Gottfried Herrmann mit gepflegten Locken, im Frack mit weißem Seidenschal - wie sonst kleidet man sich denn in jenen Kreisen? - konversierte tiefsinnig mit der hinreißend reizvollen dunklen Schönheit Irmgard Düren, die, in schillernde Seide gehüllt, am Rosenstaket lehnte, die Schlange!
Doch der edle, suchende, ach so einsame jugendliche Held wandelt durch den schwarzen Samt der Nacht... - Achtung beim Umdrehen, daß man sich das Knie nicht am Sprechertisch stößt! Die Kamera schwenkt weiter und folgt dem Gedankenverlorenen vielleicht zwanzig Zentimeter, höchstens fünfundzwanzig Zentimeter, mehr waren es bestimmt nicht; es mußte schon damals Präzisionsarbeit geleistet werden...
Also, die Kamera schwenkt weiter und findet nun in der sanften Landschaft des frühsommerlichen Parks - der in einer Größe von 120 cm mal 200 cm schön perspektivisch auf die Pappe gemalt war, die sonst der Wetterkarte als Hintergrund diente - die seelenvoll wandelnde blonde Bianca Maria Kühne. Traumvoll versonnen ahnt die edle Dame noch nicht, daß ihr der heimlich Geliebte gefolgt ist, sie wird es gleich bemerken.
Gottfried Herrmann wendet sich um, und der Raum zwischen Sprechertisch und Rückwand, der so weit wie ein Stuhl breit ist, wird zur neuen Szene, in der weitere weltseelenbewegende Sentenzen ausgetauscht werden. Ihr selig-verklärtes Lächeln, den Herrmannschen Lockenkopf am Busen - das war der Höhe- und Schlußpunkt unserer Szenen, die wir schön von links nach rechts hinüber gespielt hatten, weil ja der Grundriß des Studios zu beachten war." (1)
Der durchschlagende Erfolg dieser Sendung machte ihren Autoren Wolfgang Stemmler vom nächsten Tag an zum Leiter und zunächst einzigen Mitarbeiter der neuen Redaktion Unterhaltung . An diese Situation erinnerte er sich später so:
"Nun also die große Frage: Was für Unterhaltungssendungen kann man machen in dem immer noch einzigen kleinen Studio? Da kam wie der Deus ex Machina am selben Tag Herr Ludwig Trautmann aus Westberlin, um diese Zeit um die 60 Jahre alt. Er war Schauspieler beim Stummfilm und wollte Filme aus jenen Stummfilmjahren verkaufen, die bei ihm im Keller lagerten. Ich griff sofort zu. Wir zahlten den geforderten Preis in DDR-Mark. Ein Aufnahmeleiter holte im Rucksack die Filme, und am 6.4.1953 kam die erste Sendung Mensch, so'n Kintopp - da saß der Berliner Schauspieler Gerhard Wollner in Kostüm und Maske eines damaligen Kinoerzählers im winzigen Studio und lud die Zuschauer ein ins »Admirals-Kinematographentheater«. (Das gab es einst wirklich.) Dann kommentierte er den Film, den er auf dem Monitor sah. Dazu spielte Hans-Hendrik Wehding ...die entsprechende Musik auf dem Klavier. Der war nicht im Bild. Diese Sendung kam dann in regelmäßigen Abständen." (4)
Wolfgang Stemmler blieb nicht lange Ein-Mann-Abteilung. Überhaupt: In jener Zeit hatte wohl niemand das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein. Jeder empfand, über die eigene Arbeit hinaus, eine Mitverantwortung für das Ganze. Neid und Missgunst gab es – meiner Erinnerung nach – noch nicht. Man wusste voneinander, verfolgte anteilnehmend die Sendungen der Kolleginnen und Kollegen, bildete im besten Sinne eine Gemeinschaft. Und das schloss jede Berufsgruppe mit ein. Man kannte alle, die damals noch wenigen Kameraleute, Beleuchter und Bühnenhandwerker, die Tonmeister, ihre Assistenten, die Kolleginnen vom elektronischen Bildschnitt und natürlich die oft terminrettenden Kraftfahrer – vom Küchenpersonal ganz zu schweigen. Es gab noch keine Trennung zwischen Künstlern und Journalisten oder zwischen den Programmleuten auf der einen und den Technikern auf der anderen Seite. Das gesamte Personal des Senders in Adlershof mitsamt allen Technikern und Bürokräften zählte im Frühjahr 1953 wenig über zweihundert Personen.
3. Kapitel: Gemeinsame Erfolge – einsamer Sturz
Je mehr zustimmende, aber auch fordernde Briefe von der bald wachsenden Zuschauergemeinde kamen, desto stärker bedrängte die Programmseite ihre Kollegen von der Studiotechnik. Wenn es mit der Fertigstellung der Studios zu ebener Erde noch dauerte, musste eben nach einer Zwischenlösung gesucht werden. Und weil es die Techniker gut verstanden, haben alle gemeinsam ganz unkonventionell etwas improvisiert. So wurde am 1. Mai 1953 ein zweites, schon größeres Behelfsstudio im Raum der Kamera-Zugpulte in Betrieb genommen. Die gerade fertiggestellte zweite Ikonoskopkamera wurde auf einen flachen Film-Kamerawagen montiert und auf ein Stück Studioschiene gestellt, weil der ausgetrocknete Parkettfußboden sonst bei jeder Kamerabewegung laut geknarrt hätte. So konnte die Kamera nun sogar etwas vor- und zurückfahren.
Jetzt war es möglich, von einzelnen Spielszenen zu kurzen Szenenfolgen überzugehen, denen man mit gutem Willen bereits das Prädikat Fernsehspiel zuerkennen konnte. Erneut stand eine Arbeit Horst Heydecks am Beginn: Der hessische Landbote. Es war ein Zwanzig-Minuten-Spiel um Georg Büchners revolutionäre Flugschrift von 1833, der Obrigkeit derart suspekt, dass Büchner 1835 außer Landes gehen musste.
Die Hauptrolle eines kritisch-hilfsbereiten Dorfschullehrers übernahm der Nestor der deutschen Schauspielkunst: Eduard von Winterstein. Ihn konnte das enge Studio nicht davon abhalten, an der künstlerischen Erschließung einer womöglich neuen dramatischen Gattung mitzuwirken. Den Regisseur Otto Holub und seine Mitspieler verblüffte von Winterstein: Er kam schon zur ersten Probe mit komplett gelerntem Text, beschämte seine jüngeren Kollegen und half, durch eine äußerst konzentrierte Probenarbeit zu einer hervorragenden Sendung zu kommen. Noch viermal wurde die Inszenierung wiederaufgeführt, dann mit der Filmkamera fest-gehalten. So konnte sie noch mehrfach gezeigt werden.
Das neue Behelfsstudio erlaubte es auch, bereits fünf Tage später die erste heitere Szenenfolge über den Sender gehen zu lassen: Wehe, wenn sie losgelassen , eine Satire auf Herrenpartien am Vatertag, verfasst von Heinz Quermann, inszeniert von Gottfried Herrmann mit der außergewöhnlichen Sendelänge von 60 Minuten. Damit war die äußerste Belastungsgrenze für die Kameras erreicht.
Adlershof lag im Windschatten der Ereignisse
Einer noch erträglichen Belastungsgrenze für große Teile der DDR-Bevölkerung hatte sich eine rigorose Wirtschaftspolitik stufenweise genähert. Anfang April waren bestimmten Berufsgruppen, man sprach von sozialen Schichten , die Lebensmittelkarten entzogen worden, Ende Mai wurden die Arbeitsnormen per Dekret spürbar erhöht. Auch wenn sich das FZ um eine halbwegs aktuelle Berichterstattung bemühte, kann ich mich nicht erinnern, dass in dem allwöchentlich gesendeten Kommentar zum Zeitgeschehen über die Nöte der davon Betroffenen gesprochen wurde. Auch in der Sendereihe Wußten Sie schon? , die sich, wie es damals hieß, operativ mit volkswirtschaftlichen Problemen befasste, reagierte man nicht auf die Unzufriedenheit so vieler Mitbürger.
In Adlershof sprachen wir unter uns darüber, mehr geschah nicht. Und dann lief in vielen Betrieben und Institutionen eine Werbekampagne für eine Art von Arbeitsdienst mit vormilitärischem Charakter. Auch ich musste vor einem Gremium erscheinen. Ob ich es nicht auch als meine gesellschaftliche Pflicht ansehen würde, bei diesem Dienst für Deutschland dabei zu sein? Ich war über die Zumutung, wieder eine Uniform anziehen zu sollen, derart schockiert, dass ich mit der Feststellung, mein letzter Dienst für Deutschland habe mir am 2. Mai 1945 einen Lungensplitter eingebracht, den Raum verließ.
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