»Weil ich mir gerade gedacht habe, wenn er zurück ist, können wir noch das schöne Wetter ausnutzen.«
»Mmh, ich müsste eigentlich lernen!«, murmelte Lydia.
»Ach, komm schon. Du lernst seit Monaten ununterbrochen! Zuviel des Guten ist auch nicht hilfreich.«
Lydia strahlte, weil sie annahm, ihre Brüder würden sie auch noch dazu drängen. Sie paukte in der Schule schon so viel, das ihr Kopf wehtat. Schließlich wurde sie oft - nicht ausgeschimpft - aber doch anders behandelt, wenn sie eine schlechte Note erhalten hatte. Ihr Vater ignorierte sie dann für den restlichen Tag und manchmal sogar das ganze Wochenende.
Michael konnte nicht länger bleiben, aber er war froh, dass Stephen noch Zeit mit ihr verbringen wollte.
Als ihr Vater nach Hause kam, erzählte sie vom Paket und auch hier erkannte sie ein leichtes Zucken, sie ignorierte es und fragte, ob sie mit Stephen wegkönnte.
»Zum Abendessen seid ihr wieder zurück«, meinte er nur und widmete sich, als er alleine war, dem Inhalt des Pakets.
Lydia sah zu Steve auf. Er war ihr am ähnlichsten, auch wenn sie sich allgemein von den anderen unterschied: Sie hatte mittel-blondes Haar, ihre Brüder waren alle brünett. Ihre Augen waren grün, während alle anderen in ihrer Familie braune Augen hatten. Sie machte sich nichts aus solchen Äußerlichkeiten. Steve war stets für sie da. Michael und Sam auch, aber irgendwie hatte sie immer mehr Zeit mit Steve verbracht.
Er fühlte sich für sie verantwortlich und wollte möglichst jegliches Leid von ihr nehmen. Deshalb war er da, wenn sie ihn brauchte.
»Schau mal, Brüderchen, da ziehen welche ein!«
»Neue Nachbarn sind doch immer gut. Sie scheinen Kinder zu haben, siehst du!«
Beide blieben einen Moment vor dem großen weißen Haus stehen. Es war genau neben ihrem und jedes Mal, wenn sie von der Schule kam, fand sie, dass es eine Verschwendung war, wenn ein solches Haus ohne Besitzer blieb. Es hatte viele Fenster, eine Terrasse, Balkon und einen wunderschönen Garten mit einem Brunnen.
Der Frühling war erst wenige Wochen alt und doch blühte schon alles. Der Vermieter kümmerte sich darum.
Es stand nun zwei Jahre leer.
»So, was wollen wir heute, bei diesem schönen Wetter, unternehmen?«
»Ich weiß was!«, sagte sie und klatschte fröhlich in die Hände. Sie schaute ihn hoffnungsvoll an und er meinte nur:
»Och, nein. Die Sonne scheint, es ist warm und du willst wirklich in den Buchladen?«
Sie nickte. »Ich war schon lange nicht mehr dort und mittlerweile gibt es einige neue Bücher, die ich mir gerne einmal ansehen möchte. Heute ist Donnerstag, da passt es doch gut, oder?« Steve gab sich geschlagen.
Wenn es um Bücher ging, hatte er keine Chance.
»Na gut. Aber nur, wenn wir einen Umweg um den Teich mit den Schwänen machen«, sagte er bereitwillig.
Sie verbrachten einen schönen Nachmittag zusammen und Steve kaufte ihr gleich zwei Bücher, auch wenn sie es gar nicht beabsichtigte.
»Du weißt, ich schau sie mir immer gerne an und liebe den Geruch von neuen Büchern. Madlen - die Inhaberin - freut sich auch so, mich zu sehen. Ich hab mich übrigens dort beworben. Madlen hatte mir vorhin gesagt, dass ich gute Chancen hätte. Ich soll am Samstag mal Probearbeiten«, erzählte sie fröhlich. Lydia konnte von einem Thema zum anderen wechseln, ohne Luft zu holen.
»Wann hat sie dir das denn gesagt?«, erkundigte sich ihr Bruder.
»Als du dir die Sportzeitschriften angesehen hast.« Sie boxte ihn auf den Oberarm und lachte.
Anschließend machten sie sich wieder auf den Weg nach Hause.
»Der Umzugswagen ist schon weg.« Kaum hatte sie die Wörter gesagt, sahen beide jemanden auf dem Balkon.
»Hallo!«, winkte ihr neuer Nachbar.
»Hi!«, krächzte sie. Mehr brachte sie nicht heraus.
»Lydia, was ist denn mit dir? Du wirst ja ganz rot!« Neckte ihr Bruder sie.
»Quatsch. Ich hab nur einen Sonnenbrand«, stammelte das Mädchen.
»Ja, alles klar, von den vielen Büchern sicherlich.« Er schubste sie etwas und beide gingen ins Haus.
»Ach, da seid ihr ja. Steve, bleibst du zum Essen?«, fragte ihr Vater. Steve willigte ein, nachdem er auf die Uhr blickte und sich sicher war, dass er noch genügend Zeit hatte, ehe er wieder losmüsste. Kaum waren sie im Wohnzimmer, wurde Lydia auch schon in die Küche gerufen und Sammy bat sie, den Tisch zu decken. Er wusste, dass Steve über das Päckchen sprechen würde, welches einige Stunden zuvor angekommen war.
»Lass es gut sein, Bruder. Mir hat er auch nichts erzählt«, seufzte Sammy, nachdem sich Herr Schaf wieder einmal herausgeredet hatte.
»Wer hat wem nichts erzählt?« Lydia kam zufällig dazu, aber alle verstummten nur.
»Deine Brüder wollten wissen, was in dem Päckchen war, das ich von eBay ersteigert hatte. Aber wenn ich es euch jetzt sage, ist es ja keine Überraschung mehr«, flunkerte der Vater.
»Überraschung?«
»Ja! Sam fängt bald ein neues Leben an und bei dir ist auch demnächst ein wichtiger Abschnitt zu Ende. Aus diesem Grund gibt es eine Überraschung, aber nun hab ich zu viel verraten.« So was konnte Sascha schnell erfinden, jetzt musste er allerdings noch zwei Geschenke besorgen.
»Na, dann wollen wir mal nicht weiter fragen, nicht wahr Jungs?! Ach ja, wir können essen.«
Sie drehte sich um und hüpfte in die Küche.
»Gut gerettet, Vater!«, sagten die Jungs und klopften ihm auf die Schulter. Doch skeptisch war Steve trotzdem, denn dieses Mal schien es anders zu sein, als sonst. Nie erzählte ihr Vater ihnen, was los war. Sie alle wussten etwas, aber sie verschwiegen das Offenbare.
Die Familie setzte sich, während Lydia die vollen Teller auf den Tisch stellte.
»Ach, Schwesterchen, wolltest du nicht noch etwas erzählen?«
Lydia sah Steve mit großen Augen an.
»Hä? Ah ja, ich hab vielleicht einen Ausbildungsplatz.
Am Samstag soll ich hier im Bücherladen Probearbeiten.«
Sie war schon jetzt aufgeregt und freute sich ungemein. Es war ihr Lieblingsjob. Sie wollte diese Ausbildung unbedingt.
»Das ist klasse. Gut gemacht. Du verstehst dich ja mit der Ladenbesitzerin so gut«, beglückwünschte sie Sam.
»Das bedeutet, dass du hierbleiben willst?«
Diese Frage von ihrem Vater kam unerwartet und ließ Lydia erst einmal innehalten. Sie blickte ihn verdattert an und runzelte die Stirn.
»Dachte ich eigentlich. Äh, ich hatte gehofft, die Lehre über noch hier wohnen zu können. Aber wenn du nicht willst, dann such ich mir eine Wohnung, sobald ich etwas Geld gespart habe.«
»Das meinte ich nicht. Natürlich kannst du solange hierbleiben, wie du magst. Ich dachte nur, du findest das Dorf vielleicht zu langweilig«, meinte ihr Vater ausweichend und nahm sich eine Gabel voll mit Spaghetti.
»Nebenan ist eine Familie eingezogen, der Junge dürfte in ihrem Alter sein. Vielleicht wird es dann gar nicht mehr so langweilig«, stänkerte Steve.
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