In dem Gedanken des morgen [als nächstem Tag!], da liegt eine Kraft verborgen, die allen deinen Glauben, den ganzen Glauben, die ganze Gelehrsamkeit der Nationen zusammenfasst und die dich [mit allen nur möglichen Illusionen versehen] in einen Himmel versetzen kann, wie er dir kaum im Traum erschienen ist. Kein Mensch ist so sehr ein Arbeiter auf Erden, als wie er eine Andeutung ist von dem, was er sein sollte [wenn sich denn seine Hoffnungen erfüllten!]. Die Menschen sind nur die wandelnden Prophezeiungen des kommenden Jahrhunderts. Schritt für Schritt erklettern wir diese mysteriöse [geheimnisvolle, rätselhafte, dunkle] Leiter: die Schritte sind Handlungen; der neue Prospekt [der Hinblick, die Ansicht, die Aussicht, das Unternehmen] ist Macht. EE.223
Das waren wieder einmal große Töne, - so wie sie N gefielen! Das Später von Emerson geschriebene, das dann nicht mehr derartige Maßlosigkeiten enthielt, hat N keine Zustimmung zu entlocken vermocht! In dem eben zitierten war für N zu seiner Lust die ihm eigene unverhohlene Nichtachtung alles Jetztzeitigen enthalten: Die „Menschen nur [als] die wandelnden Prophezeiungen des kommenden [seinen Hoffnungen entsprechenden!] Jahrhunderts“ anzuerkennen, d.h. nicht als sie selbst und das, was sie derzeit waren! Er konnte sie mit einem Federstrich verneinen indem er ja sagte zu dem, was sie lt. Emerson „prophezeiten“! N sah darin - im Gegensatz zu den Jenseitserwartungen des Christentums, eine erdverbundene Diesseitigkeit , denn in diesem Satz steckte bereits der Keim zu Ns Wille, den „Übermenschen“ züchten zu müssen und zu wollen , - oder, in Erfüllung von Emerson, sogar zu sollen ? - N hat „in dem Gedanken des morgen“ seine Zukunftshoffnungen auf eine „verbesserte Welt“ durch das Mittel der „Verbesserung des Menschen“ nach seinen Vorstellungen gesehen und diese Idee auch „ für sein Machtmittel “ gehalten!
Ns „Übermensch“ als „Verbesserung des Menschen“ gegenüber der ihm unerträglichen Tatsächlichkeit der menschlich vorhandenen Existenzen bot N ein scheinbar diesseitiges Lebensziel, eine - „nur“ endlos in die Zukunft verlegte! - Vision! In dieser konnte er all seinen Ekel, seine Abneigung und seine Unfähigkeit zur Teilnahme an der ihn in keiner Weise bevorzugt erscheinen lassen wollenden Lebenstatsächlichkeit umtauschen gegen eine angeblich höherwertige Alternative , deren Verwirklichung sich zu einer „himmlisch“ heiligen und damit moralisch zu rechtfertigenden „Aufgabe“ machen ließ! Da bot sich ihm ein „Weg der Größe“, 4.194eine persönlichen „Mehrwert“ ausspuckende Flucht aus seiner autistischen Veranlagung so viel seelische Mühe bereitenden Wirklichkeit! Und da er für sich und seine Zufriedenheit mit diesem Leben schon seit knapp 3 Jahren ein „Herrscheramt“ beanspruchte, das ihm versicherte, mehr zu sein als „die Anderen“, lag nichts näher, als das Prinzip der Unterschiedlichkeit, der „Rangordnung unter den Menschen“ 12.280, 5.289, 11.106, 11.152, 11.510als neue „Seligmachung“ zu verbreiten und zu verkünden ; - wozu - als „logisch“ nächstem Schritt und als Maske für seinen Ekel vor dem Tatsächlichen! - die Förderung, Entwicklung und Züchtung des „Übermenschen“ kam, den er als „philosophischen“ Höhepunkt seiner Denkerkarriere verkünden sollte. Nirgends gibt es da Logik, sondern stattdessen ein Zuviel an undurchleuchteter „Psychopathie“: „Wer soll der Erde Herr sein? Das ist der Refrain [der stets wiederkehrende und wiederholte „Reim“] meiner praktischen Philosophie.“ 11.76Derart waren stets Ns eigentlichen „Sorgen“!
In Bezug auf das Wesen des Menschen nehmen wir eine fortwährende Anstrengung wahr, sich über sich selbst zu erheben [das galt vor allem für N selbst!], noch immer wieder etwas über die schon erreichte Höhe hinaus zu gehen. EE.225
Die Sprüche „ergänzen“ sich und bilden auf Ns gewolltes Ziel hin eine eigene „Logik“, die N dazu verleitete, an das zu glauben , was da von Emerson im Brustton der Überzeugung hingeschrieben worden war. N konnte darin - zugeschnitten auf sich selbst! - unendlich viel Wahres entdecken, was ihn im guten „Glauben“ an all das bestärkt haben wird. Im 3. Teil seines „Zarathustra“, in dem bedenklichen Kapitel, wo es N vierfach um seinen „Weg der Größe“ 1.194ging, schrieb oder dichtete er entsprechend diesem Emerson-Spruch :
Du gehst deinen Weg der Größe; hier soll Dir keiner nachschleichen! ….. Und wenn dir nunmehr alle Leitern fehlen, so musst du verstehen, noch auf deinen eigenen Kopf zu steigen: wie wolltest du anders aufwärts steigen? Auf deinen eigenen Kopf und hinweg über dein eigenes Herz! ….. Du aber, oh Zarathustra, wolltest aller Dinge Grund schauen und Hintergrund: so musst du schon über dich selber steigen, - hinan, hinauf [maßlos], bis du auch deine Sterne noch unter dir hast! 4.194
Hier wurde die von Emerson übernommene „Idee“ zu zwanghaften Bildern eines in leidlich „manierlichen“ Sätzen ausgedrückten Wahns!
Seht euch vor, wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt. Alles ist dann in Gefahr. Es ist, wie wenn in einer großen Stadt eine Feuersbrunst ausgebrochen ist, wo Keiner weiß, was eigentlich noch sicher ist und wo es enden wird. Da ist nichts in der Wissenschaft, was nicht morgen eine Umdrehung erfahren haben möchte [aus der N seine ihm fruchtbar erscheinende „Umwertung aller Werte“ konstruieren, d.h. ihr damit einen pfiffigen Namen geben sollte!]; da gilt kein literarisches Ansehen mehr, noch die sogenannten ewigen Berühmtheiten [an dieser Stelle übersprang N eine ganze Seite, bevor er für die eigene Bedeutsamkeit in Emersons Text weitermachte:
Dazwischen aber hatte Emerson geschrieben:], alles unterliegt einer Revision und muss sich verdammen lassen. Die unmittelbarsten Hoffnungen des Menschen, Gedanken, die er [daraus las N „ich“] sich ganz zu eigen gemacht hatte, die Religion von ganzen Nationen, Gewohnheiten und Sitten der Menschheit im Allgemeinen, sind alle der Gewalt einer neuen Verallgemeinung anheim gegeben. Verallgemeinung ist nichts anderes, als dass der Geist des Menschen aufs Neue einer göttlichen Eingebung unterliegt [so einer, wie N sie im 341. Aphorismus der „Fröhlichen Wissenschaft“ als „ Das größte Schwergewicht “ entwerfen sollte!]. Daher das Durchschauern, welches dieselbe begleitet. EE.226
Es könnte als „bezeichnend“ aufgefasst werden, dass Ns überliefertes Emerson-Exemplar - das ja seine Interessen-Schwerpunkte nach dem September 1874 spiegelt! - an diesem Absatz nur eine recht nichtssagende seitliche Anstreichung am unteren Teil enthält. Die ungeheure Bedeutung dieses Absatzes für N wird aber durch nichts so gut und eindringlich unterstrichen, wie dadurch, dass N den ersten Teil dieses Textes, bis zu dem Wort „Berühmtheiten“ in seiner noch vor dem Mitte August 1874 erfolgenden Verlust seines 1. Handexemplars entstandenen Huldigungsschrift für „Schopenhauer als Erzieher“ wortwörtlich - und insgesamt wie nichts sonst von Emerson in derartigem Umfang! - zitierte . - Er leitete das Zitat ein mit den Worten: „Ein Amerikaner mag ihnen [dem Leser] sagen [und N wiederholte, weil es ihm so wichtig war, das, was das Zitat enthält:], was ein großer Denker, der auf diese Erde kommt, als neues Zentrum ungeheurer Kräfte zu bedeuten hat“ 1.426und danach begann er mit: „Seht euch vor, sagt Emerson, wenn der große Gott“ und so weiter!
Weil N dies so ausgenommen wichtig war, dass er selber das, was er meinte, nicht besser hat ausdrücken können , hatte er Emerson an dieser Stelle mit eben diesem Text zitiert! Der Vorgang ist als eine Identifikation mit diesem Text zu bewerten. Nach dem Wort „Berühmheiten“ sprang N allerdings in Emersons „Essay“ über „Kreise“ genau eine Seite weiter und fuhr - ohne diesen Sprung über eine ganze Druckseite hinweg kenntlich zu machen ! - mit den Emerson-Worten fort:
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