Es kam schließlich, wie es kommen musste: Mit zunehmender Erschöpfung verlor Klavan mehr und mehr die Kontrolle über seine Aktionen. Schließlich stolperte er und fiel hin, in einem unbedachten Augenblick, als sein rechtes und sein linkes Bein einmal mehr widersprüchliche Befehle befolgten. Nirgin setzte zu einem senkrechten Hieb von oben an und Klavan riss in seiner liegenden Position entsetzt das Schwert hoch, um sich zu verteidigen. In einem s-förmig geführten Schlag, den ein Teil von ihm zu erkennen schien, wechselte Nirgin geschickt Schlagrichtung und -ziel, und schlug dem ungläubig zuschauenden Klavan seine Waffe in hohem Bogen aus der Hand. Graziös hob sie ihren Stab dann in einer fließenden Bewegung wie einen Speer zum Stoß hoch über ihren Kopf, mit dem spitzen Ende auf den liegenden Klavan zielend.
In diesem Augenblick schienen ausnahmsweise einen Moment lang Klavans Hände nach einer gemeinsamen Regel zu funktionieren. Während die Rechte an den Gürtel griff, um sein Messer, was er immer noch mit sich trug, so schnell als möglich zu ziehen, griff die linke Hand in den schwarzen Beutel und schleuderte der Gegnerin ins Gesicht, was sie zu fassen bekam. Nirgin ließ sich jedoch nicht ablenken. Eisern nahm sie es hin, dass sie von dem blendenden Sand aus dem Beutel getroffen wurde, und wich keinen Deut zur Seite. Nirgin ließ ihren Speer-Stab auf Klavans Brust zuschnellen. Noch einmal konnte Klavan parieren. Sein Messer, gerade erst gezogen und der Wucht des hölzernen Speeres nicht gewachsen, wurde ihm bei dieser Attacke jedoch aus der schmerzenden Hand geprellt. Mit verbissenem Ausdruck hob Nirgin erneut ihren Speer, um Klavan endlich zu töten. Da ertönte plötzlich, über den empörten Aufschrei aus unzähligen Zuschauerkehlen hinweg, der Klang einer Hornfanfare.
Nirgin hielt mühsam im Stoß inne und zischte: «Du hast noch einmal Glück gehabt, Mörder. Aber du wirst mir nicht entkommen.» Dann spuckte sie ihn an, wandte sich mit einer verächtlichen Bewegung ab und entfernte sich rasch.
Zitternd und leicht schwankend stand Klavan auf. Er war sich darüber im Klaren, dass er gerade noch mit dem Leben davon gekommen war. Sein gesamter Körper schmerzte. Unzählige Prellungen verzierten Arme und Beine, und auch seine Armwunde aus dem Gefecht mit Urbul war erneut aufgebrochen. Zudem war er total übermüdet von den nächtlichen Verhandlungen mit dem nervigen Ring. Aber er lebte, und das war vorerst alles, was zählte. Ein triumphales Gefühl durchfloss ihn plötzlich, und er streckte die rechte Faust nach oben und schrie gellend auf. Es war ein richtig befreiender Schrei, der weit durch die Arena gellte. Er hatte es allen gezeigt, allen vorweg dem eingebildeten Kapuzenheini. Und auch Loron und Tanelor würden überleben. Schon alleine das war es wert gewesen.
Plötzlich senkten sich, begleitet wiederum von knirschenden Geräuschen, einige Wände des Labyrinths. Kurze Zeit danach stand einer der blau-weiß gekleideten kaiserlichen Herolde vor ihm und meinte schlicht: «Folgt mir».
Klavan folgte dem Herold, so gut er konnte, zur silbernen Treppe und schleppte sich auf seinen Stuhl. Jetzt war seine hastige Verkleidung als brauner Prinz hinfällig und er hatte die volle Aufmerksamkeit seiner Mitprinzen, fühlte nachdenkliche, teils besorgte Blicke auf sich ruhen. Recht so! Er schaute zu Nirgin, doch diese blickte lediglich düster zu Boden. Ein seltsamer, nicht einfach zu deutender Blick kam von Urbul, der sich in Klavans blau-silbrigen Klamotten sichtlich unwohl fühlte. Fast alle seine Mitspieler hatten deutlich erkennbare Prellungen und Wunden vom Aufenthalt in der Arena davongetragen. Kerenas Gesicht zierte ein dickes blaues Auge. Offensichtlich war es heftig zur Sache gegangen. Nur Penewor schien einigermaßen unversehrt.
Dann sah er auf den Kaiser. Dieser war in ein Gespräch mit der ehrwürdigen Nanala verstrickt, die dabei in den Himmel deutete. Klavan blickte nach oben. War das möglich? Er meinte, hoch am Himmel die schwarzen Umrisse eines Vogels zu erkennen. Eines Vogels?
«Ein Drache, mein Prinz. Man sieht sie hier selten.»
Tanelor. Klavan drehte sich um und blickte auf seine Sekundanten.
Stumm hatten sie sich beide hinter ihm aufgestellt, er hatte es gar nicht bemerkt. Doch er konnte eine Menge aus ihrer Haltung und ihren Gesichtern herauslesen. Etwas Unglaube, ja. Aber auch Freude. Einen gewissen Stolz. Und noch etwas Neues. Es war – ja, es war tatsächlich ein Funken Hoffnung.
«Was macht der Drache hier?», wollte er ängstlich wissen und dachte an den gestohlenen Ring, der sicher in seiner Tasche steckte.
«Wahrscheinlich will er nur beobachten, er kreist schon eine ganze Zeit über uns. Drachen haben sehr gute Augen», erwiderte Tanelor und ergänzte: «Keine Angst, er kann uns nichts tun. Hier sind zu viele Kämpfer und Magier versammelt.»
Vorerst beruhigt, wandte Klavan sich zurück, um sich nochmals die Gesichter seiner ehemaligen Gegner einzuprägen. Stolz stellte er rückblickend fest, dass er, bis auf die blaue Prinzessin Shinana und den stämmigen schwarzen Prinzen, Borgos-Grobian, jedem der anderen Mitkämpfer begegnet war und trotzdem überlebt hatte. Und das, obwohl er den anderen vom Kämpferischen her klar unterlegen war. Unglaublich, wie schnell seine Gegner gewesen waren.
Aber viel Zeit zum Nachdenken blieb ihm nicht. Ein kaiserlicher Herold stand vor ihm und befahl ihn zum Kaiser. Mühsam stand Klavan auf und folgte dem Herold.
Hinter sich hörte er Loron rufen: «Bleibt stark, mein Prinz!»
Dann stand er vor dem kaiserlichen Thron. Der Herold bedeutete ihm, auf die Knie zu fallen, und Klavan folgte langsam seiner Aufforderung, während er seine schmerzenden Glieder innerlich verfluchte. Diese Nirgin hatte ihn ganz schön zugerichtet.
Der Kaiser musterte ihn eine Zeit lang nachdenklich und missmutig. In der Arena verstummten die Geräusche. Klavan begann zu ahnen, was jetzt kommen würde. Dann hob der Kaiser sein Zepter und verkündete mit lauter Stimme: «Kraft meines Amtes als Kaiser und der von der Allmutter gesegneten Verfassung erkläre ich Klavan, den silbernen Prinzen, für vogelfrei. Wer immer dich tötet und mir deine Hand bringt, wird 1000 Goldstücke aus der kaiserlichen Schatzkammer erhalten, zusätzlich zu deinem persönlichen Hab und Gut.» Er machte eine kurze Pause, als überlege er etwas, und fuhr dann fort: «Aber ich will Gnade walten lassen, weil du rücksichtsvoll zu Urbul warst. Daher soll für dich dasselbe wie für jeden neuen Prinzen gelten. Erneuere dein Reich und richte deine Burg wieder auf. Ich gebe dir hierfür einen Monat Zeit. Schaffst du das, so werde ich dich zu mir rufen, um den Bann von dir zu nehmen. So wahr mir die Allmutter helfe.»
Mit diesen letzten Worten führte der Kaiser sein Zepter nach unten und berührte Klavans linken Handrücken. Klavan spürte einen starken brennenden Schmerz und schaute erschrocken auf seine Hand. Die Krone auf seinem linken Handrücken hatte sich schwarz verfärbt. Na klar! Das benötigte keine weiteren Erklärungen.
Der Kaiser hatte sich inzwischen wieder gesetzt und sprach in leisem Ton zu Klavan: «Ich gewähre dir zudem die üblichen drei Tage Schutz in dem Turm des silbernen Prinzen in meinem Schloss. Hast du bis dahin mein Schloss nicht verlassen, so werde ich mit Freuden Gaster anweisen, dich zu töten und dadurch die Ruhe in meinem Königreich endlich wiederherzustellen.»
Klavan nickte mit dem Kopf und erhob sich. Unsicher ging er auf seinen Stuhl zurück. Seine Wunden schmerzten stark, insbesondere im Bereich des linken Oberarms, und dazu kam jetzt auch ein schon fast vertrauter Schmerz auf dem linken Handrücken. Dann wurde ihm plötzlich schwarz vor Augen und er verlor die Besinnung.
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