Alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde teuer und wert sind, sind dies nur auf Rechnung der Ideen, die an ihrem geistigen Horizonte aufgestiegen sind und welche die gegenwärtige Ordnung der Dinge ebenso verursachen, wie ein Baum Äpfel trägt. Ein neuer Grad der Kultur würde augenblicklich das ganze System menschlicher Beziehungen einer Umwälzung unterwerfen. EE.227
Diese von N 1874 bereits zitierte Textstelle hat N in seinem 2. Handexemplar seitlich dick angestrichen! So bedeutsam war sie ihm auch im neu erworbenen Emerson-Exemplar noch! Die Worte Emersons, von den Werten, „die dem Menschen zu dieser Stunde [wo dies so völlig Neue durch N - so stellte er es sich vor! - bekannt gemacht wurde] teuer und wert sind, sind dies nur auf Rechnung der Ideen, die [allerdings aus dem Wirken vieler Menschen - einschließlich „der Anderen“! - zusammengekommen] an ihrem geistigen Horizonte aufgestiegen sind“ hat N - noch 1881! - anlässlich seines ungeheuren, einer Offenbarung gleichkommenden „Erlebnisses“ von ihn weit „vorantragenden Gedanken“ hinsichtlich „Ewige Wiederkehr“ und „Übermensch“! - mit denen er die Emerson‘sche Prophetie von einem größtmöglich gedachten „Denker“ zu erfüllen gedachte! - in genau diesem Wortlaut wiederholt, indem er schrieb: „An meinem Horizonte sind Gedanken aufgestiegen, dergleichen ich noch nicht gesehen habe“. 14.8.81
Dies nur zur Demonstration, wie bis ins Detail hinein fest verwurzelt, N an und in Emersons Vorgaben hängen geblieben war.
In dem von Emerson beschriebenen Umfang wäre alles der Willkür eines Denkers preisgegeben, - eines nach eigenem Dafürhalten sich von allen Irrtümern der Vergangenheit „befreit“ glaubenden „Geistes“, der aufgrund seiner göttlichen Eingebungen Alles neu durchschaut zu haben meinte und dabei vor seiner eigenen Wahrheitserkenntnis erschauerte ! Er müsste sich nur lebenslang Mühe geben, sie den Leuten begreiflich zu machen - und das hatte N mit dem, was er seine Philosophie nannte, getan . Das war für ihn ein „ gefundenes Fressen “, eine „sinnvollste“ Ausübung seines „Herrscheramtes“! Bis zum Anschluss an Ns Zitatfortsetzung , also zwischen dem, was N, Schopenhauer huldigend, von Emerson so zitierenswert für wichtig fand, hatte jener noch geschrieben:
Die Macht, über sich Herr zu werden, zeugt von einer gewissen Tapferkeit, so dass einem Manne seine Flanke nicht durchbrochen, noch derselbe von der Verallgemeinung ausgeschlossen werden kann, sondern stelle ihn wohin du willst und er steht da. Dies kann nur stattfinden dadurch, dass er die neue Wahrheit seiner früheren Vorstellung von der Wahrheit vorzieht [was N mit dieser Aufforderung drauf und dran war, a) für sich am Vorbilde Emersons und b) als Umsetzung seiner Wahrheit in die Wirklichkeit der Schopenhauerschen Bedeutung, umzusetzen ! Nur wusste er lange Zeit nicht konkret: Wie ?]; und bereitwillig dieselbe annimmt, von welcher Seite sie ihm auch immer kommen möge; und endlich durch die feste Überzeugung, dass seine Gesetze, seine gesellschaftlichen Verbindungen, sein Christentum, seine Welt zu irgendwelcher Zeit unnütz gemacht werden können und verfallen. EE.226f
Dies also und auch den folgenden Absatz hat N, auch wenn er den Inhalt als für sich gültig erachtete, für sein Zitat, das ihm wichtiger war, übersprungen:
Es gibt verschiedene Stufen im Idealismus. Wir lernen ihn zuerst akademisch gleichsam spielend kennen, ebenso wie uns der Magnet einst ein Spielzeug war. Dann, in den Aufwallungen der Jugend und Poesie, glauben wir zu erkennen, dass er etwas Wirkliches sei, aber nur bruchstückweise und in einzelnen Lichtblicken. Noch später fängt sein Angesicht an, ernst und groß zu werden und wir erkennen nun, dass er [der Idealismus] etwas Wahres sein muss. Er zeigt sich jetzt ethisch und praktisch. Wir lernen dass Gott ist; dass er in mir ist; und dass alle Dinge Schatten von ihm sind. Die Erscheinungslehre Berkeleys [1684-1753, ein englischer Theologe und Philosoph, lehrte, dass eine vom Denken unabhängige Außenwelt nicht existieren würde und dass Sein der Dinge nur aus ihrem Wahrgenommen-werden bestünde, denn gar nichts außer der Substanz des Geistes verfüge hienieden über reale Existenz. Auch die Tatsache, dass er sich doppelt, nämlich geistig wie auch körperlich, schmerzhaft an einem Stein stieß, dass ihm fast die Zehe brach, konnte bei ihm keinen Sinneswandel bewirken. Diese Erscheinungslehre Berkeleys also - mit der N sich nicht weiter auseinandersetzen wollte] statuiert [bestimmt, bestätigt] ganz einfach nur die Erscheinungslehre Christi und diese wiederum ist nur die einfache Behauptung der Tatsache, dass die ganze Natur das Ausströmen einer unendlichen Güte ist, die sich von selbst vollzieht und organisiert. Weit einleuchtender wird dies zu jeglicher Zeit in der Geschichte und der Beschaffenheit der Welt, die genau von der intellektuellen Klassifizierung abhängt, die der menschliche Geist sich gerade gemacht hat. EE.227
Das war reines Predigerlatein und nicht unbedingt nach Ns Sinn und Interesse. Es war für ihn nicht viel damit anzufangen, da es nicht um Größe und Besonderheit ging. Es enthielt nichts von dem, was ihm die anderen Emerson-Stellen so schmackhaft gemacht hatte: Nichts Großartiges, nichts was sein „Herrscheramt“ hätte kitzeln können und so ließ er es beiseite und wendete sich dem zu, was ihm Lust auf die eigene Zukunft machte. Deshalb setzte er sein letztlich von ihm selber sprechendes Zitat mit den bei Emerson erst jetzt folgenden, oben angeführten Worten fort, dass „Alle Dinge, die dem Menschen zu dieser Stunde teuer und wert sind“ und so weiter, eine „Umwälzung erfahren“ werden.
Im 3. Teil des „Zarathustra“, dort 11 Kapitel weiter, als das Zarathustra-Zitat zuvor, zeitlich also in der zweiten Hälfte des Jahres 1883 - wo es um das Groß-sein und das sich auf den Kopf steigende größer als das bloße Groß-sein ging! - kam N auf die Emerson-Stelle „wenn der große Gott einen Denker auf unsern Planeten kommen lässt“ noch einmal zurück: Allerdings war zu dem Zeitpunkt die freiheitliche Selbstherrlichkeit seines Geistes schon sehr weit gediehen. Es heißt da: „Ein großer Gewalt-Herr könnte kommen, ein gewitzter Unhold, der mit seiner Gnade und Ungnade alles Vergangene zwänge und zwängte: bis es ihm Brücke würde und Vorzeichen und Herold [das war im Mittelalter ein offizieller Bote eines Lehnsherrn, ein Verkünder von Neuheiten für das Volk] und Hahnenschrei 4.254[der den Anbrechenden Tag verkündet, - die „Morgenröte“ und über diese Metapher mitgemeint auch die „Fröhliche Wissenschaft“ und all die Weisheiten Zarathustras und Ns zusammengenommen - hinsichtlich der zu erzwingenden Überwindung des Menschen auf dem Weg zum Übermenschen, der als ein „Relativum“ - ewiglich weiter steigerbar und weitergedacht! - auch wieder würde anstehen müssen, überwunden zu werden und - ewig so fort, entlang dem vom Affen hin zum Menschen „geknüpften Seil“ 4.16, wie es im Zarathustra in einem gut gezeichneten, aber von Wahnsinn längst verzerrten „Bilde“ heißt.]
Es gibt keine Tugend, von der das Ende sichtbar wäre; alle sind im Anfang begriffen. Die Tugenden der Gesellschaft sind Laster für den Heiligen. Der Schrecken, welchen eine Reform verursacht, ist nichts anderes als die Entdeckung von unserer Seite, dass wir unsere Tugenden oder das, was wir immer für solche gehalten haben, in denselben Abgrund versenken müssen, der schon unsre größeren Laster aufgenommen hat. EE.233
Dieser Absatz wurde von N zusätzlich seitlich mit 10 Strichen markiert! Das ist Aussage genug für die Bedeutung, die dieser Absatz für N besessen hat!
Die höchste Macht üben göttliche Augenblicke auf uns aus, wenn sie uns unsre Zerknirschungen ebenfalls verdammen lassen. Ich klage mich Tag für Tag der Trägheit und Nutzlosigkeit an, aber wenn mir diese göttliche Einströmung [die für N aus seinen Allzusammenklangsmomenten bestand] zu Teil wird, so weiß ich von keiner verlornen Zeit mehr. EE.233
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