„Es liegt mir fern, Hope vorschnell zu verurteilen. Genauso wenig bin ich gewillt, ihr Schmerz zuzufügen. Alle Tests, die mir bekannt sind, um schwarze Hexen zu entlarven, gehen mit Gewalt einher. Wie kann ich sie also testen, ohne sie zu verletzen?“ Er glaubt ihm, sonst würde er den Test nie in Betracht ziehen.
Nadar hat bereits erreicht, was er wollte. Er bringt uns auseinander. Mein Herz zieht sich bei dieser Erkenntnis gerade krampfhaft zusammen.
„Herr, ich fürchte, das wird sich nicht vermeiden lassen. Es gibt ‚ sanftere ‘ Methoden, die aber nicht ganz so effektiv sind. Da die Frau mit weißer Magie getränkt ist, könnt Ihr es nur an Zeichen ihrer äußeren Hülle erkennen. Eine schwarze Hexe wird bewusstlos, wenn sie das Blut einer weißen Hexe oder eines Hexers trinkt.“ Was ? Wie abartig ist das denn?
„Ich soll ihr mein Blut einflößen?“, hinterfragt Beliar die Worte des Sehers verblüfft.
„Nur ein paar Tropfen. Mit Rotwein vermengt, wird sie es nicht bemerken.“ Gut zu wissen.
„Also gut“, bestätigt Beliar. Ich glaubs nicht.
Nadar fährt fort: „Sollte mit dieser Methode nicht der gewünschte Erfolg einhergehen, gibt es noch einen weiteren, etwas heikleren Test.“
„Inwiefern“, will Beliar wissen.
„Das ist das Blatt einer Efeuranke. Es muss in den Körper der schwarzen Hexe gelangen. Daraufhin wird sie das Gefühl haben, ihr Körper würde innerlich zerspringen.“ Nadar präsentiert ihm das Blatt. Das wird ja immer abenteuerlicher. Er hat sie echt nicht mehr alle. Wieso geht Beliar auf so etwas ein? Ich dachte, er vertraut mir endlich. Naja, da lag ich wohl falsch.
„Ich sagte, ich will ihr keine Schmerzen bereiten“, raunt Beliar.
„Es hält nur ein paar Minuten an“, beschwichtigt der Idiot. Wers glaubt.
„Also werde ich ihr das Blatt ins Essen mischen?“, fragt Beliar doch tatsächlich.
„Nein.“ Nein ?
„Wie gelangt das Blatt dann in ihren Körper?“, nimmt mir Beliar die Frage, die ich gerade gedanklich stellen wollte, aus dem Mund.
Nadar zögert und Beliar zieht die Augenbrauen hoch. Daraufhin sagt der Seher: „Sie wird es nicht bemerken, wenn Ihr im Liebesspiel …“ „ Nein “, unterbricht ihn Beliar forsch. „Du gehst zu weit, Nadar“, tadelt er ihn. Er will mir das Blatt im Liebesspiel unterjubeln? Geht’s eigentlich noch ?
„Herr, es ist aber die einzige Möglichkeit, wenn Ihr ihr nicht eine Gliedmaße oder einen Zahn abtrennen wollt.“ Was ? Einen Zahn ?
„Gibt es noch weitere Tests?“, fordert Beliar ärgerlich.
„Ja. Eine schwarze Hexe hegt einen Gräuel gegen Lavendel. Das Kraut wirkt für sie äußerst übelriechend. Auf die Haut aufgetragen, wird es einen brennenden Schmerz verursachen. Hier, Herr. Ich habe eine Salbe mit den Extrakten bei mir. Ihr könnt sie auf ihren Körper auftragen und sehen, was passiert“, schlägt er vor. Das wird ja immer besser.
„Ich soll sie mit einer Salbe einreiben und sehen, ob dies ein Brennen ihrer Haut bewirkt?“, hakt Beliar nach.
„Wenn Ihr sie nicht fesseln und ins Wasser werfen wollt, um zu sehen, ob sie es überlebt, schon.“ Sehr witzig.
Nadar fährt hinterlistig fort: „Dabei ist es von äußerster Wichtigkeit, dass Ihr behutsam vorgeht, damit sie keinen Verdacht schöpft. Sollte sie die sein, die ich vermute, wird sie für unsere Zwecke unbrauchbar, sollte sie etwas von Eurem Zweifel, den Ihr über die Farbe ihrer Magie hegt, ahnen. Überlegt doch, Herr. Ihr habt dann zwei Frauen, die Euch zu Diensten sind. Die eine sorgt für starke Nachkommen und die andere horcht die Schwarze Gilde für Euch aus. Das würde Eure Position stärken. Ihr könntet Eure Macht ins Unermessliche steigern.“ Das ist ja ein teuflischer Plan.
„Lass mich allein“, befiehlt Beliar. Ich zittere am ganzen Leib vor Wut. Er zieht das echt durch. Eins ist klar – ohne mich .
Mit übermenschlicher Kraft unterdrücke ich die Tränen auf dem gesamten Weg zurück zum Steinkreis.
Wenn ich jetzt nachgebe, dann kommt der Zusammenbruch. Mein Herz schmerzt förmlich in meiner Brust.
Immer wieder muss ich die Fäuste ballen, um mich dazu zu zwingen, stark zu bleiben. Nein, du heulst jetzt nicht um Beliar, sage ich mir die ganze Zeit über.
Wenn er mich lieben würde, würde er niemals glauben, was ihm dieser Trottel einreden will. Nun weiß ich es hundertprozentig, habe die Antwort schwarz auf weiß, nach der ich verlangt habe: Natürlich will er mich nur wegen dieser Ador-Geschichte. Ich bin ihm scheißegal.
Wenn er zurückkommt, wird er mich prüfen. Bin ich es nicht, zieht er die Frau aus dem Hut, die bereits in seinem Gemach auf ihn wartet. Und schwuppdiwupp, Hope ist vergessen – in die Tonne gekloppt. Der Gedanke, dass er schon eine andere Frau in seinem Bett hat, mit der er mich einfach so ersetzen wird, macht mich grad echt rasend.
Dieser Nadar hat ihm ja eine schöne Story aufgetischt. Ich meine, Halloooo, ich bin doch keine schwarze Hexe, die besessen ist. Hoffentlich.
Zugegebenermaßen, so wie der Seher das darstellt, hatte er schon einige Argumente auf Lager, die dafür sprechen.
Das mit meinen Tattoos, zum Beispiel, ist echt merkwürdig. Junus und Galahad haben auf meine Symbole auch so komisch reagiert.
Meine Immunität gegen die Zauber von Beliar spricht auch dafür. Aber ich bin doch nicht Frankensteins Monster, oder?
Toll, jetzt schafft der Quacksalber es sogar, mich selbst zu verunsichern.
Ach, das ist doch Blödsinn. Ich weiß, dass Junus mein Bruder ist. Solch eine Erinnerung kann mir doch niemand einfach so einpflanzen. Das ist meine Kindheit, verdammt nochmal. Wer ist schon imstande, einen ganzen Lebensabschnitt zu fälschen.
Die böse Stimme in meinem Kopf meldet sich gerade zu Wort: „ Was, wenn der DNS-Test negativ ist. Was, wenn du tatsächlich eine Marionette bist, die an Fäden taumelt? “
Energisch schüttle ich den Kopf. Ich sage, dieser Nadar will selbst die Macht des Zirkels für sich und setzt alles in Bewegung, um zu verhindern, dass Beliar starke Nachkommen hervorbringt. Und ich werde das auch beweisen.
Ich hab keine Ahnung, wie ich das bewerkstelligen soll, aber ich krieg das schon irgendwie hin. Auf jeden Fall brauch ich jetzt erst mal einen klaren Kopf und einen meiner Pläne.
Zu Hause angekommen, reiße ich die Nachricht, die ich meinem Bruder bezüglich meines Aufenthaltsortes hinterlassen habe, vom Kühlschrank und lasse sie in meiner Hand in Flammen aufgehen. Junus braucht nicht zu erfahren, wo ich war.
Beliar könnte Verdacht schöpfen. Wenn rauskommt, dass ich von seinen Plänen weiß, hab ich ein Problem.
Ich bin so fuchsteufelswild, die kalte Dusche, die ich mir soeben verpasse, vermag kaum, mich abzukühlen.
Ja okay – ich gebs zu. Ein paar Tränen habe ich vergossen. Aber Weinen unter der Dusche hat den Vorteil, dass man hinterher nicht voll verheult aussieht. Zumindest fällt es weniger auf, weil man ja sowieso überall runzlig wird.
Der Spiegel enttarnt dann abermals den blanken Horror. Erneut springen mir ein paar weiße Haare förmlich entgegen. Ich fass es nicht, ich bin sechzehn, verdammt nochmal. Das ist wieder mal so typisch für mich. Alle anderen bekommen zumindest zuerst graue Haare, bevor sie weiß werden und das auch erst Jahre später. Nur ich nicht. Nein, ich überspringe mal so mir nichts, dir nichts eine ganze Generation und mutiere gleich zu einer Omi.
Wütend reiße ich mir drei von diesen Dingern aus. Sag nicht, ich muss schon Haare färben. Ich dachte, ich hätte noch ein paar Jahrzehnte, bevor das so weit ist.
Wahrscheinlich hat der Stress der letzten Monate bereits Spuren hinterlassen, was meinen Alterungsprozess beschleunigt hat. Eins ist klar, wenn ich jetzt die ersten Falten kriege, dreh ich durch.
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