Auch diese ihrem Tonfall nach so begeistert überredende Vorrede, die das Erhebende, das Profane der Jetztzeit, die moralische Selbständigkeit und ein Streben nach Ewigkeit, wie von Emerson selbst, nicht ausließ, war N - genauso wie die nachfolgenden Emerson-Texte! - gewissermaßen aus seiner und in seine anbetungsbereite Seele geschrieben. Es ist zu bedenken, dass mit diesen rundum für Emerson eingenommenen Einleitungs-Tönen für N die erste verführerisch erlebte Begegnung mit scheinbar neuzeitlichem „philosophischem“ Denken begann, jedenfalls war er bereit, das Gelesene dafür zu halten, denn er ahmte Emersons beredten „Überredungs-Stil“ nach. Über Emerson war daraus bisher nicht viel Persönliches zu erfahren gewesen, aber die Bewunderung der Übersetzerin war so wohlklingend vorgebracht, dass alle nur denkbare Sympathie für Emerson wachgerüttelt wurde und irgendwelche Kritikasterei an ihm gar nicht aufkommen konnte. Die Form dieser Vorrede ebnete Ns Einstellung gegenüber Emerson, verhielt er sich ihm gegenüber doch genau so, wie von der Huldigungs-Hymne der Übersetzerin empfohlen war. Und dies im Zusammenhang mit dem überwältigenden „Großstadt-Erlebnis“ Nürnberg, jenseits der engen Grenzen seiner allseits pfarreilich auf Gemütlichkeit und Behaglichkeit ausgerichteten und davon beherrschten Provinzidylle, - als ihm zum ersten Mal „die Welt“ entgegentrat.
Wie werden ihm, der ehemals nur dem höchst zweifelhaften „Ruhm“ ausgesetzt war, ein kleiner Pastor, allenfalls ein Luther zu werden - sich nun aber in der pubertären Phase des Aufstandes und des Widerspruchs befand - die superlativistischen, gar auf die Menschheit fixierten und seinen „Ehrgeiz bis zum Defekt“ NR.320aufstachelnden Wortfolgen gefallen haben, die da lauteten „das tiefste und bedeutendste Volk“ und „Teil an unserm Besten“ und „stets durch die Erkenntnis Teil an allem Großen und Guten gewinnen“ und die Bezeichnung Emersons als „ein großes und bedeutendes Genie“. Man berücksichtige auch, dass N schon ziemlich genau drei Jahre lang im Bewusstsein seines Schönburger „Herrscheramtes“ lebte! Wie muss da der Vorwurf gewirkt haben, „zu demütig gegen andere Völker zu sein“ und dazu die selbstbewussten Sprüche, es wäre „nur diese Macht des Erkennens und Verstehens, also Aufnehmens, was uns demütig macht, uns aber zu gleicher Zeit die Herrschaft gibt“. Da mochte N wohl erkennen, dass es „Werke“ geben kann, die man „für sich und seinen Ruhm der Welt zugewendet“ hätte.
Dem so überaus wortgläubigen N kann derlei nicht unsympathisch, nicht fremd und vor allem nicht gleichgültig, sondern nur erstrebenswert gewesen sein, wenn er las „möchte man es auch gern leugnen, unsere weltlichen Philosophen und kirchlichen Moralisten trennen sich meistenteils immer mehr in einer schweren und eingerosteten Form von der Denkweise gesunder, natürlicher und aus echtem Instinkt empfindender Menschen [genauso, wie N es und sich selber fühlte !] und verhindern auf diese Art, dass wir Kraft und Leben aus ihnen trinken.
Des Weiteren war N da kundgetan „nur der Geist sollte heilig sein, wie es sein Ursprung bedingt …..“, und „wir ahnen ein großes Herz voll Anmut und Liebe, das sich allein dem Fortschritt der Menschheit gewidmet hat“ und „dass wahre Dichter die Prophezeienden sind und die Welt belehren können“ und „durch vielfache Kämpfe gehen müssen“ sowie dazu die Zukunftsbotschaft: „erst nach vielen Jahren entwickelt sich der in uns gelegte Keim“, wie sie „ihm schon allein durch die Wahrheit der Tugend für ewig teuer und verehrungswürdig zu werden“! Das alles war N auf den Leib geschrieben. Derart verführerisch geartete Sätze verfehlten ihren Eindruck auf ihn nicht und legten ein gutes Maß an Vertrauensseligkeit gegenüber Emerson in Ns Seele, zumal deren Andersartigkeit gegenüber dem N seit jeher bekannten Predigerton nicht unbedingt revolutionär ausfiel, sondern einen reibungslosen Übergang in recht gleichlaufenden, inhaltlich aber abenteuerlich Anderes versprechenden Bahnen möglich erscheinen ließ.
N vernahm hier die Lobpreisungen bis an die Grenzen des Menschseins, bis in die Höhen von deren Superlativ: „Menschheit“: „Emersons Liebe war zu unmittelbar, er erkannte mit dem echten Instinkt des Genies, dass es sein Beruf sei, sich der Menschheit, seinen Gefährten und Brüdern direkt zuzuwenden.“ Wenn das dem 17-jährigen nicht nachahmenswert erschien? Und auch „In schnellem Lauf durchmisst er in seinen einzelnen Aufsätzen [den „Essays“]: „Geschichte“, „Selbstvertrauen“, „Geistige Gesetze“ usw. die N nachweislich durch Jahre hindurch immer wieder „verschlungen“ hat, und im ersten Anlauf spuckte er deren Geist ein paar Monate später, in seinen Ostern 1862 geschriebenen, „berühmten Jugendaufsätzen“, aus als ob es um seine eigenen Erfindungen und Gedanken gegangen wäre. Emersons Wortergüsse waren danach angetan in vielerlei Hinsicht mit Ns „herrscheramtlichen“ Vorstellungen und „Umgangsformen“ zu verschmelzen. Er fand sich , sein Eigenstes darin wieder, als gehörte er selber - und das alles schon längst! - in „den Kreis einzelner moralischer Anmerkungen, die wir selbst über diese Dinge in uns trugen, nur voller, reicher …..“
N las tief beeindruckt weiter: „Wenn wir nun auch nicht immer beistimmen können, so bringt er [Emerson dem Leser, - das galt ganz speziell für N, der dazu neigte, das ihm Gefallende voll und ganz auf sich zu beziehen!] uns doch die sonst verlorenen Gedanken zum Bewusstsein und weil er abschließt, lernen wir abschließen, indem wir zu gleicher Zeit sehen, dass es einem Menschen, selbst in unserer profanen Zeit, möglich ist, unter seinem Volke die moralische Selbständigkeit eines heiligen Mannes zu gewinnen und ihm schon allein durch die Wahrheit der Tugend für ewig teuer und verehrungswürdig [und vorbildhaft!] zu werden.
Diese verehrenden Töne müssen Labsal für Ns Seele gewesen sein, bewunderns- und nacheifernswert und nicht allzu weit entfernt von den Tugenden, die seine Umgebung bisher bei jeder sich ergebenden Gelegenheit an ihn gestellt hatte. Auf diesen anhimmelnden, für Emerson werbenden Teil folgt, gerade eine Druckseite lang, noch die Mitteilung einiger biographischer Fakten:
Geboren wurde Emerson in Boston 1803 und schon in seiner Jugend trat die Originalität und das gedankenreiche Wesen bei ihm hervor, welches seine späteren Jahre bezeichnet. Er machte in seinen Studien außerordentlich schnelle Fortschritte und erlangte bereits in seinem achtzehnten Lebensjahr den Grad eines Baccalaureus artium [den ersten akademischer Grad] auf dem Harvard College [da erwies er sich als wesentlich erfolgreicher als N!]. Seine Aufmerksamkeit wandte sich sodann der Theologie zu; später aber gab er sich ganz der literarischen Tätigkeit hin und suchte die Resultate seines Nachdenkens teils in Schriften, teils durch Vorlesungen zu verbreiten [daher wohl auch der auf N so elementar wirkende Predigerton!]. Im Jahr 1833 machte er seine erste Reise nach Europa.
Er besuchte Italien, Frankreich und England und ging nach letzterem Lande später im Jahre 1847 einer Aufforderung zufolge noch einmal hin, um dort Vorlesungen zu halten. In Deutschland war er nicht. Goethe [als ein 1832 ausgefallener Superlativ!], der, wie er selbst einmal ausspricht, Veranlassung für sein Kommen gewesen wäre, lebte nicht mehr. Wie tief er aber dennoch das Wesen der Deutschen erfasst hat, davon geben seine Schriften vielfache Beweise [von denen aber nicht viele speziell in den „Essays“ zu finden sind]. Schon seit dem Beginn seiner literarischen Tätigkeit hat er sich in Concord, einem Dorfe in Massachusetts unweit Boston, zurückgezogen, wo er ein reizendes Wohnhaus besitzt. Hier, an der Seite seiner [zweiten!] Gattin und im Kreise weniger Freunde, führt er, fern von allem beengenden Zwange der Gesellschaft, ein Leben in der Natur. In einem seiner Essays gibt er ein kurzes Bild von diesem Leben und von der Stille und Einsamkeit, in der er sich glücklich fühlt.
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