1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Nein, das Erdmännchen verstand ihn nicht. Er konnte nicht glauben, dass eine Belanglosigkeit wie das Gespräch mit einem Beamten von der Abteilung für Interne Ermittlungen Milten wachgerüttelt hatte. Percy verstand nicht, aber das war egal. Seinem Freund ging es besser und was immer er sich dafür in seinem Kopf aneinanderreihen und als Logik verkaufen musste, war ihm recht.
„Natürlich verstehe ich, Milten. Du gibst der Welt noch mal eine Chance!“
„Genau!“, sagte Milten und stand auf. Er klopfte sich die Falten aus der Hose und steckte sein Hemd richtig rein, denn wie in vielen vorangegangenen Nächten hatte er in genau den Klamotten geschlafen, in denen er auch den ganzen Tag über unterwegs gewesen war. Und so langsam konnte Milten sich selbst riechen. „Jetzt muss ich mich umziehen und frisch machen. Und dann ziehen wir wieder los, um ein wenig Gerechtigkeit auf den Straßen zu verteilen!“ Milten glättete seine ausgebleichte Krawatte. „Bitte entschuldige mich.“
Percy schüttelte den Kopf und schlürfte den Rest seines Kaffees. Er hatte ihm gefehlt, der optimistische Milten mit seiner überschüssigen Energie. Und jetzt war er endlich wieder da. Nachdem er den Bart losgeworden war, musste er nur noch den Rest von Milten woanders einquartieren. Aber alles zu seiner Zeit. Milten musste sich im Bad noch fertig machen.
In Miltens Fall war es mehr eine Restaurationskammer.
Percy hatte ihn nachts manchmal mit einem Spray eingesprüht, das unangenehme Gerüche beseitigen sollte. So ganz hatte es nicht funktioniert und manchmal verdrehten die Leute die Augen, wenn die zwei Detectives auftauchten. Der eine mit Sonnenbrille, der andere mit einem Bart, der wie ein wilder Efeu um seinen ganzen Kopf gewachsen war und der noch dazu aggressiv nach Lavendel und Zitrone roch.
Aber das sollte jetzt der Vergangenheit angehören.
Milten trat aus dem Badezimmer und sah aus, als hätte er gerade ein paar Runden in der Waschmaschine gedreht. Er hatte geduscht, die Kleidung gewechselt und sich die Haare sauber nach hinten gegelt. Die Schuhe gewienert, die Fingernägel gestutzt und ein schickes Lächeln aufgesetzt.
Sie machten sich auf den Weg zur Arbeit.
Unten im Wagen staunte Milten Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, wie Percy wohnte. Das Erdmännchen war ein guter Detective mit einem anständigen Gehalt und einem Ruf als unnachgiebiger Ermittler. Seit Milten zu ihm gestoßen war, hatte sich dieser Ruf noch weiter verfestigt. Wenn es um einen Fall ging, der hart zu knacken war, dann landete er bei Milten und Percy. Und obwohl sich Percy locker eine schicke Wohnung im gehobenen Teil der Stadt leisten konnte, da wo der Supermarkt nahe gelegen und die Nachbarn um zehn im Bett waren, bevorzugte er es, sich in einem heruntergekommenen Viertel niederzulassen, in dem es von Menschen und Daseinsformen aus Gnaa nur so wimmelte, die allesamt irgendwie, irgendwo zwielichtig waren.
Sobald sie einen Fuß aus der Haustür gesetzt hatten, beendeten zwei Nachbarn gegenüber ein Gespräch, warfen den beiden Polizisten bissige Blicke zu und gingen ihrer Wege. Im Treppenhaus lungerte ein Junge herum, der rauchte. Percy nahm ihm die Zigarette ab, zog einmal daran und gab sie zu Miltens Entsetzen dem Jungen zurück. Der strahlte. Was Milten nicht mehr mitbekam, war, dass Percy die Zigarette ganz heruntergezogen hatte und für den Jungen nichts mehr übrig blieb. Als sie weiter das Treppenhaus hinabgingen, hatte das Erdmännchen ihm den Raucher als Pablo vorgestellt. Einem Jungen, der zwischen dem falschen und richtigen Grad schwankte. Jeder noch so kleine Windstoß konnte ihn in die falsche Richtung kippen und deshalb bevorzugte es Percy, abzuwarten und erst dann einzugreifen, wenn er ihn um Hilfe bat oder in ernsten Schwierigkeiten war. Wer nie ins Feuer fasste, so Percy, der lernte auch nie, dass es heiß war.
Milten hatte an dieser Strategie so seine Zweifel. Pablo war höchstens fünfzehn. Percy hätte Pablo die Zigaretten abnehmen und ihm erklären sollen, dass Rauchen schädlich sei. Aber wenn er ihn darauf hingewiesen hätte, würde Percy ihn nur wieder ermahnen, dass man mit einer derart spießigen Art hier nicht weit komme. Das bekam Milten relativ oft zu hören. Im Erdgeschoss wurde Percy von mehreren gegrüßt. Mal mit einem Winken, mal mit Zurufen seines Namens. Das Erdmännchen war bekannt unter den Einwohnern und mit Sicherheit auch beliebt. Vor allem bei den weiblichen. Vor dem Ausgang des maroden Gebäudes stand eine Frau, die versuchte, ihr Alter mit zu viel Make-up und zu kurzer Kleidung zu kaschieren. Percy küsste sie, sagte „Guten Morgen“ und drückte sie kurz. Schon am ersten Tag hatte er ihm erklärt: „Das ist Trixi, die sieht zwar aus, als würde sie sich für Geld auf den Rücken legen, aber eigentlich ist sie eine Bibliothekarin, die zu Tode gelangweilt ist.“ Milten fand, dass die Frau ganz und gar nicht gelangweilt aussah, sondern verrucht und unsittlich.
Welche sich selbst respektierende Frau betonte schon gleichzeitig Brust, Lippen und Beine. Irgendwie musste er in seinen Gedanken ein Mittelding zwischen seiner spießigen Art und einem Milten finden, dem alles egal war. Sozusagen einen Middelton. Er musste einen lockeren, geduldigen Milten ins Leben rufen, der auch mal einfach Ja sagte, ohne sich allzu viele Gedanken zu machen.
Percy startete den Motor. „Du hast wieder darüber nachgedacht, dass Trixi zu freizügig rumläuft, stimmts?“
„Woher weißt du das?“
„Weil du es mir jedes Mal erzählst, wenn wir sie sehen, und weil ich dich gut kenne, Milten Greenbutton. Stell dich nicht so an, werd ein bisschen locker.“
Und da war der Spruch auch schon, wie bestellt.
„Wahre Schönheit kann auch bedeckt bleiben.“
„Verdeckt, Milten. Das richtige Wort ist verdeckt. Bedeckt sind nur Frauen, die sich von oben bis unten mit Stoff überziehen, als erwartete sie, demnächst in der Antarktis ausgesetzt zu werden, um mit den Pinguinen um den Fisch zu rangeln.“
Percy startete den Motor.
Er hat doch recht, dachte Milten. Ich muss einfach lockerer werden. Vielleicht finde ich dann jemand Neues. Vielleicht nimmt mich dann sogar Melody zurück, wenn ich ihr zeige, was für ein toller lockerer Typ ich geworden bin. Er schaute zu Percy hinüber und bemerkte, dass sein Partner ihn mit gestutzten Augenbrauen und einem finsteren Blick anschaute.
„Was ist denn?“
„Du denkst drüber nach, dich zu ändern und dann Melody zurückzuerobern. Stimmts?“
„Woher ...?“
„Gestehe!“, rief das Erdmännchen und zeigte auf Milten.
„Ja, schon gut“, sagte Milten und schüttelte den Kopf. Die beiden verbrachten wirklich fast jede wache Minute miteinander, das war wohl das Ergebnis davon: erlerntes gegenseitiges Gedanken- und Vermutungsdeuten.
„Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät, vielleicht ...“
„Milten, Freund, Partner, Mitbewohner, der seit Monaten auf meiner Couch pennt und mich nachts mit seinem Duft und gelegentlich mit seinem Geheul aufweckt: LASS ES BLEIBEN!“
„Aber warum denn?“
„Damit du weißt, dass du es kannst.“ Percy lenkte den Wagen auf die Straße. Milten machte schon den Mund auf, um drauflos zu reden, aber nachdem Percys Worte durch seinen Gehirnkasten gewandert waren, trafen sie auf die Loyalität, die er Melody gegenüber pflegte. Percys Worte stellten seiner unerschütterlichen Treue Melody gegenüber einige unangenehme Fragen und sie löste sich vor Verzweiflung in Luft auf. Percy hatte recht. Er musste sich selbst beweisen, dass er noch die Kontrolle hatte.
Das Funkgerät rauschte und knackte, dann ertönte eine Stimme: „Wagen 25, bitte kommen.“
Milten nahm auf Autopilot den Funkspruch entgegen. „Hier Wagen 25, hören“, antwortete Milten und ließ die Sprecher-Taste los.
„Eure Unterstützung wird erbeten. 27th Mountain Drive. Ein 140er. Keglin und Mook haben um eure Anwesenheit gebeten.“
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