend verlassen. Ist Ihnen das bewusst?“
Schweigen.
Die Luft im Gestapo-Verhörkeller war stickig, die Hitze kaum auszuhalten. Schweiß trat dem Offizier auf die Stirne, als er Lise ansah. Es war schwer zu ertragen, was Rüdiger mit ihr im zweiten Untergeschoss angestellt hatte. Die linke Augenbraue war aufgesprungen. Ein Auge war fast zugeschwollen. Mehrere Blutergüsse fanden sich an Kiefer und Hals. Hand- und Fußgelenke zeigten Spuren von Fesselungen. Das schmutzige Hemd war zerrissen und reichte der Gefangenen kaum über die Hüften. Quetschwunden an den Oberschenkeln zeugten von Missbrauch. Blaue Schwellungen an den durchschimmernden Brüsten ließen erahnen, mit welcher Grobheit der Kerkermeister vorgegangen war.
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