Als Charisa am nächsten Tag wieder unter der mit Sternen verzierten Decke in der Schlafkammer des Schreins der Evocha aufwachte, stand sie schnell auf. Sie beeilte sich mit dem Waschen und dem Anziehen; sie war von Allen als Erste fertig. Sie und die Anderen wollten möglichst früh aufbrechen, denn niemand von ihnen wusste, wie lange es dauern würde, bis sie etwas gefunden hätten – oder ob sie überhaupt fündig wurden. Charisa frühstückte mit Barrex, Kira und Adnia zusammen in der Küche des Schreins, bevor sie den großen Hangar für die Waver in der Bergwand betraten. Die Fahrzeuge, die sich Charisa und ihre Kameraden bei den Bewohnern für ihren Einbruch bei Sasoru~ ausgeliehen hatten, standen wieder dort, wo sie vorher standen. Man erkannte eines von ihnen an den Schäden, die durch die Streifschüsse der Glanzhäute verursacht wurden. Es hatte mehrere Kratzer im Lack und ein Teil der Karosserie war ein wenig verbogen, doch es war noch fahrtauglich. Der Besitzer des Fahrzeuges hatte gegen die kleinen Schrammen nicht sonderlich viel einzuwenden, er rechnete eigentlich sogar mit einem schwereren Schaden, nachdem sein treues Gefährt Teil eines kleinen Angriffs auf die Silizoiden wurde. Doch die Beschädigungen interessierten ihn nicht, solange den Glanzhäuten auf irgendeine Art Schaden zugefügt wurde. Der Hass gegen unsere Peiniger saß tief in jedem Bewohner der Stadt, nachdem die Aliens unsere gesamte Zivilisation wortwörtlich zerfetzt hatten. Charisa, Kira, Adnia und Barrex stiegen in den SLS-Waver, der Adnia gehörte, dann fuhr das junge Mädchen den Motor hoch und sie schwebten durch das Hologramm, das den breiten Ausgang des Hangars verdeckte, hinweg über die bunten Pflanzen und dem Sonnenaufgang entgegen.
Das Glas der Fahrerkabine wurde automatisch dunkler, als die grellen Sonnenstrahlen auf das Fahrzeug trafen, sodass unsere vier Abenteurer nicht geblendet wurden. Langsam wurden die Ruinen von Tenoch, die man bereits in der fernen Wüste aus schwarzem Sand erkannte, größer und größer, bis der Waver über den Waldrand hinausflog und sich an den äußeren Bereichen der einstigen Metropole befand. Eine Straße mit völlig durchlöchertem und verwahrlosten Asphalt führte ins Innere der einstigen Großstadt, vorbei an einigen Hochhäusern, die verschiedenste Formen hatten; einige sahen aus wie mehrere aufeinander gestellte Oktaeder, andere wurden aus mehreren aufeinander gestellten Kugeln gebildet, bei denen immer abwechselnd ein Stockwerk aus einer, das darüber liegende Stockwerk aus zwei Kugeln gebildet wurde. Je weiter man ins Innere der Stadt sah, desto mehr nahmen die Gebäude eine Form an, die an die aztekische Kultur erinnerte; So hatten im Innern Tenoch´s die Gebäude die Form von aztekischen Gottheiten, wie Mixcoatl, der etwas an einen alten Mann erinnerte oder Xolotl mit seinem Hundekopf. Besonders beeindruckend war die große aztekische Pyramide in der Stadtmitte, dessen große Stufen nun nur noch verwahrloste und mit Moos und Ranken bewachsene Appartements enthielt, doch vor zehn Jahren war sie das größte Hotel des Planeten. Dieser Ort muss einmal eine wunderschöne Metropole gewesen sein.
Adnia flog weiter ins Innere der Stadt über der Straße hinweg, neben der links und rechts Kanäle verliefen, in denen sich das Regenwasser gesammelt hatte; hier fuhren vor langer Zeit einmal Boote entlang. Die Gebäude hatten zum Teil schwere Schäden in der Außenfassade, einige von ihnen waren zum Teil eingestürzt und andere vollständig kollabiert. Die Stadt machte einen düsteren Eindruck; auch nach dem Angriff und der Verwahrlosung der Stadt erkannte man immer noch den einstigen Wohlstand. Es war unheimlich; als würde die Stadt einen stummen, unendlich verzweifelten Schrei von sich geben. Einen Schrei nach Erlösung, Erlösung von der Zerstörung und Verwahrlosung. Adnia, Barrex, Charisa und Kira begaben sich über einige Brücken hinweg, die ebenfalls zum Teil eingestürzt waren. Die Brücken hatten einst eine Unterführung der Kanäle unter den Straßen hindurch geboten; heute waren sie nur noch den vor langer Zeit von Menschenhand angelegten Pflanzen im Weg, die sich ihren Weg in die Stadt hineingearbeitet hatten. Auch einige der Hochhäuser waren von Ranken durchbrochen worden, die jetzt wunderschöne und zugleich düstere Blüten zum Vorschein brachten. Aus einem der Löcher in den oberen Stockwerken eines Gebäudes, dass die Form von Quetzalcoatl, einer gefiederten Schlange annahm, startete gerade ein großer Vogel seine Flugrunden, um Nahrung für seine kleinen Küken zu suchen, die in einem Nest zwischen zwei Ranken quiekten. Für die Tiere boten die Häuser guten Schutz gegen Fressfeinde.
„Wir müssen an sinnvollen Orten suchen... Wir können nicht die ganze Stadt abklappern. Gibt es hier irgendeine alte Militärbasis oder irgendetwas in der Richtung?“, fragte Barrex, während Adnia den Waver über die mit Staub bedeckte, goldene Spitze eines einfachen Wolkenkratzers hinweg steuerte, die in den erbarmungslosen Kämpfen vor nahezu zehn Jahren abgebrochen und nun nur noch zwischen zwei der hohen Bauten eingeklemmt war. Die oberen beiden Stockwerke hingen noch an dem abgetrennten, spitz zulaufenden Dach und hatten sich in der äußeren Wand des Gebäudes verhakt, zu dem sie einst gehörten. „Ich weiß nicht... Fällt dir irgendetwas ein?“ Adnia blickte fragend zu Kira. „Leider nicht... Fliegen wir weiter ins Stadtzentrum, vielleicht entdecken wir dort etwas.“ Sie flogen also über den kleinen Platz vor ihnen hinweg, auf dem einige Pavillons um gewogene, kleine Rinnen standen; dieser Ort war einmal zur Entspannung gedacht, doch die verbrannten Dächer der Kleinarchitekturen trugen nicht gerade zur Beruhigung bei. Plötzlich hörten unsere vier Abenteurer ein lautes Geräusch hinter sich, als würde etwas an einer Wand entlang schaben; dem Geräusch folgte ein lauter Knall. Adnia drehte das Fahrzeug schlagartig um 180 Grad um zu sehen, was passiert war; die Spitze des Wolkenkratzers, die sich zwischen den beiden Gebäuden eingeklemmt hatte, war heruntergefallen und hatte ein Loch in den Boden geschlagen. „Warum fällt die ausgerechnet jetzt herunter? Das hat mich ganz schön erschrocken...!“, beschwerte sich die Pilotin. „Die Mauern der Gebäude sind wohl durch das Wetter nach und nach immer mehr abgenutzt worden... Offenbar so sehr, dass die lauten Geräusche eines Plasma-Antriebs jetzt ausgereicht haben, um die Konstellation zum Einsturz zu bringen.“, antwortete Barrex kombinierend. „Hey, was ist das?“ Kira kniff die Augen zusammen und begutachtete die Absturzstelle der Wolkenkratzer-Spitze. „Was meinst du?“, fragte Charisa überrascht.
Das Mädchen begutachtete die Umgebung, sah zunächst nichts – doch dann fiel auch ihr etwas in dem im Boden aufgerissenen Loch auf, in dem nur noch der goldene Zacken mit der darunterliegenden Kuppel des einstigen Wolkenkratzer-Dachs steckte. Die steinernen Stockwerke, die eben noch an ebenjener Spitze hingen, waren am Boden zerborsten und hatten den Durchbruch in den Steinplatten dabei noch größer gemacht. Nun sah man in der gerade neu entstandenen Vertiefung komplizierte Elektronik und zwei Gänge, die wohl unter den Platz mit den ausgebrannten Pavillons führten. „Gucken wir uns das doch einmal genauer an.“, sagte Barrex interessiert. Was sie dort wohl erwartete? Adnia sah sich am Boden um, aber sie fand keinen guten Landeplatz, also bewegte sie unter äußerster Vorsicht ihren Waver in einen der beiden Gänge, in den eines der Trümmerteile gefallen war. Sie benötigte ihr ganzes Können, um den Waver durch die engen Korridore zu manövrieren; doch sie schaffte es, das Fahrzeug am Ende des Tunnels in einen großen Raum zu bringen. Dutzende orangene Leuchten begannen, die seltsame Einrichtung mit Licht zu durchfluten, als sie in den Saal am Ende des Korridors eintraten. Es musste hier ein Notstromaggregat geben; Eines, das selbst nach fast zehn Jahren immer noch Energie führte. Adnia landete auf dem schwarzen Metall einer Plattform, die kreisförmig um eine Vertiefung in der Mitte des riesigen Raumes herum angelegt war. An der Wand standen mehrere, silberne Tische mit High-End-Quantencomputern darauf, vor den Tischen fand man mehrere Chefsessel mit kleinen Rissen in den Polstern. Auf einem dieser Schreibtische standen auch noch zwei Tassen mit viel zu altem Kaffee; der Angriff muss damals urplötzlich erfolgt sein.
Читать дальше