Er hörte das Geräusch von Leder auf Leder. Kramte sie in irgendeiner Tasche?
»Gib’s auf, alter Mann. Wenn er in den letzten 52 Jahren nicht zu dir gesprochen hat, wird er es jetzt auch nicht tun.«
Es raschelte wieder.
»Er hat kein Interesse an dir, okay? Gott hat keinen Bock auf dich. Such dir ein anderes Hobby.« Sie nuschelte jetzt, als hätte sie etwas im Mund.
Er hat zu mir gesprochen, dachte Cullen. Er hat mir einen Auftrag erteilt. Es war ein Telefonanruf gewesen, aber er hatte ihm die Augen geöffnet.
»Wie niedlich. Gott hat dich angerufen. Das macht er immer so. Hat er seine Rufnummer unterdrückt, oder wirst du seine Telefonnummer bei deiner nächsten Predigt durchsagen?«
Die Frau lachte laut auf. Der frivole Klang ihrer Stimme entweihte den Ort. Nein, niemand konnte diesen Ort entweihen, dazu hatte sie nicht die Macht.
»Der Einzige, der hier irgendetwas entweiht, bist du, Reverend .« Das letzte Wort hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. »Und was deinen Auftrag angeht – wie kann dir jemand etwas sagen, der nicht mit dir spricht? Hm?«
Eine Weile sagte sie nichts. Cullen hoffte bereits, dass sie das Interesse verloren hatte und ihn verließ. Dass sie einmal, nur ein einziges Mal von ihm abließ.
Dann hörte er das Aufschnappen eines Feuerzeugs. Zündete sie sich etwa eine Zigarette an? Hier?
»Ja, stell dir nur mal vor. Genau das mache ich.«
Cullen spürte seine Knie kaum noch. Doch der Schmerz tat gut, er fühlte sich echt an.
»Ach Cullen, Cullen. Glaubst du, Gott liebt dich, weil dir deine Knie wehtun?« Sie sog den Rauch tief in ihre Lunge und stieß ihn langsam aus.
»Gott weiß gar nicht, dass es dich gibt. Du bist ihm scheißegal.«
Die Bank knarrte, als sie aufstand. »Und wenn er es wüsste, könnte er dich nicht leiden.«
Sie spuckte ihn an. Cullen spürte ihren Speichel warm an seinem Gesicht herablaufen. Er presste die Augen noch mehr zusammen.
»Oh, entschuldige, das macht dich womöglich an, was? Bist du jetzt geil?«
Führe mich nicht in Versuchung, Dämon.
»Sondern erlöse uns von dem Bösen. Und das bist du, Cullen.« Er hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde, und wusste, dass sie sich auszog.
»Oh«, rief sie in gespielter Überraschung aus. »Ich habe ja gar nichts drunter.« Ihre Stimme klang jetzt lasziv, fast weich. »Hab ich glatt vergessen.«
Cullen hörte, wie ein Kleidungsstück zu Boden fiel. Dann noch eines. Er spürte, wie seine Erregung wuchs. Es machte ihn wütend, dass er nichts dagegen tun konnte.
Das ist nicht real, dachte er. Das ist nicht real. Als er die Augen öffnete, stand sie nackt bis auf ihre roten Highheels vor ihm. »Ohhh, Reverend, ich war ein böses Mädchen.« Sie nahm die Zigarette aus dem Mund, hielt sie in der rechten Hand und umschloss die Glut mit ihrer linken Faust. Ihre Scham war so nahe vor seinem Gesicht, dass er jedes einzelne der zarten, roten Haare erkennen konnte.
Sie öffnete die Hand und zeigte ihm die schwarze Brandwunde.
»Gefällt dir das?« Fragend legte sie den Kopf schief. Dann schüttelte sie ihn traurig. Dabei bebten ihre vollen Brüste mit den zartrosa Nippeln.
»Nein, sieht nicht so aus. Dabei wollen wir dir doch gefallen, oder? Das ist doch der einzige Grund, warum junge Frauen sich sexy kleiden. Damit perverse Säcke wie du sich daran aufgeilen können.«
Suchend sah sie sich um. Der weiße Leib schimmerte wie Elfenbein in dem halbdunklen Raum. Ihr Blick fiel auf den Altar. »Ich habe eine Idee.« Sie zwinkerte ihm zu. »Das wird dir gefallen, Reverend.«
Sie trat zu dem schmucklosen, weißen Tisch. Sie strich mit dem Finger über einen der silberfarbenen Kerzenständer, nahm dann schnell das massive Kruzifix aus Messing vom Tisch. Sie schloss die Augen und küsste den stilisierten Jesus, dann ging sie in die Hocke. Sie spreizte die Beine, so dass Cullen ihre geheimsten Stellen sehen musste, ergriff das Kruzifix mit beiden Händen und –
»Nein! Hör auf!« Schnell stand Cullen auf und wandte sich zum Gehen.
»Warum denn? Liebst du unseren Herrn Jesus nicht? Ich möchte dir zeigen, wie ich ihn liebe.«
Cullen Hopefield hastete zwischen den Sitzreihen hindurch zum Ausgang.
»Ohh … ist der dick. Sieh doch her, Reverend! Du verpasst ja das Beste.«
Er öffnete die Tür und gleißendes Sonnenlicht fiel ins Innere der Kirche.
»Lauf doch, aber ich sehe, wie es dir gefällt, –« Ihre letzten Worte verhallten ungehört, als das Tor ins Schloss fiel. Schwer atmend lehnte er sich von außen dagegen. Eine sinnlose Geste, das wusste er, denn Conny würde ihn immer begleiten. Aber noch nie hatte sie ihn in einem Gotteshaus heimgesucht.
Ein Truck fuhr mit durchgedrückter Hupe auf dem Highway vorüber, der Geruch von heißem Asphalt und Abgasen lag in der Luft.
Vielleicht war es ein Zeichen. Vielleicht wusste der Satan von seinem Auftrag und wollte ihn daran hindern.
Jammerschade, dass ich die Blonde später nicht mehr sah, weil Anderson und die Leute, denen er Bericht erstattete, tatsächlich angetan waren von meiner Idee. Ich opferte mein Liebesglück auf dem Altar meines Erfolgs. Sozusagen.
Jedenfalls saß ich ein paar Stunden später in einem Hubschrauber, umgeben von klug aussehenden Brillenträgern, die meine Idee und die weitere Vorgehensweise mit mir diskutieren wollten. Und die Frage, ob ich wirklich daran glaubte. Komische Frage an einen Werbefuzzy. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich jemals ein Kunde gefragt hätte, ob ich seine Schokolade tatsächlich für die beste der Welt hielt. Was sollte ich also sagen? Hing von meiner Antwort ab, ob ich weiter gebucht wurde? Also machte ich eine Pause, wiegte den Kopf und ließ durchblicken, dass es ja nicht darauf ankomme, was ich glaubte.
Es gibt eine tiefe Werberweisheit, die meist dann hervorgekramt wird, wenn man mal wieder etwas fabriziert hat, das so richtig scheiße ist: Dem Fisch muss der Wurm schmecken, nicht dem Angler.
Naja, wir suchten erst einmal einen geeigneten Wurm. Die Ausführung hat mich eigentlich schon immer gelangweilt, ich bin eher der Typ, der die Idee beisteuert und die lästige Ausarbeitung den anderen überlässt. Seitdem ich frei arbeitete, sorgte außerdem meist schon mein relativ hoher Tagessatz dafür, dass es so lief und irgendein Festangestellter oder Junior sich dann mit der Exekution meiner Idee herumärgern musste. Obwohl ich pflichtschuldig jedes Mal anbot, an der Idee weiterzuarbeiten.
Aber diesmal wollten sie mich – richtig lange. Und bei dem Kunden spielte Geld offensichtlich ohnehin keine Rolle. Ich beschloss, so lange in der warmen Badewanne des Erfolgs (und des Geldes) liegen zu bleiben, wie es ging. So eine Chance, dachte ich mir, kommt vielleicht nie mehr im Leben. Ach ja, und die Welt zu retten war ja auch ein stärkerer Anreiz als den Leuten eine bestimmte Marke für Zuckerwasser schmackhaft zu machen. Nur schade, dass ich vermutlich niemals jemandem davon würde erzählen können.
Mit großem Genuss malte ich mir immer wieder aus, was ich später mit der ganzen Kohle anstellen wollte. Normalerweise bin ich für Reisen sehr zu haben, aber da der Job diesmal hauptsächlich darin zu bestehen versprach, um die Welt zu fliegen, dachte ich, dass ich diesmal eher keine Lust auf noch mehr davon haben würde. Ich spielte mit dem Gedanken, mir ein neues Fahrrad zu kaufen, ein Rennrad mit allem Drum und Dran. Ich würde einfach in den Fahrradladen gehen, wo sich mich ausgelacht hatten, als ich nach einem Fahrrad unter 400 Euro gefragt hatte, und mir eines mit den edelsten und teuersten Komponenten bauen lassen. Aha der Umwerfer mit dem schicken italienischen Namen kostet 499 Euro? Was ist überhaupt ein Umwerfer – ach egal, ich bauen sie ihn ein. Es sei denn, Sie haben noch einen besseren. Außerdem werde ich mir endlich den sündhaft teuren Whisky kaufen, den dieser Online-Händler immer in seinem Newsletter bewirbt. Den, von dem nur 500 Flaschen abgefüllt wurden. Und dann würde ich mir noch 1000 weitere kleine und große Wünsche erfüllen. Warum nicht? Man lebt schließlich nur einmal.
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