„Bossel, wie lange arbeiten Sie denn schon für Ihre Firma?“
„Ein paar Jahre.“
„Sie sind wahrscheinlich viel auf Reisen.“
Bossel öffnete die Augen. „Wenn es sich nicht vermeiden lässt.“
„Ich freue mich immer wieder hierher zu reisen. Sie nicht?“
„Hmmmh.“
„Waren Sie schon oft in Madagaskar?“
„Bestimmt nicht so oft wie Sie.“
„Warum? Gefällt Ihnen das Land nicht?“
Bossel lachte.
„Warum waren Sie denn das letzte Mal hier?“
Bossel starrte ihn an.
„Wissen Sie, Professor, lassen Sie uns ganz auf diesen Auftrag konzentrieren. Ich will, dass diese Sache schnell, reibungslos und effizient abläuft. Keine Sperenzchen, kein Aufsehen, kein Gar Nichts. Wir gehen dahin und fliegen in einer Woche mit dem Pekulani wieder zurück.“
„Klar.“
„Ein paar Dinge müssen wir vorher noch klären. Punkt eins. Ihr Name.“
„Was ist damit?“
„Er ist zu auffällig. Und das wollen wir nicht.“
„Gut.“
„Ich denke, es ist besser, Sie sagen niemandem Ihren richtigen Namen, Professor. Suchen Sie sich irgendetwas Unauffälliges aus. Meier, Koch oder Schmidt.“
„Okay. Ich nehme Müller. – Und was tue ich?“
„Was?“
„Was tue ich hier in Madagaskar?“
„Nichts was in irgendeiner Weise Verdacht erwecken könnte.“
„Also zum Beispiel Reiseführer.“
„Nein. Reiseführer verbringen viel Zeit mit Gebäuden und Städten. Und das machen wir nicht.“
„Dann besser Tierforscher.“
„Klingt gut. Punkt zwei. Erwähnen Sie nie den Pekulani. Wir wollen auf keinen Fall Aufsehen erregen.“
„Verstanden.“ Obgleich Yanick nicht so ganz klar war, warum die Suche nach einem Wasservogel Aufsehen verursachen sollte.
„Punkt drei. Ich muss morgen in die Stadt. Vorher brauche ich Ihren Rat, was ich alles für unsere Suche brauche.“
Wie fängt man einen Wasservogel, fragte sich Yanick. Er wusste es nicht. „Was… was haben Sie denn bereits alles?“
„Ich habe natürlich einen Rucksack, Karte und Kompass…“
„Welche Auflösung?“
„Bitte?“
„Die Karte. Welche Auflösung?“
„Meine ist 1:30000.“
„Das wird voraussichtlich reichen. Was ist mit Ihrem Rucksack?“
„Was soll mit ihm sein?“
„Wie alt ist er?“
„Puhl. So fünf Jahre. Wie die anderen Sachen auch. Ich habe ihn schon Kongo benutzt. Das war vor zwei Jahren. Er müsste noch tauglich sein.“
„Wahrscheinlich schon. Ich müsste ihn natürlich in Augenschein nehmen. Ebenso wie die anderen Ausrüstungsgegenstände. Das machen wir am besten vor Ort. Was ist mit Punkt vier?“
Bossel starrte ihn an. Dann nickte er. „Punkt vier erfahren Sie morgen. Dann machen wir unsere Lagebesprechung. Ruhen Sie sich jetzt am besten aus. Dort unten wird es anstrengend genug.“ Damit lehnte Bossel sich zurück und schloss die Augen.
Yanick atmete tief durch. Bossel hatte geschluckt, dass sie die Ausrüstung erst am nächsten Tag besprachen. Dennoch musste er bis dahin wissen, was man für die Suche braucht.
In Antanarivo, der Hauptstadt von Madagaskar, wechselten sie das Flugzeug. Yanick erfuhr das nächste Flugziel: Sambava.
Im Reisejournal suchte Yanick nach einer Karte mit den madagassischen Flugverbindungen. Sambava war darauf als Küstenstadt eingezeichnet. Glück gehabt, dachte Yanick. Das kleine Städtchen Doany musste irgendwo in der Nähe sein. Wenig später hob die halbvoll besetzte Cessna von Air Madagaskar vom Boden ab.
Yanick dachte über Bossel nach. Seine durchtrainierte Figur konnte einen leicht in die Irre führen. Bei durchtrainierten Menschen denkt man oft, sie seien etwas unterbelichtet. Großer Bizeps, kleines Hirn.
Die Rechnung schien in seinem Fall nicht aufzugehen.
Bossel hatte sich auf dem Flug bisher nicht besonders gesprächig gezeigt. Und das lag vermutlich nicht daran, dass er schüchtern war oder sich seines niedrigen Bildungsstands gegenüber einem Professor schämte.
Eher hielt er es nicht für notwendig viel zu reden. Sie waren geschäftlich unterwegs, sie wollten einen Pekulani fangen.
Das war alles.
Yanick würde es doch nicht so einfach haben, sich hier ein paar schöne Tage zu machen. Bossel war zielstrebig und würde nicht eher ruhen, bis sie den Pekulani gefunden hatten. Und wenn sie eine Weile lang erfolglos herumsuchten, würde Bossel mit Sicherheit unangenehm werden.
Also musste Yanick den Pekulani so schnell wie möglich finden. Das Wichtigste war erst einmal alles über das Wasservögelchen zu erfahren. Und ohne Verdacht zu erregen. Und wenn er wusste, wie der Pekulani aussah, musste er noch herausfinden, wie man ihn einfängt.
Yanick hatte noch nie einen Vogel eingefangen und seine Ausrüstung passte perfekt zu einem Strandausflug nicht jedoch zu einer Jagd.
Und da war noch etwas, was an ihm nagte.
Etwas Dunkles.
Kongo.
Bossel erwähnte eine Reise nach Kongo. Was fällt einem bei Kongo zuerst ein? Wälder. Natürlich gab es in Kongo auch Strände. Kleinere Strände. Aber bekannt war Kongo durch seinen Urwald.
Yanick verscheuchte den Gedanken und schloss die Augen. Ein schöner Greifvogel breitete seine Schwingen aus. Er zog seine Kreise über der rauschenden Meeresbrandung.
Die Cessna senkte kaum merklich die Nase nach unten und ging in den Landeanflug über.
„In Sambava werden wir abgeholt“, meinte Bossel. „Ich habe uns in Doany eingebucht. Es liegt nahe der Region, in der Sie den Pekulani gefunden haben. Viel näher als der Ort Mambato, von dem Sie das letzte Mal gestartet sind.“
„Doany… ausgezeichnet.“
„Ich hoffe, es kennt Sie dort niemand vom Sehen.“
„Verstehe, deswegen in Doany und nicht in Mambato.“
Als sie das winzige Flughafengebäude von Sambava verließen, wartete ein Madagasse auf sie. Er hieß Louis. Sein Grinsen wirkte so, als finge es an einem Ohr an und höre am anderen Ohr auf. Er verstaute ihr Gepäck in einem verbeulten Land Rover.
Im Wageninneren hockten bereits sechs andere Mitfahrer. Yanick nahm auf der hintersten Sitzreihe Platz. Bossel saß eine Reihe weiter vorne neben einer schwarzhaarigen Frau. Yanicks Blick glitt über ihren zarten Nacken.
Louis lachte über etwas, was Yanick nicht verstand, dann ließ er den Wagen an. Er fuhr mit dem Land Rover quer durch Sambava. Yanick verfolgte das Geschehen auf den Straßen. Wie die Menschen sich hier bewegten! Die Frauen schritten mit wiegenden Hüften über die staubigen Straßen. Eine Frau heftete einen Aushang an die Wand eines Holzhauses und glättet das Papier, als wenn man einem Kind über den Kopf strich. Im Umdrehen konnte Yanick noch die Schilder erkennen, die über dem Eingang prangten. ‚Sambava Voyage’ und ‚Marojezy Reservat’ war dort zu lesen.
Yanick sah sich um, ob er ein Gebäude in dem Gewirr aus kleinen Häusern gab, das er wiedererkennen würde.
„Louis! Wie heißt diese Kirche noch mal?“, fragte Yanick.
„Das ist die Santa Andreas. Sie ist vor einigen Jahren abgebrannt. Der vordere Teil ist schon wieder restauriert.“
Louis beschleunigte und fuhr aus dem Zentrum von Sambava hinaus. Sie verließen die Stadt, rechterhand war das Meer zu sehen. Bald darauf bogen sie ab und ließen das Meer in ihrem Rücken.
Yanick knetete an seiner Oberlippe.
Die Straße wand sich die Berge hoch. Sie erreichten eine Bergkuppe und danach führte die Straße sanft abwärts. Doch es ging nur ein kurzes Stückchen bergab, dann führte die Straße wieder hinauf. Yanick drehte sich um und sah das Meer entschwinden. Von jetzt an fuhren sie durch Ackerland, das immer wieder von Wäldern durchbrochen wurde.
Auf einmal bemerkte Yanick, wie sich Bossel straffte. Louis ging vom Gas herunter und hielt den Land Rover an. Vor einer Brücke hatten vier Soldaten eine Straßensperre aus einem Holzbalken, der sich wie eine Bahnschranke heben und senken ließ, errichtet.
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