Auch dieses eigene Empfinden fand N bei Emerson vorgekaut und er war geneigt, dem nachzuleben: Es zu befolgen , denn auf dieser Seite seines Handexemplars notierte er im Herbst 1881, unterhalb des Textblockes: Warum ziehen die entgegengesetzten Naturen mich am heftigsten an? Sie lassen mich das Voll -werden- müssen fühlen, sie gehören in mich hinein. 9.620
War es das? Oder war es - unter dem Zwang, sich mit Emersons Ausführungen identifizieren zu müssen? - die Maßlosigkeit , nichts Gültiges außerhalb seiner selbst ertragen zu können, - es also „in mich hinein“ - nicht „ wie jener“ sondern „ als jener“ ohne jede Distanz ! - zu nehmen und auf diese Weise intensivsten „Anteil“ an dem zu haben oder sogar haben zu müssen, was ihn beeindruckt hatte? Dabei hat N andere nie „ verstanden “! Nähere Verhältnisse zu anderen Menschen gerieten ihm mit wenigen Ausnahmen so regelmäßig wie zwangsläufig zu Katastrophen. Von einer derartigen Position aus wird verständlich, wie sehr N sich „bis zum Defekt“ NR.320hin mühte, vorbildlich und immer voraus zu sein, geistig zu glänzen, zu führen und auch bestimmen zu wollen. Er wollte Vorbild sein, damit „die Anderen“ Veranlassung empfänden, so zu werden wie er, was ihn - einem ihm innewohnenden „Harmonitätsprinzip“ nach - der Verpflichtung enthob, so zu werden, wie die ihm so fremden „Anderen“, was wiederum übereinstimmte mit seiner aus dem gleichen Jahr 1881 stammenden Eintragung auf Seite 1 der Emerson’schen „Essays“, wo er schrieb:
„Oh über unsre Habsucht! Ich fühle Nichts von Selbstlosigkeit, vielmehr ein Alles begehrendes Selbst, welches durch viele Individuen - wie durch seine Augen sieht und wie mit seinen Händen greift, ein auch die ganze Vergangenheit zurückholendes Selbst, welches nichts verlieren will, was ihm [in seiner grenzenlosen Maßlosigkeit!] überhaupt gehören könnte .“ 9.619
Übrigens ist dieser - im Herbst 1881, nach schwersten pathologischen Hochstimmungen gemachte - Eintrag ein Produkt seines Sich-Identifizierens mit etlichen fremden, aber zu seinem „Ideal“ gehörenden Eigenschaften, was ihm einen inneren Halt bot, der ihm aus ihm selbst heraus völlig fehlte! N war - für sich selbst! - nichts. Er existierte nur in und hinter seinen ihm gefallenden, angenommenen, ihn erhöhenden Masken.
Die Handlung der Seele liegt öfter in dem, was gefühlt wird und ungesagt bleibt, als in dem, was in irgendeiner [logisch nachvollziehbaren] Konversation ausgesprochen wird. [Wieder und wieder erfuhr N durch Emerson die Betonung und damit zugleich die Rechtfertigung seines „herrscheramtlich“ veranlagten Gefühls als die „eigentliche Wahrheit“ in dieser Welt, - statt die Welt als bestimmendes oder doch zumindest korrigierendes Element anerkennen zu müssen oder und dann auch maßvoll - d.h. ohne in seine superlativträchtigen Maßlosigkeiten zu fallen! - auch wirklich lernen zu können ! Wozu es eben nicht kam! Das so Schiefe, Fehlerhafte bei N liegt in der Einseitigkeit der Darstellung, die stets zu den allenfalls nur halbwahren Schieflagen seiner Ansichten führte:] Sorgfältig liegt es [das Gefühlte und ungesagt Gebliebene ] in jeder Gesellschaft verwahrt und unbewusst sucht es jeder in dem Andern. Unser Wissen ist besser als unser Tun. Wir sind noch nicht Herr über uns und wissen zu gleicher Zeit, dass wir viel mehr sind. Wie oft fühle ich dieselbe Wahrheit in der trivialen Unterhaltung mit meinen Nachbarn, nämlich, dass etwas Höheres in einem Jeden von uns auf dieses Intermezzo [diese heiteren, vergänglichen menschlichen „Zwischenspiele“ hienieden] herabsieht und hinter uns hervor Jupiter dem Jupiter zunickt. Die Menschen lassen sich gegenseitig zueinander herab. In ihrem gewöhnlichen und niedrigen Dienst der Welt [die auch von Emerson mit negativ besetzten Eigenschaftsworten in Beziehung gesetzt wurde!], für den sie ihrem angeborenen Adel entsagen, gleichen sie jenen arabischen Sheiks, die in elenden Häusern wohnen und eine äußere Armut affektieren [sich zieren, sich gekünstelt benehmen], um der Raubgier des Paschas zu entgehen und die Entfaltung ihres Reichtums für ihre inneren und bewachten Gemächer aufbewahren. EE.205
Daneben schrieb N ein nicht zu deutendes Wort. Oben auf diese Seite der „Essays“ schrieb N im Herbst 1881 in sein Handexemplar:
Der wirkliche Mensch ist weit hinter dem embryonischen [unentwickelten, unreifen], der aus ihm erst in 3 Geschlechtern entsteht. 9.621
Bemerkenswert ist, dass N - 19 Jahre später noch! - im gleichen logischen Zusammenhang an dem Begriff des „Embryonischen“ seiner Jugendaufsätze von 1862 hängen und „kleben“ geblieben war! Die Aussage selbst ist von lachhafter Einfältigkeit, weil sie offenbar die Überzeugung enthält, dass nur in jedem dritten „Geschlecht“ - womit N „Generation“ meinte! - ein „wirklicher Mensch“ entsteht, und damit der Aussage jegliche Logik fehlt, hat doch jeder, ob er sie kennt oder nicht, wesentlich mehr als nur 3 Ahnen die mit der partnerbedingten Mischung bei ihrer Fortpflanzung alle 6 ihren „Einfluss“ übten, - aber auch das hat N ohne weiter darüber nachzudenken von Emerson übernommen, heißt es doch bei ihm, in der „Führung des Lebens“ auf Seite 114, im Kapitel „Bildung“:
Dass die Knaben, welche jetzt aufwachsen, nicht nur Jahre, sondern zwei oder drei Generationen zu spät darauf vorbereitet worden sind, die besten Gelehrten zu werden …… [und es 8 Zeilen weiter heißt:] So auch ein geachteter Mann sich selbst für einen Gegenstand jener hundertjährigen Verbesserung [das sind so etwa die drei Generationen zu je 30 Jahren, die N erwähnte!] ansehen muss, durch welche das Menschengeschlecht [bei N wird die Daueranwendung dieser „Verbesserung“ konsequenterweise gleich superlativ-verliebt auf die Menschheit bezogen und er meinte demnach, Emerson folgend, dass diese also] verfeinert, veredelt und zivilisiert wird und jede Verschwendung seiner Kräfte für Vergnügen und Gewinn, welche diese Aufspeicherung geselliger und dauernder Tugenden gefährden könnte, ängstlich [und aus „moralischen Gründen“?] vermieden wird. EL.114
Bei N wird das dann die generationenlang nur positiv „akkumulierte Arbeit“ von Geschlechtern aus der dann endlich sein Menschen-Ideal, der „Übermensch“, erstehen sollte!. Ungeachtet dessen, wie viel davon auch der Bildung von Idiotien zuträglich sein könnte!
Alle „Weisheiten“ und Grundsätze Ns laufen letztlich auf Emersons Fundamente hinaus! Auch seine Vorstellung vom „großen Werden“. Wenn Emerson bei der Ausführung seiner Textstellen vor allem - und aller Wahrscheinlichkeit nach! - an Momente versunkener und verantwortungsvoll geistlicher Andacht - die nicht vordringlich der bedingungslosen Selbstfeier gewidmet waren! - gedacht haben mag - denn er war im Grunde ein sehr gläubiger Mensch! - so konnte es doch in Hinsicht auf die Ergebnisse für N daraus nur darum gehen, was sich vom Lesenden - aus dessen Erfahrungen! - auf den Inhalt dieser vielfach recht dunkel gehaltenen Zeilen beziehen ließ: Ein einfach nur ungezielt vorgegebenes „was ihr wollt“! - sozusagen - öffnet jeder Art Beliebigkeit Tür und Tor und ist bei der breiten Palette individueller Ausgeprägtheiten der Leser ein bisschen wenig. In diese Beliebigkeiten hat N - der ohnehin alles in extremer Weise selbstmittelpunktlich-selbstverständlich nur auf sich selbst und sein Erscheinen auf diesem Globus bezog! - sich „hineininterpretiert“, sich und seine Probleme dargestellt gefunden , - nichts sonst daneben oder darüber hinaus! Ihm war von Emerson bestätigt worden, dass das, was ihn zuvor hatte irritieren müssen, nun als das Wesentliche - nicht nur für ihn, sondern sogar „für die Menschheit“! - erschien und im Ganzen ein ihn auszeichnendes Charakteristikum seines Seins ausmachte! Vor diesem Hintergrund waren die Ausführungen Emersons so bedeutsam für die ohnehin tief in Ns Wesen enthaltene und von ihm unbeirrt beibehaltene Grundeinstellung einer extrem hohen Bewertung subjektivistischer „Warheits empfindungen “ aus dem Quell seines Herzens und seiner „Inspiration“ 6.339- gegenüber den dagegen geradezu „kulturlos“ zu nennenden Nichtigkeiten der geheimnislosen, jederzeit problemlos nachvollziehbaren, bloß „wissenschaftlich“ realitätsgebundenen Erkenntnis se, die ansonsten vorlagen!
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