„John! Oh John!“, wie ein Stich drückt irgendetwas auf mein Herz. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich noch einmal so naiv und unwissentlich verhalten, oder gäbe es einen
Anderen Weg, ihm beistehen zu können, um seine Ängste überwinden zu helfen? In seinen
Schwersten, dunkelsten Stunden war er auf sich allein gestellt, wie schrecklich! John hat mich gelehrt, dass alles im Leben seinen Preis hat. Er selbst zahlte einen hohen Preis für ein bisschen Glück.
Wäre ich immer noch der gleiche Mensch wie vor zehn Monaten, durch und durch glücklich, ausgeglichen, wenn ich John nicht begegnet wäre? Das werde ich wohl nie erfahren. Würde ich mich
jemals an diese Zeit später erinnern oder einfach vergessen, lächelte ich bitter vor mich hin.
John war auch eine Reifeprüfung für mich.
6-DAS VERSPRECHEN
Das Leben eines geliebten Menschen ging zu Ende, wie ausgelöscht, als ob er nie gelebt hätte.
Die Bilder von John Derby, die mich knapp vor zehn Monaten zum glücklichsten Menschen der
Erde machten, tauchten vor meinem inneren Auge auf. Wie er mich mit aussergewöhnlicher Liebe
bereicherte und wieder voller Emotionen und trauriger Gefühle Abschied genommen hatte.
John hat mich gelehrt, dass Liebe nicht nur aus Sex und Leidenschaft besteht, sondern
Freundschaft und füreinander da sein wichtiger ist. Für ihn war es wichtig.
Damals wusste ich nicht, dass sein sanftes, herzliches Lächeln, sein Grübchen an der linken
Wange und die smaragdgrünen Augen mich in ihren Bann zogen, dass diese Augen ein
Geheimnis in sich trugen und mich mitrissen, dass seine Persönlichkeit mich von Grund
auf verändern würde.
„Ich bin der neue Nachbar“, stellte er sich mir vor; kindlich, unschuldig, feinfühlig und sanft war
seine Erscheinung. Seine funkelnden grünen Augen, das Grübchen und seine sensible Seele
liessen mich in ein Gefühlschaos ohne Ende geraten, dass ich nicht wusste, dass
dieser junge Mann meine Gefühle in solchem Ausmass durcheinander bringen konnte und
mein Leben von Grund auf veränderte.
Die Erinnerungen an ihn werden vor meinen Augen lebendig und erlöschen alles andere. Diese
Ereignisse holen mich ein, die Bilder der vergangenen zehn Monate, die ich nie vergessen werde
und für mich eine grosse Bedeutung haben, waren schon da und ich lasse sie kommen.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern, rufe ich mir ins Gedächtnis. Ja! Ich erinnere mich nur zu gut daran, an den Tag, als ich John kennen lernte und sich mein Leben vor Grund auf änderte.
Mit einer Leere, die sich nie erfüllen würde. Das Empfinden wäre noch da, aber John nicht mehr;
Was geblieben war, sind diese Bilder und Erinnerungsstücke mit bitterem Ende. Seit diesem Tag ist John Derby stiller Teilhaber meines Lebens.
7-DAS VERSPRECHEN
KAPITEL 2: DAS KENNENLERNEN
Schon als ich am Morgen die Augen öffnete, fühlte ich diese Glücksgefühle in mir. Die warmen Sonnenstrahlen ruhten auf meinem Gesicht, erwärmten mein Herz und meinen Körper.
-Dans Seite ist leer, er ist schon zur Arbeit gegangen und lässt mich wieder ausschlafen-, dachte ich
lächelnd.
Mit diesem Lächeln stand ich auf, streckte mich genüsslich im Schlafzimmer und warf, noch im
Nachthemd, einen Blick zum Hintergarten hinaus. Die Welt war im Frühlingserwachen. Die
kleinen Knospen zeigten sich schon und die Bäume waren in Blütenpracht, was mir jetzt schon
Freude bereitete.
Diese warmen Glücksgefühle verstärkten sich mehr und mehr in mir. Wie ein Krabbeln, wie Schmetterlinge fühlte es sich im Bauch an, ohne zu wissen, was mir heute passieren würde. Ich
hatte so eine Vorahnung, es würde mir heute etwas widerfahren, worauf ich mich freuen kann.
Ja, meine Vorahnungen und Träume standen bei mir schon immer im Mittelpunkt, bestimmten in gewisser Weise mein Leben.
„Du und Deine Vorahnungen, Liebes“, sagte Dan bei jeder Gelegenheit liebevoll. Er glaubte zwar nicht daran, liess mir aber meinen Glauben. Und „Du musst dich zur Realität stellen Liebes“, redete
er mir hin und wieder zu. Ich fragte mich – was Realität sein mag-.
Mein Glaube sagt mir; dass die Menschenseele eine Brücke zwischen irdischer und der anderen
Welt ist, und davon bin ich sogar überzeugt. Unsere Empfindungen, Eingebungen und Träume
wollen uns etwas mitteilen, andeuten, haben eine Bedeutung. Der Eine fühlt sie mehr, der Andere
weniger. Es hängt von den Gefühlen ab, die der betreffende Mensch hat.
Nach dem ich mich umgezogen hatte, stand ich schon im Gang des dritten Stocks, am
Treppengeländer, neben dem Lift, verzichtete sogar auf das Frühstück, damit ich so schnell wie möglich mit grössten Hoffnungen den freudigen Tag umarmen konnte. An der Treppe, die ich bis
heute vermied, schien es mir unmöglich, da hinab zu gehen nach dem skurrilen Unfall, den ich vor zwei Jahren hatte.
Kaum stand ich am Treppengeländer, blieb mein rechter Schuhabsatz an einem Bubble-Gum kleben und ich flog auf dem linken Fuss fünf Stufen abwärts, damals, hatte kaum Zeit, mich am Geländer
festzuhalten, ja ich brach mir beide Handgelenke. Das rechte Handgelenk musste operativ durch
eine Platinplatte ersetzt werden, das Linke hatte zum Glück nur einen Riss, ich fühlte mich aber
sehr behindert. Bis vor Kurzem hatte ich noch Schmerzen, musste mich bei jeder kleinen Belastung
in meinen Bewegungen kontrollieren. Zum Glück leistete mir Dan, mein Mann, Beistand, ohne
seine Hilfe wäre ich mit gebrochenen Handgelenken nicht so weit gekommen. Es kostete mich viel
Mühe, mich zu bewegen oder irgendetwas zu betätigen. Monatelang trug ich Gips mit mir herum.
Wir verlangten vom Nachbarn, dem Hauseigentümer, herauszufinden, wer von seinen Zwillingen
auf dem Treppengeländer einen rosaroten Kaugummi liegen liess; es gab ein Hin und Her, aber
ohne Beweise geriet die Sache in Vergessenheit.
8-DAS VERSPRECHEN
Aber heute wollte ich keinen Lift nehmen, sondern vom dritten Stock bis zum Ausgang auf der Treppe laufen. Ja, diese Stimme sagte zu mir, „Du schaffst es“. Und das Glücksgefühl in mir war
überwältigend. Mal waren die Stufen langgezogen oder in die Breite, es drehte sich alles um mich herum. Verschwommen wackelten sie wie bei einem Erdbeben oder waren gar nicht vorhanden.
Kalte Schweissperlen bildeten sich auf meiner Stirn, aber ich wollte nicht aufgeben, endlich musste ich meine Treppenphobie hier und jetzt überwinden können.
So was von tapfer war ich heute, endlich konnte ich Stärke zeigen.
Ich klammerte mich ans Treppengeländer, so fest ich nur konnte, schloss meine Augen und setzte mich in Bewegung. Kurzatmigkeit trat hervor, es wurde mir schwindlig, aber ich liess nicht locker.
„Ich schaffe es, ich schaffe es“, sprach ich mir Mut zu.
Sobald ich mich ins Bett legte und die Augen geschlossen hatte, flog ich anfänglich nach dem
Unfall noch lange ins Leere, bekam ich Angstzustände vor jedem Treppenabstieg. Vor allem in unserem Block vermied ich es, die Treppe zu nehmen und fuhr lieber mit dem Lift. Aber heute hatte ich das Gefühl, alle meine Ängste beseitigt zu haben und traute mir zu, über die Stufen abwärts laufen zu können.
Mit einem Mal wurde ich auf der zweiten Stufe, im dritten Stock, abgelenkt.
„Hallo“, hörte ich eine Stimme, die gerade vor der Tür im zweiten Stock, direkt unter uns, den Schlüssel in der Hand hielt und entweder beim aufmachen oder beim abschliessen war.
Er kam auf mich zu, als ob er mein Dilemma verstand. Mit herzlichem Gesichtsausdruck streckte
er mir schon seine Hand entgegen; er schien gegen Mitte zwanzig zu sein.
„Guten Tag, ich heisse John Derby, ich bin der neue Nachbar“.
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