»Woher haben Sie diese Nummer?«
»Beziehungen«, antwortete Sam, ich legte auf.
»Sie sind unmöglich«, sagte er, als er kurz darauf erneut angeklingelt hatte, ich legte wieder auf.
»Lassen Sie mich rein«, verlangte er beim dritten Mal.
Ich drückte ihn weg und fragte bei Frau Berger nach, ob ihr junger Verehrer abermals vor ihrer Tür stände, was sie verneinte, mit Erleichterung in der Stimme.
Ich eilte hoch in das Büro in meinem Haus. Ursprünglich hatte es die Aktenordner mit Rechnungen, Steuerunterlagen, Versicherungspapieren und anderen Kram aufnehmen sollen, doch mittlerweile war es so etwas wie eine Überwachungszentrale geworden: Dort ließ sich die Alarmanlage steuern, die mein Haus sicherte, und dort lieferten auch die auf dem ganzen Grundstück verteilten Kameras ihre zumeist menschenleeren Bilder ab.
Ich warf einen Blick auf Frau Bergers Einfahrt und fand sie leer. Ich warf einen Blick auf meine eigene Einfahrt: Ein rostiger Mustang mit billigen Felgen, silbrigen Klebestreifen auf dem verschossenen Dach und einem falschen Außenspiegel stand vor dem Tor. Schief natürlich. Ich wurde wütend. Niemand wusste, dass ich hier wohnte, denn dieses Haus gab es nicht. Dieses Haus hatte keine Hausnummer, keine Anschrift. Es stand versetzt hinter dem von Frau Berger, und auch, wenn es dreimal größer war, existierte es dennoch nicht. Es war umgeben von einer zwei Meter hohen Mauer außen herum, die jedweden Blick in den Garten verhinderte. Kurz: Es war unmöglich, dass Sam wusste, dass ich hier wohnte. Unmöglich!
»Lassen Sie mich rein«, wiederholte er, als er das vierte Mal anrief.
»Woher haben Sie diese Adresse?«
»Telefonbuch.«
»Nein.«
»Doch. Die Adresse gehört zur Handynummer.«
»Es gibt keine Verbindung zwischen Nummer und Adresse. Es gibt noch nicht mal diese Adresse. Und die Telefonnummer auch nicht.«
»Trianguliert.«
»In dieser Funkzelle stehen Dutzende von Häusern.«
Sam lachte. »Okay, Sie haben gewonnen. Ich habe ein bisschen rumgefragt. Die Nachbarn waren nicht sehr auskunftsfreudig, aber der Bengel von gegenüber hat sich für einen Zehner zu gern daran erinnert, dass er vom Dachboden in einen Garten schauen kann, in dem sich ab und zu eine Frau sonnt. Die ziemlich blond, ziemlich schön und ziemlich reich ist. Und ich hatte das Gefühl, dass er des Öfteren davon träumt, Ihnen den Rücken einzucremen.«
Ich schauderte unweigerlich, denn Kinder waren am schlimmsten. Okay, der Junge war schon pickelige fünfzehn, wenn ich Frau Bergers Bericht über die Nachbarschaft richtig im Kopf hatte, aber das machte nicht viel aus. Kinder führten mich durch Jahrzehnte, und auch wenn ihr Innenleben meist noch ebenso angenehm und sauber war wie das von Sam, brachte die schiere Flut an Informationen über ihr Restleben mich immer noch zum Kotzen. Ja, Kinder würden meine Bewährungsprobe sein, wenn ich meine Selbstbeherrschung perfektioniert zu haben glaubte, zurzeit waren sie unerträglich. Ich konnte mich ihnen nur mit starr auf den Boden gerichtetem Blick nähern, also näherte ich mich ihnen gar nicht. Ich schauderte erneut, ballte meine Wut wieder zusammen und richtete sie auf Sam.
»Ich empfange hier nicht«, sagte ich.
»Sie sollen mich ja gar nicht empfangen«, erwiderte er. »Das klingt so offiziell. Ich besuche Sie einfach nur. Mit leeren Händen, okay, aber das kann man ja ändern. Ich kann Kuchen mitbringen. Mögen Sie Kuchen? Oder Pizza? Sushi, Chinesisch, Thailändisch? Bei mir um die Ecke hat neulich ein Perser aufgemacht. Möchten Sie Persisch versuchen?«
»Ich lasse hier niemanden ein. Gehen Sie.«
»Dann sterbe ich also.«
Es klang verzweifelt und fatalistisch: armer Sam.
»Nicht unbedingt.«
»Sie haben doch gesagt, dass er ... Erfolg haben wird. Mit seinem Plan. Mich zu töten.«
»Ja, aber das war der Stand von vorvorgestern. Finden Sie heraus, wer es ist, warum er es tun will und schaffen Sie den Grund aus der Welt. Dann werden Sie leben.«
»Das ist mir nicht genug. Ich möchte das mit Ihnen zusammen machen. Wie Sie es gesagt haben: Ich denke nach, Sie überprüfen. Ich zahle auch dafür.«
Ich lachte. »Vom Saulus zum Paulus.«
»Nein.«
»Ah. Sie glauben immer noch nicht dran, wollen aber auf Nummer sicher gehen.«
»Ja.« Er sprach dieses kleine Wörtchen etwas zögernd aus, als würde er sich für diese Haltung schämen.
»Ich glaube eher, dass Sie sich vor Angst in die Hosen machen.«
»Und Sie stört das scheinbar gar nicht, oder? Sie machen mir Todesangst, und es kratzt Sie einen Scheißdreck, ob ich verrecke.«
»Solange Sie es nicht vor Frau Bergers Haustür tun – ja.«
»Sie sind unmöglich.«
»Mag sein, aber das ist unerheblich. Sie brauchen mich nicht, um Ihr Problem zu lösen, das können Sie selbst. Denken Sie einfach über Ihr Leben nach, Sam. Denken Sie darüber nach, wer Sie töten will und warum. Aber nicht hier.«
Tag 5 – Donnerstag, 3. August
Frau Berger kam am nächsten Morgen um halb neun, die Handwerker zehn Minuten später. Ich verbrachte die folgenden Stunden in meinem Büro Schrägstrich Wachzimmer und sah ihnen über die Kameras bei der Arbeit zu.
Sie waren schnell und schwitzten unter der glutheißen Sonne wie die Schweine. Einer der Männer verschwand in einem Busch, wahrscheinlich zum Pinkeln. Ein anderer schaufelte sich mit beiden Händen Wasser aus meinem Pool ins Gesicht – ich runzelte die Stirn und überlegte, ob ich das Wasser einmal komplett austauschen sollte. Wollte ich fremden Männerschweiß auf der Haut haben, wenn auch in homöopathischer Verdünnung?
Gegen Mittag waren die Gärtner fertig und gingen. Frau Berger folgte ihnen bald darauf, ich studierte die Bedienungsanleitung für mein neues Bewässerungssystem. Als auch Kasimir sein kugelrundes Bäuchlein durch die Hecke gequetscht hatte und mein Rasen wieder verlassen war, justierte ich über den Computer die Sprenger auf der linken Seite nahe der Haustür so, dass sie alle einen bestimmten Busch unter Wasser setzen. Zeitgesteuert, in drei Minuten, und diese Zeit nutzte ich, um mir die Waffe aus dem Tresor im Erdgeschoss zu holen. Ich brauchte sie eigentlich nicht, hatte ich doch ein anderes, viel wirkungsvolleres Mittel, um mich zu wehren - doch so weit war Sam dann doch noch nicht gegangen.
»Scheiße!«, rief Sam, als die gebündelten Strahlen von drei Sprengern seinen Busch in einen Regenwald verwandelten. Er brach tropfend aus den Blättern hervor, ich verzog den Mund, als er mit seinen heute dezent schwarzen Tennisschuhen meinen schön gerechten Kies zertrampelte.
»Ich empfange hier niemanden«, sagte ich, die Waffe auf Sam gerichtet, die Augen starr auf den Boden vor seinen Füßen. Er hatte nur noch ein kurzes Leben zu erwarten, aber ich konnte es mir dennoch nicht erlauben, ihn anzusehen, in ihn einzutauchen: Dann war ich geistig weg, abgelenkt von Magensäure und den Szenen seiner Zukunft. Und 'weg sein' vertrug sich nicht gut damit, dass man eine geladene Waffe in der Hand hatte und einen Einbrecher im Garten. Einen Einbrecher, dessen Lebenszeit unaufhörlich vor sich hin tickte, der nicht viel zu verlieren hatte.
»Gehen Sie. Diese Richtung«, sagte ich und zeigte mit der Waffe zum Tor.
»Bitte«, sagte Sam und machte ein paar Schritte auf mich zu. Zertrampelte mehr Kies, streifte einen Busch, von dem hitzemüde Blütenblätter zu Boden rieselten. Ich hob meinen Blick etwas und behielt seine Hände im Blickfeld: tropfnass, auf Höhe der Hüfte.
»Raus«, sagte ich und richtete die Waffe wieder auf Sam.
»Bitte. Nur eine Stunde. Ich habe das Geld dabei.«
»Machen Sie einen Termin«, sagte ich, er lachte bitter.
»Wann war noch mal was frei? Im Januar, oder? Prima, ganz prima.«
»Raus.«
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