»Na ja, Svenja, es ging so und euch?« Neben ihr standen noch andere Mädchen und Jungen, die aber teilweise etwas abwesend wirkten.
»Bescheuert, wer soll denn das alles wissen?« Zusammen gingen sie aus dem Gebäude.
»Uh, wer ist denn das? Der sieht gut aus! Ein cooler Junge«, bemerkte Svenja und auch die anderen sahen sich den ›Neuen‹ an. Doch er ignorierte sie und lächelte nur Lydia an.
»Hey, Lydia, wie lief es?«, erkundigte er sich direkt.
»Hi, Tom. Ach na ja, du weißt schon. So, wollen wir dann?« Sie drehte sich kurz zu den anderen und sagte: »Bis nächste Woche.«
Es wurde getuschelt, gekichert und natürlich gelästert - alles hinter Lydias Rücken, aber sie kannte es nicht anders.
»Ignoriere sie. Die denken immer, sie seien was Besseres«, murmelte Lydia.
»So kam es mir auch vor. Wenn jemand mit einer solchen Stimme fragt, wer das ist und daraufhin sagt, dass derjenige gut aussieht, muss man sich nichts einbilden.«
Lydia lachte dabei, fand es aber schon peinlich, dass er das mit angehört hatte.
»Du warst in der Zwischenzeit noch mal zu Hause?«
»Jupp. Woher weißt du das?« Er schmunzelte und nahm sie auch ein wenig auf den Arm, aber sie antwortete ganz ernst:
»Du hast keine Jacke mehr dabei.« Demonstrativ hielt sie dabei ihre eigene Jacke in der Hand und grinste.
»Ja, ich hab meiner Mutter noch beim Einräumen geholfen. Vater war im Museum, um alles zu regeln, und fängt dann am Montag an.«
»Hast du noch Geschwister?«, erkundigte sich das dunkelblonde Mädchen.
»Ach, die Fragestunde war noch nicht vorüber?«
»Nein, und mir fallen immer wieder Neue ein, keine Sorge«, antwortete sie lächelnd, während sie die Stufen der Schule hinab gingen.
»Ja, ich hab noch eine Schwester, 22. Sie ist aber schon ausgezogen und wohnt in Heidelberg.«
»Was macht sie da?«
»Sie studiert Grafik-Design. Wie sieht es mit dir aus?«
»Drei Brüder!«, sagte sie und rollte theatralisch mit den Augen.
Er staunte. »Drei? Oje.«
Obwohl sie ihn nicht kannte, hatte sie das Gefühl mit ihm reden zu können und erzählte, wie es damals für sie alle war. Sie war als Kind kein typisches Mädchen, sondern verbrachte ihre Zeit mit ihren Brüdern auf dem Fußballplatz, somit hatte sie genauso dreckige Sachen, wie die Jungs und ihr Vater brauchte sie, bis zu einem gewissen Zeitpunkt, auch nicht anders behandeln. Doch eines Tages wollte Steve nicht mehr, dass sie mit Fußball spielte.
Tom zog bei ihrer Erzählung eine Augenbraue hoch. Sie liefen nebeneinander, sahen sich aber selten an und so bemerkte sie auch nicht, wie seine Mundwinkel sich leicht zu einem Lächeln zogen.
»Damals wusste ich ja noch nicht, was er meinte.«
»Alles klar. Du bist halt ein Mädchen«, meinte er und schaute ihr in die Augen. Grün waren seine, wie sie feststellte. Das war ihr vorher gar nicht so bewusst gewesen.
Sie wollten beide ernst bleiben, doch dann lachten sie gleichzeitig.
»Dann hat Steve es mir erklärt und ich fing an, mich für andere Sachen zu interessieren. Wenn ich allerdings nicht gerade lernen muss oder nichts andres im Fernsehen läuft, sehe ich trotzdem Fußball«, erklärte die 15-Jährige.
»Nicht schlecht.« Tom fand sie sehr erfrischend. Sie war nicht auf den Mund gefallen und sprudelte nur so voller Energie. »Wofür interessierst du dich denn jetzt?«
»Bücher, Musik und Kunst, denke ich, aber das mag ich schon seit der zweiten Klasse. Und du?«
»Ich lese auch viel, Musik mag ich auch, Kunst - na ja, kommt drauf an, was. Ansonsten Sport«, meinte er und fuhr sich mit der Hand durch seine mittel-blonden Haare, die sehr kurz waren.
»Was für Musik hörst du?«
»Hauptsächlich Rock«, antwortete Tom. Lydia strahlte und nickte. »Was arbeiten denn deine Eltern?«
»Mein Vater ist Softwareingenieur und meine Mutter kenne ich nicht.« Er wartete und Lydia fügte hinzu: »Sie ging kurz nach meiner Geburt weg.«
»Und du hast keinen Kontakt?«, erkundigte er sich neugierig.
»Nein. Ich weiß weder, wie sie heißt noch wo sie ist«, erwiderte sie kopfschüttelnd.
»Und deine Brüder?«
»Ich glaube, für sie ist es zu schmerzlich, darüber zu reden.
Ach, ich weiß auch nicht. Als ich noch ein Kind war, hab ich meinen Vater oft gefragt. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, meine Fragen wären unpassend und es käme so rüber, als sei ich undankbar. Seitdem lasse ich das Thema.«
Sie gingen um den Teich im Park und Tom meinte, dieser Platz gefiele ihm besonders.
»Hier, in dem Bücherladen«, sagte sie etwas später, »arbeite ich morgen einen Tag auf Probe!«
Ihr Weg führte sie quer durchs Dorf und sie erzählte ihm alle möglichen Anekdoten und Begebenheiten.
»Echt? Cool.«
»Ja, ich kenne die Ladenbesitzerin schon ewig. Als ich mich entschied, nicht das Abitur zu machen, hab ich angefangen, Bewerbungen zu schreiben.
Und Madlen meinte gestern zu mir, dass ich gute Chancen hätte.«
»Glückwunsch.«
»Danke«, sagte sie freudestrahlend.
»Gut, wenn du weißt, was du machen willst. Ich hab mich auch schon beworben. Aber noch steht es offen, ob ich nicht vielleicht doch mein Abi mache«, sagte er nachdenklich.
»Willst du auch studieren?«
»Das weiß ich ja noch weniger! Wenn es nach meinen Eltern ginge, schon. Aber ich weiß es noch nicht.
Wenn ich keine Ausbildung finde, mache ich das Abitur oder ich geh auf eine Fachoberschule - je nach dem, wo ich einen Platz bekomme -, danach kann ich immer noch sehen. Es war gar nicht so einfach, alles noch zu schaffen, zwischen Prüfungen und Umzug. Ursprünglich hätte ich bei uns gerne was gemacht, aber hier kenne ich mich ja nicht aus und das ist echt blöd.«
»Ich verstehe. Es ist ja alles im zeitlichen Rahmen. Noch ist nichts entschieden«, versuchte sie, ihn zu trösten. »Meine Familie ist nicht so begeistert von der Idee. Im Gegenteil«, seufzte sie und erzählte ihm davon. »Ich hatte trotzdem einen schönen Nachmittag mit Steve, den du gesehen hast. «
»Wie viel älter ist er?«
»Fünf Jahre und zwei Wochen, er hatte erst Geburtstag!
Michael ist allerdings schon 28, Sam ist 18«, erklärte Lydia.
»Ich finde es nicht schlimm, wenn jemand nicht studieren will. Was ist denn schon dabei? Gerade in dieser Zeit sollte man eher vorsorgen und so planen, dass es wirklich passt. Mal angenommen, wir würden noch bis zur zwölften zur Schule gehen, danach noch jahrelang studieren.
Die Möglichkeit, dass diese Arbeit dann nicht mehr so gebraucht wird, ist durchaus da. Dann hat man einen super Abschluss, der nicht billig war, steht am Ende aber mit nichts da, außer eventuellen Schulden.«
»Genau das denke ich auch«, bestätigte Lydia erleichtert und lächelte ihn an.
Sie bogen in ihre Straße und standen auch schon vor ihren Häusern.
Das Wetter war sehr schön und beide genossen diesen kleinen Spaziergang.
»Magst du noch mit rein kommen?«
»Das wollte ich dich auch gerade fragen, Lydia. Du könntest mir beim Einräumen helfen!«
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