Alexandra Sonnental
Zurückbleiben, bitte!
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Titel Alexandra Sonnental Zurückbleiben, bitte! Dieses ebook wurde erstellt bei
Zurückbleiben, bitte! Zurückbleiben, bitte! Ein Roman von Alexandra Sonnental “ So wie man Berlin betritt, ist es mit Schick und Eleganz vorbei.” (Theodor Fontane)
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Ein Roman von Alexandra Sonnental
“ So wie man Berlin betritt, ist es mit Schick und Eleganz vorbei.” (Theodor Fontane)
“Coole Idee”, denkt sie über das Event. Alexandra hat sich unter die Literaten und Musiker beim Salon für kreative Singles am Südwestkorso gemischt. Sie will die Leute aber nur still beobachten. Die Nacht ist schließlich noch jung. Früh beginnt ihr Abend in diesem hohen Altbau-Musikzimmer mit Stuck an der Decke. Ein bisschen zu zeitig für Berliner Verhältnisse. Vielleicht hat die Gastgeberin Anna hinterher noch ein Date. Dass sie geschieden ist, selbständig und natürlich Single, wusste Alexandra schon fünf Minuten nach der Begrüßung. Weniger mitteilsam verhält sich die damenhafte, perfekt geschminkte Brünette im kleinen Schwarzen. Sie schielt schon die ganze Zeit auf den Schriftsteller, der sich als Miguel Schneider vorgestellt hat. Er ist wirklich eine Augenweide! Alexandra schätzt ihn auf Anfang 40. Groß, schlank, braune Haare und blaue Augen, in denen man baden möchte. Das Gegenteil von dem depressiven Finnen zu Alexandras Linken. Wie eine Statue aus Stein sitzt er neben ihr auf dem Stuhl und starrt aus betrübten dunklen Augen auf das Bild an der Wand neben dem Klavier.
Abstrakte Formen in Schwarzweiß und Grau-Schattierungen. Wellen-Bewegungen, die von geraden Strichen durchkreuzt werden. Alle sind älter als Alexandra außer vielleicht die Brünette. Sie könnte alles zwischen 20 und 40 sein. Anna hat schon sämtlichen Gästen ihr Alter verraten – 50. Künstlerische Schwarzweiß-Fotos an der Wand deuten an, dass sie mit 25 ausgesehen haben muss wie Marilyn Monroe. Sie wirkt trotz einiger Falten im Gesicht immer noch jugendlich. Eine sympathische Blonde, hinter deren Natürlichkeit eine Menge Verzweiflung und Trauer mitschwingen. Alexandras feine Antennen haben es an der Wohnungstür sofort geortet. Nun tritt Anna nach vorn. Sie lächelt lieb, erwartungsvoll und ein bisschen unsicher.
“Herzlich willkommen beim musikalisch-literarischen Salon für kreative Singles. Ich freue mich, dass ihr alle da seid. Den Anfang macht heute Emma mit einer Arie von Tschaikowsky. Emma, vielleicht magst du uns vorher ein paar Worte dazu sagen.”
Die Brünette geht elanvoll nach vorne. Nein, sie schreitet und sendet ein unergründliches Mona Lisa-Lächeln ins Publikum. Sie hat ein gewisses Charisma.
“Schönen guten Abend, alle zusammen. Ich singe Paulines Arie aus der Oper Pique Dame auf Russisch. Pauline erinnert sich traurig an viel zu kurze Momente des Glück und der Liebe. Am Ende sieht sie nur noch ein Los, das für sie bestimmt ist: das Grab. Da ich leider keinen Pianisten habe, müsst Ihr Euch jetzt mit Klavierbegleitung aus der Konserve begnügen.”
Emma drückt auf den Play-Button am CD-Player zu ihrer Rechten. Leise Arpeggien ertönen aus den Boxen. Die Sängerin reguliert die Lautstärke selbst. Diese Frau stünde jetzt am liebsten auf einer viel größeren Bühne, glaubt Alexandra, lauscht und lässt ihre Augen durch die Runde schweifen. Zwar versteht sie Emmas Worte nicht, aber sie hört jahrhundertealte Trauer. Trauer um verlorene Lieben und Freuden. Kein gekünsteltes Gefühl wie bei vielen Sopranistinnen üblich. Die meisten weiblichen Opernstimmen berühren nur ihre Fußnägel, um sie mit ihrem schrillen Gekreische umzuklappen. Jetzt ist ihr zum Weinen zumute. Aus den Augenwinkeln sieht sie die Gastgeberin, über deren Wangen Tränen kullern. Alexandra merkt, dass Emma vor ihrem Auftritt keine Zeit hatte, sich einzusingen. Bei zwei oder drei Tönen reißt ihr die Luft ab. Es passt zu dem Gefühl der tiefen Traurigkeit, das aus ihrem grell rot bemalten Mund strömt. Für eine Sekunde hat sie Augenkontakt mit Emma, dann schaut die Sängerin in Miguels Richtung.
Der Schreiberling erwidert Emmas Blick nicht. Er liest sich den Klappentext seines Romans Wiedersehen in New York durch. Alexandra würde solch einen Leckerbissen auch nicht von der Bettkante stoßen. Auf einen selbstverliebten Künstler verzichtet sie gerne. Es gibt einfach keine anständigen Männer in Berlin, es sei denn, sie sind schwul! Sie zieht von einem Event zum nächsten und weiß immer schon vorher: entweder Schwuchteln, Hipster oder Idioten.
Die Salonbesucher haben einen Schimmer von Erwartung in den Augen. Ein Raum voller Künstler-Singles. Sobald sie sich gegenseitig mit ihrem Oeuvre beweihräuchert haben, verschwinden sie wieder irgendwo im Häusermeer. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Jetzt applaudieren sie noch für Emma, die es offensichtlich genießt beklatscht zu werden. Alexandra reißt sich zusammen, nicht zu flennen. Es war ja nur eine Arie, kein kurzes Liebesglück, das sie selbst erlitten hat. Nicht in den letzten Wochen und Monaten und hoffentlich auch nicht all zu bald.
“ Ich hatte mit Barbara die halbe Welt bereist. Jeden Freitag aßen wir Pasta mit Pesto bei unserem Lieblings-Italiener 'Giovanni'. Abends wiegte ich sie mit meinen Geschichten in den Schlaf und morgens hielt ich sie lange in den Armen, bevor wir uns wieder den Tagesroutinen widmeten. Man konnte behaupten, dass wir eine glückliche Ehe führten, wären die Erinnerungen an Pia im Laufe der Jahre verblasst. Pias Briefe aus schöneren Zeiten hielt ich in einem Aktenkoffer im Büro unter Verschluss. Wenn die Arbeit mich stresste, öffnete ich ihn und ließ mich für ein paar Minuten von ihren Zärtlichkeiten auf dem Papier streicheln. Pia war meine einzig wahre Liebe gewesen. Eine Liebe, die man im Leben nur einmal geschenkt bekommt. In mir brannte der Wunsch, meine Seelenpartnerin wiederzusehen . Koste es, was es wolle! ”
“Entweder ist er vom anderen Ufer oder die Schmonzette autobiografisch. Keine Chance für Emma und Anna”, denkt Alexandra. Die beiden strahlen ihn an, als zögen sie sich gerade zum hunderttausendsten Mal Die Dornenvögel rein. Pater Ralph und Meggie auf der einsamen Südsee-Insel … Er taucht am Strand auf, sie erwartet ihn nicht und sträubt sich. Gegen ihr Verlangen kann sie sich aber nicht wehren. Ausgehungert fallen sie im Sand übereinander her und vögeln sich tagelang die Seele aus dem Leib. Alexandra liebt solche Schnulzen. In der urbanen Wüste, in der sie vor ungefähr neun Jahren gestrandet ist, sorgen sie für schöne Fantasien inniger Zärtlichkeit. Vor ein paar Jahren lief eine Soap namens Verliebt in Berlin in der Glotze. Der Titel ist ein Widerspruch in sich selbst, findet sie. Wahre Liebe gibt es in dieser Stadt nur unter Männern. Miguel hat eine weiche, einschmeichelnde Stimme.
“ Seit geraumer Zeit war ich mit Pia bei Facebook befreundet. Sie lebte jetzt im US-Bundesstaat New York, war verheiratet und hatte zwei Kinder im Alter von 13 und 16 Jahren. ”
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