Im Ritter-Tod-und-Teufels-mäßigem Ernst eines solchen „Bewusstseins“ wird - 1882 in Ns „Fröhlicher Wissenschaft“ mit Bezug auf die angebliche Wissenschaftlichkeit der darin entwickelten Moral! - der Aphorismus „Incipit tragoedia“ - „die Tragödie beginnt“ - mit darauf folgender Ankündigung des „Zarathustra“ FW.342daherkommen!
Sie [wiederum die neue „Kirche“ aus Emersons Vision einer „moralwissenschaftlichen Religion“] wird den Menschen in seine ursprünglichste Einsamkeit zurück verweisen, diese verwaschenen, verdorbenen und gleisnerischen Gesellschaftsmanieren vernichten und dem Menschen sagen, dass er den größten Teil seiner Zeit nur sich selber zum Freunde haben darf. EL.166f
Auch dies hat N zu einem Teil seines Lebensprogramms gemacht: Als ein Mittel, sich - weit hinausgehend über ein bloßes „neues Luthertum“! - als Lehrer einer für die gesamte Menschheit so überaus wichtigen „Entwicklungsstufe“, wie sie eine neue „Kirche“ darstellen würde, in seinem Autismus zu profilieren.
Er [der Mensch und Teilhaber an dieser neuen „Kirche“] darf keine Mitarbeiter erwarten, er muss ohne Gefährten gehen. Auf den namenlosen Gedanken, auf die namenlose Macht, auf das überpersönliche Herz allein darf er sich stützen. Er bedarf nur seines eigenen Urteils; kein guter Ruf kann ihm helfen, kein böser ihm schaden. Die Gesetze [die N da von Emerson kamen, wie haben diese auf Ns einsamkeitsversessenes Naturell gepasst! - Es war fast, als hätt er sie sich selbst gegeben! - sie] sind seine Tröster, die guten Gesetze selbst sind lebendig; sie wissen, ob er sie gehalten hat, sie beleben ihn [N!] mit dem Gefühle einer großen Pflicht [und großer Lust ! - vor allem !] und geben ihm einen unendlichen Gesichtskreis [der aber nichts von dem mitbekam, was außerhalb seiner selbst und den Emerson‘schen Vorgaben lag, während er sich nur um sich selber drehte! - In einer „Kirchengemeinde“ aus lauter 5XL-Einzelgängern und Extremegomanen!]. Glück und Ehre gibt es nur für den, der sich immer in der Nähe des Großen, immer in strenger Beziehung zu den letzten [superlativistischsten!] Urgründen des Daseins fühlt. EL.166ff
Wie seinerzeit die Eremiten in der Wüste, die Einsiedler, Gottsucher und Märtyrer, die um den höchsten Preis ihres Glaubens willen ihr Leiden als Beweis für ihre Wahrhaftigkeit zu Markte trugen, war dies für N eine Offenbarung, Verheißung und Bestimmung, gewissermaßen seine „moderne“, in Wirklichkeit jedoch zutiefst rückständige Version eines endlos zu betenden „Vaterunser“! Auf diese Weise wurde aus einer Gottesverehrung eine Verehrung Emersons: Und das für das kommende Menschengeschlecht als Religion und neues Glaubensbekenntnis auf angeblich „moralwissenschaftlicher“ Basis!
Das wäre eigentlich alles zu Ns Emerson-Hörigkeit! - Doch nein! Es fällt schwer aufzuhören, typische Emerson-Stellen für Ns weiteren Lebensverlauf anzuführen - hier noch eine allerletzte, obgleich es über diese hinaus noch viele weitere gäbe. So las und beherzigte N auch:
Es gibt aber einen andern Maßstab der Selbstachtung eines Mannes, als die Zahl weißwaschener Hemden, welche er jeden Tag anzieht [dies ist ein derart amerikanisches „Motiv“ für männliche Wohlhabenheit und Leistungsfähigkeit, dass es sogar in dem erst 1925 erschienen, zum amerikanischen Kultbuch gewordenen Roman „Der große Gatsby“ des US-amerikanischen Schriftstellers F. Scott Fitzgerald, 1896-1940, eine nicht unerhebliche Rolle spielt: die gepflegte Anzahl blitzsauberer, weißwaschener Hemden!]. Die Gesellschaft will sich amüsieren; ich will Anderes [genau das wollte N auch und so war ihm dies mal wieder ganz speziell aus der Seele geschrieben:] Ich möchte, dass das Leben nicht billig, sondern geheiligt wäre, jeder Tag mit Ideen beladen und gewichtig, wie Jahrhunderte. EL.171
Das entsprach vollkommen Ns bis auf den Grund hinunter humorloser, stets superlativierend um strapazierende Grenzwerte bemühter Einstellung dem Leben gegenüber - und seiner Verachtung „der Anderen“! - die er als seicht empfand, weil sie an seinen Neigungen ach so uninteressiert und unbeteiligt waren und ihn deshalb immer wieder enttäuschten! Er wollte es halten, wie Emerson es beschrieben hatte und dachte sich , später, als er frei war, zu „philosophieren“ zu seiner Rechtfertigung jeden Tag möglichst eine die Welt „heiligende“ Ungeheuerlichkeit aus, - was ihm aber auch nicht immer gelingen sollte.
Zu einer realitätsnahen Auseinandersetzung mit N gehört - als Mindestvoraussetzung! - eine auf das Grundsätzliche eingehende Betrachtung seiner beiden so berühmt-berüchtigten Jugendaufsätze als angebliche Zeugnisse seiner frühesten ernsthaft unternommenen genialen und „philosophischen Regungen“.
Die beiden dort gemachten - Anerkennung verratenden! - Nennungen des damals in deutschen Landen wenig bekannten Namens „Emerson“ führen zwangsläufig zu dem damals in Amerika für wichtig erachteten und auch heute noch angesehenen „Propheten einer geistigen Jugend“. Sie ergeben über die gebotenen Inhalte hinweg ebenso zwangsläufig - gleichsam „nach Adam Riese“! - als das verbleibende Ergebnis eines simplen „Rechenkunststücks“ - eine grundlegend veränderte Sicht auf das, was lange als eine Ausgeburt von Ns „Genialität“ gegolten hatte.
Es geht hier, wie bereits erwähnt, nicht darum, N nachzuweisen, dass er irgendwie, irgendwo, irgendetwas abgeschrieben hätte. Die Gesamtproblematik Ns ist nicht philosophisch, sondern psychologisch darin begründet, dass sein „Denken“, seine Weltanschauung, seine „geistige Orientierung“ - was in jugendlichen Entwicklungen ja durchaus nicht selten geschieht! - mit 17 Jahren! - anlässlich seiner Emerson-Infektion ! - eine von dessen Geschwätz dermaßen nachhaltige Prägung fand, dass er bis in Details hinein fortan wie in einem fein gesponnenen Netz philosophisch scheinender Zusammenhänge hängen und kleben blieb und nicht in der Lage war, sich daraus wieder zu befreien! So, wie später dann mit seinen Erlebnissen Schopenhauer und auch Wagner! Er zappelte fortan in ihm weitgehend unbekannt gebliebenen, philosophisch klingenden, Großes versprechenden Erwägungen, die er, auch in ihren extremsten Superlativen, immer auf seine eigene Existenz bezog und huldigte damit einem seinem Wesen eigenen Subjektivismus als Generalansatz des Lebens ohne aber um diesen mehr zu kennen, als seine Gefühle , die er für fundiertes, verlässliches Wissen hielt. Er wollte immer sich als das Gegenteil zu „den Anderen“ begreifen; - und das immer absolut, weil er nichts anderes als sich selber wirklich wahrzunehmen vermochte und sich damit als „ das Maß aller Dinge “ erkannte, - ohne dass es - für ihn ! - dagegen einen Widerspruch gab, - der höchstens daraus bestanden hätte, dass er, um nicht frühzeitig zu scheitern, in hohem Maße auf die Einsamkeit, die keinen Widerspruch hervorzubringen in der Lage war, angewiesen gewesen ist.
Hatte es daran gelegen, dass er von seinem ernsten, altklugen Wesen aus den Zeiten des „kleinen Pastoren“ in besonderer Weise zu grundsätzlichen „philosophischen“ Erwägungen neigte, aber im Vergleich zu Emerson von sich aus nichts gleichwertig himmelstürmendes zu erfinden in der Lage war? Lag es daran, dass ihn die leicht fassbaren superlativischen Übertreibungen Emersons etwas begreifen und verstehen ließen, was ihm in der normalerweise anfallenden Form von massenhaft widersprüchlichen, aber weit realitätsbezogeneren Einzelkenntnissen zur Bildung einfach gestrickter Rückschlüsse entsprechend seiner oft alles andere überblendender Interessenlage unzugänglich blieb? Lag es daran, dass er Emersons Art zu denken und zu formulieren für sein selbstherrlichkeitbestrebtes Widerspruchsverlangen als förderlich empfand? Oder vielleicht nur daran, dort Munition, Nahrung und Rückhalt für die tief in ihm sitzende „herrscheramtliche“ Vorrangstellung seines eigenen Seins gefunden zu haben? In Tat und Wahrheit wird es eine Mischung aus all diesen und wohl vielen ungenannt gebliebenen „Begründungsmöglichkeiten“ gewesen sein, was in Ns Jugendaufsätze einging, dort in einem scheinbaren Glitzerfeuer aufleuchtete und ihn plötzlich so vollendet „fertig“ erscheinen ließ, - auch wenn sich nach diesem Ausbruch auf Jahre hinaus nichts weiter auf gleiche Weise in ihm regen sollte, weil dergleichen nur im Feuer der Emerson-Infektion zum Ausschlag kommen konnte?
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