„Na, kennst du nicht den Witz über Chirurgen, Internisten und Psychiater?“
„Nö, Lisa.“
„Jetzt kennen wir uns schon ein ganzes Leben und ich habe dir den Witz noch nicht erzählt? Er ist total elementar. Willst du ihn hören?“
„Ja. Mach mal, Lisa.“
„Also: Ein Chirurg kann alles und weiß nichts. Und ein Internist weiß alles und kann nichts. Und weißt du, wer nichts weiß und nichts kann?“
„Nein, Lisa.“
„Der Psychiater.“
„Ach.“
„Und weißt du, Lars, wer alles kann und alles weiß?“
„Nee.“
„Der Pathologe. Aber der kommt immer zu spät.“
„Mensch. Die Mathematikerwitze von meinem Papa gefallen mir besser. Darf ich auch einen Witz erzählen?“
„Mach mal, Lars.“
„Zwei Mathematikstudenten sprechen miteinander. Der eine: ‚Wie spät ist es?‘ – Der andere: ‚Donnerstag!‘ – Dann wieder der erste: ‚So genau wollt ich's gar nicht wissen. Nur, ob Sommer- oder Wintersemester…‘“
„Ha, ha, ha. Auch nicht schlecht, Lars.“
Inzwischen erscheint auch Lisas Familie in der Tür. Wir gehen los. Jetzt wird der Palmengartenbesuch doch so ganz anders, als erhofft.
Und weil Lisa und ihr Onkel sich so intensiv unterhalten, kann ich Lisa auch gar nicht loseisen. Ich komme mir auch vor wie ein Pathologe. Ich bin auch immer zu spät.
Ich könnte Lisas Onkel ja auch einen Witz erzählen. „Sie haben mit meinem Papa etwas gemeinsam.“
„Ja, Lars? Was denn?“
„Sie können beide Wurzeln ziehen. Allerdings kann mein Papa auch die Wurzel aus einer Unbekannten ziehen. Sie aber nur aus Personen mit gültiger Krankenversicherung.“
Jetzt schaltet sich Lisa ein: „Wenn es um Abrechnungspositionen geht, kennt mein Onkel keinen Spaß.“
„Oh. Das wusste ich nicht.“ Ich dackele schweigsam neben den beiden her.
Zu Mittag essen wir im Café Siesmayer. Hier ist alles ganz schick, und man muss am Eingang warten, bis man einen Platz angewiesen bekommt.
„Na, Lars. Zeig mal deine Zähne.“
Was will ihr Onkel jetzt? Ich ziehe meine Lippen auseinander wie ein Pferd, das lacht.
„Ah. Habe ich doch recht gesehen. Ein kleines Diastema mediale. Wahrscheinlich sollte mal dein Oberlippenbändchen durchschnitten werden. Dann schließt sich das wieder. Vor allem jetzt, in der Pubertät.“
„Dia… was?“
„Diastema mediale. Die beiden mittleren Oberkieferfrontzähne stehen auf Lücke.“
„Ich finde das ganz süß.“ Lisa lächelt mich an.
Unser Essen kommt. Meine Zähne werden jetzt für andere Zwecke gebraucht. Diastema hin oder her. Ich öffne meinen Mund jetzt nur noch zum Essen und Trinken. Vielleicht auch zum Sprechen. Falls ich nicht gerade einen Witz erzählen will. Aber nicht mehr für eine zahnärztliche Untersuchung. Stinkt mir sowieso, dass ich mit Lisa nicht allein bin.
Vor der Alten Nikolaikirche stehen schon Hanna und Johannes, als Papa, Heidi und ich eintreffen. Kurz darauf sehe ich auch Lisa mit ihren Eltern und Verwandten kommen. Und dann sind auch schon Oma und Opa da. Wir gehen zusammen in die Kirche hinein. Der Kirchenraum ist heute voll besetzt.
Pastor Albert betritt die Kanzel ganz festlich. Die Predigt handelt von dem klugen Mann, der sein Haus nicht auf Sand, sondern auf Felsen baut. Nach der Predigt gehen wir Konfirmanden alle nach vorn. Wir sind exakt 31 Konfirmanden. Die Taufpaten lesen einzeln unsere Konfirmandensprüche vor. Hannah stellt sich zu mir nach vorn. Sie sieht sehr lieb aus. Ich fühle, dass sie ein Teil unserer Familie geworden ist. Ich fühle mich ihr ganz nah, so als wäre sie meine Omi. Das ist schwer zu beschreiben. Und doch unglaublich schön.
Hannah liest.
7 Gesegnet ist der Mann, der sich auf den Herrn verlässt und dessen Zuversicht der Herr ist. 8 Der ist wie ein Baum, am Wasser gepflanzt, der seine Wurzeln zum Bach hin streckt. Denn obgleich die Hitze kommt, fürchtet er sich doch nicht, sondern seine Blätter bleiben grün; und er sorgt sich nicht, wenn ein dürres Jahr kommt, sondern bringt ohne Aufhören Früchte.
Ich glaube, ich habe den längsten Spruch von allen Konfirmanden. Als Hannah mit dem Lesen fertig ist, nimmt sie mich liebevoll in den Arm. Das fühlt sich sehr warm und geborgen an.
Nachdem alle Bibelsprüche vorgelesen worden sind, kommt ein Fotograf und macht Bilder von uns.
Auf einmal muss ich an Mama denken. Wie gerne hätte ich sie heute dabeigehabt. Warum denke ich ausgerechnet jetzt an Mama? Jetzt, bei diesem Bild? Jetzt, wo ich vorne stehe und alle mich sehen? Eine Träne kommt aus meinem Auge, vielleicht auch zwei. Ich verstehe das selbst nicht, warum das jetzt passiert.
Der Fotograf ist fertig. Wir nehmen wieder Platz. Und nicht viel später ist der Gottesdienst aus.
Markus schubst mich beim Rausgehen aus der Kirche. „Du Null hast geweint.“
Das lasse ich nicht auf mir sitzen. „Schon die Mathematik zeigt uns, dass man Nullen nicht übersehen darf.“
Markus schubst mich nochmal. „Klar doch. Eine Null kann bestehende Probleme verzehnfachen.“
„Warte ab, Markus. Ich werde dich auch noch multiplizieren.“
Markus schaut mich fragend an. „Was? Ich verstehe das nicht…“
„Das macht nichts, Markus.“
Ich drehe mich von ihm weg.
Lisa kommt auf mich zu. Sie schaut mich sehr lieb an und sagt ganz zärtlich: „Ich habe dich gesehen. Ich verstehe dich. Es ist alles gut, Lars. Schäme dich nicht dafür.“
Papa geht mit Heidi auf uns zu. „Und jetzt gehen wir Zum Standesämtchen . Kommt.“
Es sind nur wenige Schritte. Die Sonne scheint warm auf den Römerberg. Wir können draußen sitzen. Lisa nimmt mir gegenüber Platz. Das ist sehr gut. Hanna und Johannes sitzen links von mir, Papa und Heidi rechts.
Papa bestellt. Er hat alles im Kopf, ohne auf die Karte zu schauen: „Ich und Heidi nehmen zuerst eine frische Spargelcremesuppe mit Einlage und Sahnehäubchen. Dann nehmen wir ein Barbarie-Entenbrüstchen an Portweinsauce mit überbackenen Rahmkartoffeln und buntem Salat. Dazu trinken wir einen trockenen Iphöfer Domherrn aus Franken. Und zum Nachtisch nehmen wir dann die Heiße Liebe mit Vanilleeis und heißen Himbeeren.“
Der Ober schaut verschmitzt. „Sehr gut mein Herr. Wie ich sehe, ist unsere Karte bereits fest in ihrem Gedächtnis.“
Papa grinst. Heidi auch.
Ich strecke meine Hand aus. „Ich nehme das auch, bitte.“
Der Ober hakt nach: „Auch mit dem trockenen Iphöfer Domherrn aus Franken?“
Ich schüttele den Kopf. „Nein. Mit einer großen Zitronenlimonade.“
„Sehr wohl, junger Mann.“ Der Ober notiert sich alles.
Lisa schließt sich mir an.
Alle anderen bestellen auch.
Lisas Onkel erzählt einen Witz aus der Klinik. „Der Professor fragt den nervösen Examenskandidaten ‚Kennen wir uns nicht?‘ Der Kandidat antwortet: ‚Ja, vom Examen im letzten Jahr.‘ – ‚Ach so, ja. Aber heute wird es schon klappen. Wie lautete denn damals die erste Frage, die ich ihnen gestellt habe?‘ – ‚Kennen wir uns nicht?‘“
Alle lachen. Dr. Wunderlich korrigiert dann aber seinen Bruder: „Du weißt aber schon, dass man das zahnmedizinische Examen nur einmal wiederholen darf. Oder ist das in Regensburg anders?“
„Na, so erzählt es sich aber besser. Es kommt ja mehr auf die Pointe an – nicht auf die Wirklichkeit. Oder hast du einen besseren Witz?“
Lisas Vater setzt sich ganz aufrecht. „Der Professor beim Examen: ‚Sehen sie die Blätter da draußen? Welche Farbe haben die?‘ – Der Student antwortet: ‚Grün.‘ – Der Professor: ‚Gut. Wenn sie braun sind, dann sehen wir uns wieder.‘“
„Der ist gut“, prustet Papa. „Ich habe auch einen. Mathematik-Examen. Der Professor: ‚Malen sie doch mal eine Skizze vom Sinus.‘ – Der Prüfling malt. Der Professor sagt: ‚Das sieht doch schon ganz gut aus.‘ – Der Prüfling: ‚Nein. Das sollte die x-Achse sein. Ich bin so aufgeregt.‘“
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