Hier schaltete sich der Notar mit der Bemerkung wieder ein, daß der Vertraute der Toten, der geschätzte anwesende Kollege wohl einen staatlichen Makler einschalten müsse, falls dies noch nicht geschehen sei; wie gesetzlich vorgeschrieben, gäbe es keine freiberuflichen Vermittler und wahrscheinlich auch ein Vorkaufsrecht der Gemeinde oder staatlicher Stellen, was zu prüfen sei.
»Ich habe Sie jetzt noch mit einigen, Sie und Ihre Schwester betreffende Einzelheiten bekannt zu machen.« Mit diesen Worten wendete sich der Anwalt den Legaten zu. Es handelte sich um Mobiliar, noch aus dem Besitz der Eltern und Großeltern der Erblasserin, allerdings mit mehr als bloßem ideellen Wert, etwa um ein zwölfteiliges Besteck in massivem Silber, weiter um ein kostbares Abendservice, ebenfalls von höherem Wert, um die Familienbilder der Eltern in Öl gemalt und einiges andere, wie zur Kenntnis zu nehmen sei. Wie diese Stücke den Nutznießern zuzuordnen seien, habe die Erblasserin nicht verfügt, sondern ihren beiden Schwestern die gütliche Einigung empfohlen.
»Herr Kollege?« Er reichte dem Notar die Kopie der Akte über den Schreibtisch, der nach einem kurzen Blick darauf, das Schriftstücke der Erbin dieses offenbar wertvollen beweglichen Nachlasses weiterreichte. Er fügte hinzu, daß die Annahme des Erbes bei ungesetzlichen Erben steuerpflichtig sei und demzufolge der zu erwartende Erlös durch einen Gutachter ermittelt werden müsse.
»Halten Sie das für nötig?«, fragte der Anwalt. »Ich habe jetzt die Kosten im Blick.«
»Das wird kaum zu umgehen sein«, sagte der Notar; er sprach die Nebenerbin zum ersten Mal seit Beginn der Verhandlung direkt an.
Morak, den diese umständliche Zeremonie verwirrte, ein Verfahren, von dem er jedoch annahm, es gehöre zur Routine des juristischen Betriebes, warf einen Blick auf ein Doppelblatt mit Beschreibungen und Zahlen und stellte überrascht fest, daß die Tote, daß seine verstorbene Gattin offenbar als eine wohlhabende Frau bezeichnet werden konnte. Zwar hatten sie beide als kinderloses Paar mit gut eingerichtetem Haus und einem Garten voller Obstbäume bis an das Seeufer hinunter reichend, als er selbst in der Stellung eines leitenden Ingenieurs gut verdiente, über nichts zu klagen gehabt, aber doch wohl bescheiden und nach ihren Möglichkeiten gelebt. Aber jetzt, bei der Feststellung des Vermögens der Verstorbenen begriff er, weshalb sich seine Schwägerin nicht mit einem Schreibschrank und einigen alten Leuchtern und was ihr sonst zugesprochen worden war, abspeisen lassen wollte und sich wie betrogen vorkam. Er wartete auf ihren Widerspruch, sah sie so lange erwartungsvoll an, daß der Anwalt aufmerksam wurde und die Frage stellte, ob sie die Schenkungen annehme.
»Ja«, sagte Isolde rasch, »natürlich, wenn meine Schwester das so wollte; ich finde nur, daß ... «, sie brach ab, fuhr dann aber geläufiger fort, »ist denn zu erwarten, daß Hanna, ich meine, das Fräulein Behrend, als die Haupterbin, jemals fähig sein wird, mit Geld umzugehen, sozusagen ihr Erbe anzutreten und ihr Vermögen selbst zu verwalten, meine Herren?«
»Realiter wohl kaum«, räumte der Anwalt ein, seine Rolle als Vertrauter der Verstorbenen wahrnehmend. »Ich denke aber, daß bis zur Volljährigkeit der Erbin erst einmal alles geregelt ist. Was in zwei Jahren sein wird, können wir nicht wissen. Ihrer Schwester war jedenfalls viel daran gelegen, ihr Pflegekind versorgt zu wissen. Oder wollen Sie das Testament in Gänze anfechten, Frau«, er sah rasch in die Akte, fand den Zunamen und wartete die Antwort auf seine Frage ab.
»Stehenden Fußes kann ich das unmöglich sagen, nicht ohne Rücksprache mit meiner Schwester. Alles kommt mir ein wenig plötzlich; ich will dem Mädel das ihr zustehende nicht entziehen, aber gleich das Haus verkaufen! Sie sagen, wir können nicht vorhersehen, was in zwei Jahren sein wird. Und weiter? Für ein ganzes Lebens wird es ja doch nicht reichen, und was geschieht eigentlich, wenn das Mädel stirbt?«
Der Notar suchte in der Akte herum, bis er die Stelle fand, auf die es ankam; er sah den Anwalt an, als der aber Zustimmung nickte, sagte der Notar: »In diesem Falle fällt alles an den Vormund zurück und zwar ohne Einschränkung.«
Die Nebenerbin sah nachdenklich vor sich hin. »Ist das so zu verstehen, daß mein Schwager wieder in den Besitz des Hauses kommt? Das ist ja merkwürdig.«
»Jedenfalls ist die Verfügung klar«, sagte der Notar. »Sie können das Erbe ablehnen und natürlich gegen diese letztwillige Verfügung gerichtlich vorgehen. Ihre Entscheidung könnte ich sie in einer Woche haben? Reicht das?«
»Gewiss, ich dachte, Sie könnten diese Dinge hier erledigen.«
Er schüttelte den Kopf.
»Erlauben Sie mir einen Hinweis«, sagte der Anwalt an alle gerichtet, »der Passus ist uns vielleicht nur entgangen; es handelt sich hier um keine Erbengemeinschaft.«
»Nun, das muss gerichtlich geklärt werden, wer zum Widerspruch berechtigt ist. Suchen Sie sich einen Anwalt, der sich in Familienrecht auskennt.« Der Notar wendete sich an Isolde, die er für das Haupthindernis in diesem Verfahren hielt. »Die Jugendhilfe wird allerdings das Recht des Kindes wahrnehmen wollen; durch dieses Testament ist das Amt an dem Verfahren beteiligt. Übrigens, es muss Ihnen nicht peinlich sein, gegen Ihre verstorbene Schwester zu klagen. In der Tat sind die Bedenken, die Sie hier vor mir geäußert haben, unter Umständen juristisch relevant, natürlich ohne einem Gerichtsurteil vorgreifen zu wollen. Herr Kollege?« bezog der Notar den beteiligten Anwalt mit ein.
Dem konnte es gleich sein, ob die Legate angenommen wurden oder ob ein Prozess anhängig wurde, bei dem er auf alle Fälle zu seinem Honorar kommen würde, aber er pflichtete seinem Kollegen bei. »So sehe ich es auch.«
»Ja«, sagte Isolde, wieder festen Boden unter den Füßen spürend, »das meine ich doch. Also, ich denke, wir werden alles in Ruhe überlegen müssen.«
»Damit«, sagte der Notar zu seinem Kollegen, »ist der Verkauf des Hauses wohl fraglich und hinfällig geworden. Sie sollten ihn nicht weiter betreiben, nicht bis zu Klärung dieser Angelegenheit.«
Beruhigend erklärte der Anwalt, die Sache läge noch gar nicht beim Makler, man habe Zeit genug.
»Schön«, geschäftsmäßig wendete sich der Notar an Morak. »Der zu erwartende juristische Einspruch Ihrer Schwägerin hätte aufschiebende Wirkung, Herr Morak. Sie können das Haus der Erbin solange nicht verkaufen, bis ein Gericht die Sache verhandelt hat, aber wie ich schon sagte, es müsste den Bedenken eben doch nachgegangen werden.«
»Und für jetzt? Was ändert sich da?« fragte Morak.
»Für Sie? Nichts. Sie sind ja an dem Verfahren nicht beteiligt, vorläufig nicht.« Er klappt den Aktendeckel zu, erhob sich und entließ die Klienten mit einer verbindlichen Geste.
Obschon Hanna von der Sache, die sie betraf, kaum etwas verstanden hatte, spürte sie, daß die Stimmung zwischen den beiden Erwachsenen getrübt und vonseiten Isoldes gegen sie gerichtet war. Sie ging zwischen beiden die Hauptstraße ins Hotel zurück, wo sie mit ihrer Pflegetante ein Doppelzimmer bekommen hatte, während Morak ein Einzelzimmer bewohnte; für ein paar Tage, wie er meinte. Ob in dieser Zeit eine Entscheidung fiel, für oder gegen sie, als Haupterbin, lag bei den beiden Erwachsenen, die auf dem Rückweg bedrückt und in Gedanken versunken schwiegen. Erst beim Empfang, als sie die Zimmerschlüssel beim Portier erhoben, schlug Morak vor, sich in einer halben Stunde im Vorraum des Hotels zu treffen, und ein Lokal zum Essen aufzusuchen.
»Rufe deine Schwester an«, riet er ihr, »ihr beide werdet ja wohl allerlei zu berappeln haben; sie wird ein Wörtchen mitreden wollen.«
Seine Schwägerin nickte, dann sagte sie in einem wärmeren Ton zu Hanna: »Na, dann komm mal, armes Tier, was machen sie bloß mit dir?«
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