Damit setzte sich N einmal mehr von den Gegebenheiten und Freuden „der Anderen“ ab und frönte selbstsüchtig seinen sehr anders gelagerten - wie fast immer negativen! - Neigungen, denen er nicht anders als auf diese - letztlich destruktive Weise! - Ausdruck zu verleihen vermochte:
In meiner Stube ist es totenstill - meine Feder kratzt nur auf dem Papier [das war lebenslang der einzig tatsächliche Laut, der von ihm hervorgerufen war!] - denn ich liebe es schreibend zu denken [was er beibehielt, - allerdings gefiel dieses „Sich-etwas-ausdenken“ bei ihm gern und in den meisten Fällen in Selbstgefälligkeiten, was er für Denken hielt!], da die Maschine noch nicht erfunden ist, unsre Gedanken auf irgendeinem Stoffe, [und hier ließ er eine unrealistische Einschränkung folgen] unausgesprochen, ungeschrieben, abzuprägen.
Ohne diese „unrealistischen“ Einschränkungen könnte man N wegen dieser Stelle eine visionäre Ader zubilligen, aber wenn er darüber nachgedacht hätte, dann wären ihm bei dem Gedanken an eine solche Maschine seine Einschränkungen nicht in den Sinn gekommen! - Die maschinelle Konservierung von Schrift war mit der Setzmaschine, 1822, längst geschehen, die von Sprache stand unmittelbar bevor und die von unausgegorenen, unausgestalteten Gedanken ist auf automatische Weise bis heute nicht erfolgt.
Vor mir ein Tintenfass, um mein schwarzes Herz drin zu ersäufen, eine Schere um mich an das Halsabschneiden zu gewöhnen, Manuskripte, um mich zu wischen und ein Nachttopf [womit er zumindest schon mal ausreichend Elemente zusammengebracht hatte, um schockierende Wirkungen wach zu rufen. Auch dabei sollte er bleiben! Allerdings „geistvollere“, weniger nach Kot, sondern mehr nach philosophischen „Geistreichigkeiten“ riechende Versatzstücke zur Erzeugung von Effekten. Anschließend an diese „Entgleisung“, wenn man denn so will, geht es noch schlimmer auf puerilen „Con-cannibalido-Pfaden“ - dazu Näheres später! - weiter. Es macht sich hier - sicherlich im Zuge der Pubertät! - ein brutal gegen den Strich gehendes Element niveaulos unmaskierter Direktheit in seiner Darstellung breit. Er schrieb:
Mir gegenüber wohnt eine Nonne, die ich mitunter besuche um mich an ihrer Sittsamkeit zu erfreuen. Sie ist mir [und nun kommt genau das Gegenteil, - als ein ihm bereits Erfolg versprechender Umwertungstrick!] sehr genau bekannt, von Kopf bis zur Zehe [in einer „platonischen“ Sexphantasie! - denn sie war keine „Nonne“ und ist nie eine gewesen!], genauer als ich mir selber [was sich mit seiner eingangs gemachten Aussage beißt, dass er sich „durch und durch kenne“!]. Früher war sie Nonne, dünn und schmächtig - ich war Arzt und machte dass sie bald dick wurde [weil er sie schwängerte?] Mit ihr wohnt ihr Bruder zusammen, in zeitlicher Ehe, der war mir zu fett und blühend, den habe ich mager gemacht - wie eine Leiche [er machte immer, in angemaßt manfredischer Allmächtigkeit mit der N sich versehen „sah“, etwas Gegenteiliges!]. Er wird in diesen Tagen sterben - was mir angenehm - denn ich werde ihn sezieren. Zuvor aber will ich meine Lebensgeschichte niederschreiben, denn abgesehen davon, dass sie interessant ist, ist sie auch lehrreich, junge Menschen bald alt zu machen .. darin bin ich nämlich Meister [im Prinzip seines Schockierens! Und des Zerstörens? Auch das sollte er noch kultivieren!] Wer sie lesen soll? Meine Doppelgänger, deren noch viel[e] in diesem Jammertal wandeln.“ [Das abschließend angeführte Anführungszeichen besitzt im vorangegangenen Text keinen Gegenpart!] Hier lehnte Euphorion [sich] ein wenig zurück und stöhnte, denn er litt an der Rückenmarksdarre … BAW2.70
In der medizinischen Fachsprache: tabes dorsalis, - eine Krankheit, die nach damaligen Vorstellungen - und wohl als Drohmaßnahme! - als eine Folge übermäßigen Masturbierens angesehen wurde.
An diesem abgebrochenen „Phantasie-Stück“ versuchsweise unternommener „Literatur“, Aufzeichnung, „Kapitel“, Spaß oder wie immer man das Produkt benennen will, verwundert nicht so sehr der Inhalt - dergleichen dürfte in dem Alter nicht selten zusammengeschmiert worden sein! - vielmehr ist erstaunlich, es aufgehoben und also als erhaltenswert erachtet zu haben, von ihm , von der Schwester , die etliche Belanglosigkeiten ihres Bruders, sofern sie deren habhaft werden konnte, vor der Vernichtung bewahrte. Wenn es sich aber schon, egal aus welchen Gründen, erhalten hat und auch öffentlich gemacht wurde, dass N sich in solchen pubertären Geschichten gefiel, so gibt das einen „Eindruck“, den man einerseits zwar nicht überbewerten sollte, andrerseits aber zum Anlass nehmen kann, einmal mehr festzuhalten, dass und wie sehr N auch in abwegigen Belanglosigkeiten dazu neigte, in einem heftig auf sich selbst bezogenen Wirbel um sich selber zu kreisen! Kein neugierig interessierter Blick nach draußen, auf die Welt, kein Erstaunen über das, was sich ihm bot, sondern selbstgefällig abwertend sattes Genügen, Geringschätzung und Ekel als Grundlage für das ihm eigene Zweierleimaß gegenüber „den Anderen“, sofern es mit diesen Begegnungen und Umgang gab.
So etwas - egal aus welchen Gründen auch immer! - in die nachgelassenen Schriften eines angeblichen Genies aufzunehmen zeigt doch - zumindest! - die Unfähigkeit, zwischen bedeutsam und belanglos Unterschiede erkennen zu können! Letztlich führt die Veröffentlichung dieses Faktes Ns unentschiedenes Alles-oder-Nichts-Prinzip fort - aus Schwäche! Oder weil sich das eine vom anderen qualitativ ohnehin nicht groß unterscheidet?
Mitte Mai 1862 schrieb N an seine Mutter in Naumburg:
Nur ein paar Worte, liebe Mamma! Du willst also diese Woche bestimmt verreisen [die Schwester war in Dresden dabei, eine feine Dame zu werden, die Mutter also ungebunden und konnte verwandtschaftlich unterstützende Besuche machen]? Und wie lange etwa? Es muss jetzt wunderschön im Harz sein, jetzt wo alles grünt und blüht. Wie wird es denn nun mit der Wäsche? Die wird wohl in Pforta gewaschen [es war der erste Beleg dafür, dass N sich, wenn auch mit einer gewissen Unsicherheit, über Organisatorisches in seinem Lebenslauf Gedanken machte!] Und wohin begebe ich mich Pfingsten? Da sehen wir uns wohl bis Hundstage nicht wieder es sind ungefähr 8 Wochen [bis gut Mitte Juli!]. - Bis zu deiner Abreise sende jedenfalls also noch die gesamte Wäsche nebst Verzeichnis und außerdem ein kleines Glas zum Wassertrinken an der Quelle, das ich sehr nötig brauche. Wenn Du mir auch ein bisschen Pomade senden könntest, wäre mir es sehr lieb, da meine Haare zu trocken sind. Lass mir doch auch noch eine Anzahl von Heften machen ….. Bitte besorge dies mir so bald als möglich. - Wenn du mich diese Woche sehen willst, so komme doch Dienstag, da bin ich von 5 – 7 abends frei ….. Da wollen wir uns noch einmal sprechen. Und nun leb wohl! Noch schönen Dank für deinen lieben Brief und das Gesendete! Der neue Geistliche ist angekommen; er heißt Kletschke und hat [vom Vorgänger] etwas Buddensiegähnliches. Dein dich herzlich liebender Fritz. (305)
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Aufnahmen von N nach der Emerson-Infektion und dem Ausbruch der Fatums-Aufsätze aus Emersons „Geist“, Anfang Juni 1862
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