Auf dem Schiff sind auch ein paar Mädchen in meinem Alter. Keine ist so schön wie Lisa. Keine nimmt es mit ihr auf.
Da. Mein Handgelenk beginnt zu flashen. Lisas Avatar erscheint über meinem Display. Sie sieht gut aus. „Hi, Lars. Hier ist alles super. Mir geht es gut. Ich hoffe bei dir ist auch alles OK. Danke für deine Nachrichten. Liebe Grüße von deiner Lisa.“ Lisas Avatar verschwindet wieder in meinem Handgelenk. Ich schaue auf den Messenger. Das war eine gespeicherte Nachricht. Sie hat sie heute Morgen aufgezeichnet. „Von deiner Lisa“ hat sie gesagt. Wie schön. Meine Lisa. Ich bin so glücklich, von ihr zu hören. Lisa denkt an mich. Und ich denke an Lisa.
„Na, ist alles OK, Lars?“, will Papa wissen.
„Ja. Alles super.“
„Machst du bitte ein Foto von mir und Heidi, Lars?“
„Ja.“ Das Bild gelingt mir. Ich sende es sofort Papa und Heidi.
Und schon kommen wir auf der Insel an. Heute habe ich Hunger für zwei. Wir setzen uns auf die große Terrasse und blicken auf den botanischen Garten.
„Ich nehme wieder eine gute Maronensuppe. Und danach den Seehecht, Papa.“
„Also, im Gegensatz zu gestern hast du ja heute wieder einen richtig guten Appetit.“
„Ja, Papa.“ Ich lächele. Ich fühle mich phantastisch.
Der Ober nimmt unsere Bestellung auf. Kurz nachdem die Getränke gekommen sind, hat Papa eine tolle Idee: „Ich mache einen kleinen Film von uns mit meiner Minidrohne. Was denkt ihr?“
„Ja, das wird eine schöne Erinnerung werden“, sagt Heidi.
Papa lässt die Drohne aufsteigen und schaltet kurz danach auf Handbetrieb. Er sieht simultan den Film auf seinem Handgelenk. „Und jetzt komme ich näher. Schau nur Heidi, wie schön.“
Heidi blickt auf Papas Hologramm über dem Display. Dann kommt sie ins Stocken. „Und was ist das für ein strohfarbener Dschungel, der um die Drohne wirbelt?“
Eine Frau am Nachbartisch schreit auf. „Eeeh, da ist irgendwas in meinem Haar. Eeeh, ist das ekelig. Ist das ein Ungeziefer?“ Das müssen auch Deutsche sein.
Der Mann, der mit der Frau sitzt, versucht, mit der Speisekarte das Ungeziefer aus ihrem Haar zu vertreiben. Er fächert mit der Karte hin und her. Dann schreit er auf: „Das ist ja eine Drohne. Welcher Idiot hat hier eine Drohne losgeschickt?“
Papa hält seine Hände, mit denen er die Drohne steuert, sofort unter den Tisch. Schnell schaltet er auf Automatiksteuerung um.
Zu spät. Die Drohne hat sich fest im Haar der Frau verfangen. Ihre Haare verwirbeln zu einer Art Dutt. Sie sieht ganz unglücklich aus. Der Mann schlägt ihr mit der Karte auf den Kopf. Aber die Drohne fällt nicht aus dem Haar. Die Frau schreit nochmal auf. „Abschneiden. Ich werde die Haare abschneiden müssen. Wir kriegen das Ding da nie mehr raus.“
Der Mann läuft immer wieder um die Frau. „Wenn ich diesen Trottel erwische, dem die Drohne gehört…“
Unser Essen kommt.
Nach drei Wochen im Tessin sehe ich Lisa wieder. Endlich. Ich habe sie zum Tee eingeladen. Papa und Heidi sind zusammen zur Saalburg gefahren, um dort spazieren zu gehen. Ideale Bedingungen. Heute werde ich es Lisa endlich sagen können. Ich liebe sie so sehr. Ich werde nie mehr in meinem Leben einen Menschen so sehr lieben wie Lisa. Heute ziehe ich das durch.
Es klingelt. Lisa. „Hallo!“
„Hi, Lars. Es riecht hier ja schon nach Earl Grey. Super.“
Wir gehen in mein Zimmer. Meine beiden Sitzkissen habe ich ganz dicht zusammen gestellt. Lisa schiebt ihr Kissen erst einmal von meinem fort. Dann nimmt sie Platz. Ich habe für jeden ein Schokoladencroissant besorgt. Lisa liebt Schokoladencroissants. „Perfekt, Lars. Du kennst mich.“
„Wie war dein Urlaub? Du musst ja jeden Tag gesegelt sein.“
„Ja. Das bin ich.“
„Erzähle mal.“
„Ich bin jetzt am Himmel richtig zuhause. Der Segelflugschein ist ja nur der Anfang. Ich habe sogar einen Tandemsprung gemacht.“
„Mit dem Fallschirm?“
„Na, klar mit Fallschirm. Ohne ist ja nicht so ratsam. Und wie war es im Tessin?“
„Schön. Ich kenne da ja schon alles. Ich habe dich vermisst. Ich möchte dir sagen, dass…“
Über Lisas Handgelenk flasht eine neue Nachricht rein. Lisa liest. Es dauert nicht lange. Sie lächelt. Dann schaut sie mich wieder an. „Ich gehe übrigens jetzt mit Brian.“
Ich bleibe regungslos. Hat sie eben gesagt, sie gehe mit einem Brian? Sie hat gesagt „Ich gehe übrigens jetzt mit Brian.“ Das hat sie tatsächlich gesagt. Ich erlebe diesen Moment wie in Zeitlupe.
„Ach, du wolltest doch eben etwas sagen. Ich hatte dich unterbrochen. Entschuldige bitte. Fange doch noch mal an, Lars.“
„Ach … nichts.“
Brian. Kein Mensch heißt Brian. Ich kenne keinen Brian. Was für ein blöder Name. Ich wollte, ich hätte auch seinen Nachnamen. Dann würde ich das Internet nach ihm abscannen. Woher kennt Lisa diesen Brian? Ich würde zu gern ein Foto von ihm sehen.
Welche Bedeutung hat dieser Name überhaupt? Hier. Da steht es.
Der Name Brian ist keltischer Herkunft und bedeutet „hoch“ und „edel“. Er ist in Irland populär und wurde durch irische Einwanderer auch in England und Schottland verbreitet.
Ich finde den Namen doof. Wie kann Lisa nur auf so einen abfahren? Auf unsere Schule geht der jedenfalls nicht. Glaube ich. Ich meine, ich würde es wissen, wenn es bei uns einen Brian gäbe.
Wie kann ich Informationen über Brian bekommen?
Ich denke hin und denke her. Ich glaube, ich kann nur von Lisa selbst Informationen bekommen. Aber ich schäme mich, sie nach Brian auszufragen. Das wäre ja irgendwie total peinlich. Nee. Das mache ich nicht. Auf gar keinen Fall. Das geht gar nicht.
Wenn Lisa eine beste Freundin hätte, dann könnte ich die nach Brian ausfragen. Aber Lisa hat keine beste Freundin. Lisa hat mich.
Ach, ist das alles doof.
Liebes Tagebuch,
heute fühle ich mich ganz elend. Lisa geht jetzt mit Brian. Und ich kenne ihn überhaupt nicht. Und Lisa kenne ich auch nicht mehr.
In der Schule lesen wir gerade Die Leiden des jungen Werther. Ich sehe das Buch jetzt in einem ganz neuen Licht.
„Es scheint, es genügt, einen Menschen zu lieben, um auch die anderen liebenswürdig zu finden.“ – Das ist auch von Johann Wolfgang.
Nur bei mir ist der Effekt genau anders herum. Wenn Lisa mich nicht liebt, gehen mir alle anderen Menschen auch auf den Senkel.
Wie schön war es, als ich Lisa noch ganz allein für mich hatte. Jetzt denke ich an unseren Tag auf dem Flohmarkt. Das war schon toll. Was wäre gewesen, wenn ich Lisa schon früher gesagt hätte, dass ich sie liebe? Dann wäre ich diesem Brian zuvorgekommen. Dann wäre alles anders gekommen.
Jetzt werden die Wochenenden besonders lang ohne Lisa. Ich hasse von jetzt an Freitag bis Sonntag. Ich hoffe, dass sich meine Enttäuschung bald wieder legt. Ich ärgere mich so über meine verpassten Chancen. Ich hätte das mit meiner Liebeserklärung einfach durchziehen sollen. Ich war zu zaghaft. Ich sehe schon, beim Lieben muss man kaltblütiger sein.
Am liebsten würde ich jetzt weinen.
„Also Lars, ich muss schon sagen, dass das richtig abstoßend ist, wie uninteressiert du bist.“ Lisa liest mir die Leviten. „Du hättest mich zumindest einmal fragen können, wer Brian ist, wie er so ist, wo ich ihn kennengelernt habe und was ich an ihm mag. Schließlich bist du mein bester Freund. Du hättest mich schon fragen müssen. Das erwarte ich.“
Da werde mal einer aus den Frauen schlau. Ich frage: „Wer ist Brian? Und wie ist er so? Wo hast du diesen Typ kennengelernt? Und was magst du an dem?“
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