1 ...7 8 9 11 12 13 ...21 Klavan war schon in vielen Gotteshäusern gewesen, auch von unterschiedlichen Religionen, aber etwas derart Schönes hatte er noch nicht gesehen. Hier wehte tatsächlich der Hauch einer natürlichen, überwältigenden Erhabenheit durch die Luft, und Klavan fühlte sich wie ein Kind, dem das erste Mal die Wunder der Natur gezeigt werden. Ihn erfüllten tiefe Freude und Frieden, Gefühle, die er so lange schon vermisst hatte. Ein wahres Gotteshaus.
Auch der ihm voraneilende Hochritter, so schien es Klavan, hatte beim Betreten der heiligen Halle unwillkürlich kurz innegehalten, obwohl er den Raum kennen musste. Dann schritt er in gemäßigtem Tempo auf eine ältere Braungekleidete zu, während die zwei Soldaten mit Klavan in respektvollem Abstand folgten.
Schon zuvor auf dem Marktplatz war Klavan eine merkwürdige Begrüßungsform aufgefallen. Auch Hochritter und Priesterin schlugen sich jetzt mit der linken Hand an die eigene rechte Schulter, so dass der linke Handrücken zum Gegenüber zeigte. Anschließend führten beide ihre Hände bogenförmig nach vorne, so dass sich ihre Handinnenflächen etwa in Herzhöhe berührten, und murmelten eine Grußformel, die Klavan aufgrund der Distanz aber nicht verstehen konnte.
Aha. Anders als zu Hause, aber mit demselben Sinn. Also das hiesige Äquivalent von «sich die Hände schütteln».
Dann fing Gaster an, sich leise mit der Braungewandeten zu unterhalten, die gelegentlich merkwürdige Blicke auf Klavan warf. Nach kurzem Gespräch kamen beide auf ihn zu.
«Ich, Nanala, Hohepriesterin der Allmutter, wurde gebeten, Eure linke Hand zu heilen», fing die Priesterin in formellem Ton an zu sprechen. «Ist das auch Euer Wunsch?»
Die Hohepriesterin hatte eine volles, rundliches Gesicht, das sehr schön aussah, aber auch schon einige kleinere Fältchen und andere Spuren des Alterns aufwies, sowie eine angenehme, mütterliche Stimme. Ihre ganze Haltung drückte etwas Fürsorgliches aus. Klavan fand sie instinktiv sympathisch. Er schaute auf die unangenehmen Brandwunden auf seinem linken Handrücken. Die vielen neuen Eindrücke hatten ihn die Verbrennungen zeitweilig vergessen lassen, aber jetzt fingen die Wunden wieder an zu schmerzen. «Selbstverständlich, gerne lasse ich mir von Euch helfen, wenn Euch das möglich ist», entgegnete er demütig.
«Die Wege der Allmutter sind manchmal seltsam. Wisset, ich helfe Euch weder gerne, noch bin ich von Groll gegen Euch erfüllt, wie meine beiden Töchter.» Nanala sah ihn intensiv an. Klavan war irritiert. Also schon wieder jemand, der meinte, ihn zu kennen. Ihm blieben die Worte weg.
Ohne eine Antwort abzuwarten, legte die Hohepriesterin ihre beiden Hände an Klavans verletzten Arm, murmelte so etwas wie «Allmutter hilf» und schloss in stummer Konzentration die Augen. Klavan fiel dabei auf, dass auf dem linken Handrücken der Priesterin eine kleine Blume abgebildet war, deren Blüte sich jetzt plötzlich verschloss und welk wurde. Eine Tätowierung, die sich veränderte?
Dann hatte er ein merkwürdiges Gefühl im Bereich seiner Brandwunde. Es war ein angenehmes Kribbeln, wie Kühlung, Massage und Sonnenbad in einem, unglaublich wohltuend, und es kroch von seiner Hand aus in seinen restlichen Körper, erst in den linken Arm, dann in den Bauch und beide Beine, schließlich auch in den rechten Arm, seine Brust und den Kopf. Klavan sah auf die heilenden Hände der Priesterin und bemerkte zu seiner Verwunderung, wie sich gleichzeitig die Blume auf dem linken Handrücken wieder veränderte. Wo Blätter verwelkt waren, sprossen neue, und die alte Blüte fiel ab, verblasste und machte einer wunderschönen neuen Knospe Platz, bis auch diese schließlich erblühte. Am Ende sah die Tätowierung der Priesterin wieder aus wie zuvor, die Blume hatte ihre alte Form wiedererlangt.
Nanala öffnete die Augen und zog ihre Hände zurück. Klavan sah an ihrer Haltung deutlich, wie erschöpft sie jetzt war. Sie sah gebeugt aus, wie eine alte Frau. Schweißperlen hatten sich auf ihrer Stirn gebildet, und ihre zuvor so wachen Augen hatten jetzt einen müden Ausdruck.
«Das war interessant, schwieriger als gedacht», murmelte sie und sah ihn noch einen Moment sinnierend an, und Klavan meinte auch eine Spur von Mitleid in ihrem Blick zu erkennen. Dann drehte sie sich ohne weitere Worte um und verschwand im hinteren Teil des Tempels.
Als Klavan wieder Herr seiner Sinne war, blieb ihm keine Möglichkeit mehr, sich bei Nanala zu bedanken. Gaster hatte sich breitbeinig vor ihm aufgebaut und deutete anklagend auf seine linke Hand. Klavan folgte seinem Blick.
Von der ehemaligen Brandwunde des Drachen war nur noch eine Narbe übrig. Eine Narbe? Was Klavan zu seiner Verwunderung auf seinem linken Handrücken sah, war eine kleine, in silberner Farbe tätowierte Krone.
Klavan sah erstaunt auf.
«Damit wäre die Identifizierung wohl einwandfrei», bemerkte der Hochritter grimmig.
Ohne weitere Worte marschierte er aus dem Tempel. Seine beiden Soldaten folgten ihm, Klavan unverändert in ihrer Mitte haltend.
Draußen angekommen, schloss die vor dem Tempel wartende Eskorte auf und es ging weiter durch die Stadt. Auf Klavans Fragen, was das alles zu bedeuten habe, gaben weder Offizier noch Soldaten ihm eine Antwort. Schließlich gelangte die Gruppe in einen von einer Mauer umgebenen Park. Am Eingangstor patrouillierten Soldaten in gleicher Uniform wie diejenigen, die Klavan begleiteten. Nach einer kurzen, landestypischen Begrüßung mit der linken Hand ging es weiter. Diesmal konnte Klavan auch die Grußformel mithören: «Möge dein Innerer Atem tief sein!» Was für ein merkwürdiger Gruß.
Klavan schaute aufmerksam hin, um zu sehen, ob auch der Kommandeur ein Zeichen auf seinem Handrücken hatte, so wie Nanala und er selbst. Zu seiner Enttäuschung war dort aber nichts zu sehen. Jedoch entdeckte Klavan, dass der Hochritter an seinem linken Mittelfinger einen silbernen Ring mit einer breiten Siegelplatte trug, auf der sich vier kleine eingravierte Schwerter befanden, welche beim Grüßen gut sichtbar wurden. Als er sich umschaute, sah Klavan, dass die anderen Soldaten ähnliche Ringe trugen, welche jedoch im Gegensatz zu dem Offiziersring nur mit einem oder zwei Schwertern markiert waren. Interessant, dachte Klavan. Und da er sonst nichts zu tun hatte, beobachtete er auf dem langsam ansteigenden Weg durch den Park die entgegenkommenden Leute. Viele der älteren Leute trugen einen Ring am linken Mittelfinger, einige wenige davon sogar einen ähnlichen zweiten Ring am Ringfinger. Jedoch konnte Klavan die eingravierten Symbole schlecht erkennen. Offensichtlich also Rangzeichen, dachte Klavan. Schwerter für das Militär, die Blume für die Priesterin, die Krone, ja wofür zum Teufel stand eigentlich seine Krone? Für wen hielten ihn die Soldaten?
Während er noch überlegte, näherte sich die Gruppe einem großen, weißen Gebäude mitten im Park. Nach oben hin waren schlanke, ebenfalls weiße Türme zu erkennen, welche spitze, golden glänzende Dächer trugen. Ein Schloss, ein prachtvolles Schloss! Und auf den Türmen wehten bunte Fahnen im Wind. Wind! Er erinnerte sich: etwas Positives, etwas, das er mochte. Tatsächlich spürte er, wie gut es ihm tat, wenn der Wind ihm ins Gesicht wehte, so wie hier, und Klavan vergaß für einen Moment das Gefährliche seiner Situation, genoss den Wind und bewunderte das Schloss, das derart schön und harmonisch aussah, als ob es aus einem Märchenbuch stammte.
Der Anblick der Wachen am Schlosseingang holte Klavan jedoch wieder aus seinen Gedanken zurück. Sie ließen die Gruppe wie zuvor nach kurzem Gruß und Wortwechsel mit dem Hochritter passieren. Es ging weiter durch einen mit Blumen bewachsenen Innenhof und mehrere kleinere Räume, die alle mit kostbarem Stuck schön verziert waren. Kunstvoll verlegte Bodenkacheln und prächtige Wandteppiche ließen auf den Reichtum und Geschmack des Besitzers schließen.
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