Allmählich begannen die Freundinnen über Vera die Nasen zu rümpfen. Sie sei geizig, vermuteten die einen; sie sei zu faul, sich an den Herd zu stellen, argwöhnten die anderen. Ein weiterer Grund war nicht vorstellbar. Man lasse sich auf jeden Fall nicht von ihr ausnützen - so nett sie auch sei, lautete der abschließende Befund; man wolle ihr aber noch eine Chance geben.
Die Chance gab es Mitte Januar. Sie trafen sich bei Ulrike, die von allen über die geräumigste Küche verfügte. Diesmal sollte gemeinsam „live“ gekocht werden. Ulrike hatte die verschiedenen Rezepte ihrer Freundinnen zu einer Einkaufsliste gebündelt und am Vormittag in der Markthalle eingekauft. Die Ausgaben wurden durch vier geteilt. Nun konnte es losgehen.
Unter großem Hallo wurden die ersten Cocktails gemixt und getrunken, dann drängten sich Ulrike, Beate und Edelgard in die Küche. Nur Vera hielt sich im Hintergrund: „Ihr könnt ja schon mal anfangen; ich muss noch eben erst meine mails checken“, rief sie und zog sich mit ihrem Glas ins Wohnzimmer zurück, „ich komme gleich nach!“ 'Gleich' ist ein dehnbarer Begriff, Vera dehnte ihn, bis Beate ungeduldig wurde: „Kommst du nun? Ich habe schon mit deinem Mousse au chocolat angefangen!“ - „Mach ruhig weiter“, sagte Vera und zeigte ihnen Fotos auf ihrem Smartphone, „die Bilder sind gerade von Hawai gekommen, meine Tochter macht dort Urlaub. Und das ist meine Enkeltochter … oh, der Akku ist leer. Und ich muss ihr noch antworten! Leiht mir mir jemand sein Aufladegerät? Ich will doch meiner Tochter ein Foto von unserem Essen schicken!“ - „Nein“, sagte Beate. „Nein“, sagte Edelgard. „Nein!“, sagte Ulrike . „Scheiße“, sagte Vera, „und jetzt?“ - „Jetzt ist Schluss mit Telefon! Jetzt wird gekocht. Und zwar gemeinsam!“, tönte es im Frauenchor.
„Ich muss euch etwas gestehen“, begann Vera kleinlaut und nahm wie zur Probe einen Kochlöffel in die Hand, „ich kann nicht kochen. Die Küche ist für mich so ein unwirtlicher Ort wie der Mond. Ich habe nur schaurige Erinnerungen daran. Ich kann Dosen öffnen und Eier kochen, der Rest ist Supermarkt. Jetzt wisst ihr's. Was habe ich nicht alles angestellt, um es vor euch geheim zu halten. Ich habe mich so geschämt in eurem Kreis. Jetzt bin ich froh, dass es heraus ist.“ Sie legte den Kochlöffel erleichtert zurück.
Wie sie denn Mann und Kinder durchgebracht habe, wollte man wissen. - Ihr Mann habe ausgezeichnet kochen können, für ihre Kochkünste jedoch nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Das habe sie derart frustriert, dass sie das kreative Kochen schon bald aufgegeben habe. „Die Kinder mussten ja essen, was auf den Tisch kam, mein Mann nicht; wahrscheinlich ist er deshalb eines Tages davon gelaufen - wenn Liebe durch den Magen geht, musste er ja denken, ich liebe ihn nicht.“
„Ja, wenn das so ist …!“ Die Freundinnen lachten. „Die Frau von morgen kocht ohnehin nicht mehr; sie lässt kochen und braucht ihre Zeit, um sich für die Vorstandsetagen der Männer coachen zu lassen. Nur wir Vintage-Frauen greifen noch zum Kochlöffel.“ - „Jetzt kannst du natürlich mein Aufladegerät bekommen, ich besitze das gleiche Smartphone wie du.“ Ulrike kramte das Gerät hervor, Vera schloss es an. „Wir helfen dir bei der Zubereitung des Nachtischs, wenn du willst! Komm versuch's mal!“ - „Gleich“, rief Vera und nahm ihr Smartphone am Kabel in die Hand, „ich will nur erst ein Foto von euch beim Kochen machen, danach gern ... Und außerdem habe ich für alle Fälle noch vier Portionen servierfertiges Mousse au chocolat in der Kühltasche. Und jetzt bitte – lächeln!“
Abenteuer mit beschränkter Haftung
Hans-Peter Krell mit Ehefrau Karin und Knut Reimer mit seiner Elke hatten alle die Siebzig überschritten und sich endlich für kreuzfahrtreif erklärt: Zwar locke das Abenteuer noch, aber es solle in einer Kombination von Sicherheit und Bequemlichkeit erlebt werden. Nun standen sie in Dubai am Fuße des höchsten Gebäudes der Welt und starrten nach oben, wo die silberne Spitze des Burj Khalifa und der stahlblaue Himmel zusammenzuwachsen schienen. „Gut, das haben wir jetzt gesehen“, seufzte Hans-Peter, „ist schon toll!“ - „Und heiß“, ergänzte Knut, „einen kühlen Drink hätten wir uns jetzt verdient“. Sie waren mit einer Taxe vom Hafen in die alte Stadt gefahren, hatten einen Bummel durch den Gold-und Gewürz-Souk hinter sich und nach dem vergeblichen Versuch, die moderne City zu Fuß zu erreichen, wieder ein Taxi gebraucht. „Den Sun-Downer nehmen wir aber auf unserem Schiff“, nickte Knut, „da sind alle Getränke inklusive.“ - „Zuerst stürzen wir uns aus der Wärme in die gut gekühlte Dubai-Mall!“ Die Frauen zog es mit Macht in die feudale Einkaufsmeile der Stadt. Außerdem sei noch viel Zeit, bis das Schiff ablege!
Die Herren drohten mit Streik, die Damen blieben unerbittlich: „Ihr könnt ja schon vorausfahren.“ - „Ohne euch?“ - „Das wird euch beiden schwer fallen, aber es könnte gelingen.“ Zielstrebig steuerten die Frauen das Einkaufsparadies an.
„Jetzt freu' ich mich auf meinen Campari“ gähnte Hans-Peter und ließ sich ins Taxi fallen. - „Du sagst es“, gähnte auch Knut. Auf dem Schiff angekommen, genossen sie in der Überschau-Bar ihren Sun-Downer nebst Sonnenuntergang, pilgerten auf dem Weg in ihre Kabinen für einen Wodka noch in die Unverzicht-Bar und zogen sich schließlich zu einem kurzen Erholungsschläfchen zurück, um hernach mit den Ehefrauen das gemeinsame Diner zu genießen.
Elke und Karin konnten sich nicht satt sehen. Sie beobachteten Haie und gewaltige Rochen im mehrstöckigen Aquarium, wanderten an Wasserfällen und exklusiven Geschäften vorbei, sahen Männer in arabischer Tracht auf dem riesigen Eislaufplatz ihre Pirouetten drehen, streckten müde in einem russischen Teehaus die Beine aus und meinten, sie müssten jetzt unbedingt auch noch auf die Aussichtsplattform des Burj Khalifa fahren, um den Sonnenuntergang aus fast fünfhundert Meter Höhe zu erleben. Sie kauften sich Billetts, warteten eine gute halbe Stunde in der Vielvölkerschlange vor Kasse und Aufzug und standen dann sprachlos vor dem Panorama, das sich ihnen oben bot: Die Sonne war schon hinter dem Horizont versunken, der Himmel changierte in Rot- und Gelbtönen, es war eine unbeschreibliche Pracht. Unter ihnen hatte Dubai seine Lichter entzündet, eine schier endlose Kette von breiten illuminierten Straßen und Hochhäusern. Die beiden Frauen standen Arm in Arm. Die Zeit verrann. „Eigentlich müssten wir von hier oben unser Schiff sehen können“, sagte Elke. - „Sieh mal die Wasserspiele zu unseren Füßen!“, schwärmte Karin. Es schien, als wollten die Fontänen zu ihnen herauf tanzen. „Und das haben nun Knut und Hans-Peter verpasst; die werden sich ganz schön ärgern, wenn wir ihnen das erzählen!“ Die beiden waren selig.
„Karin?“ Hans Peter fuhr benommen aus dem Schlaf auf. „Wo bist du?“ - Keine Antwort. Er schien allein in der schummrigen Kabine zu sein. „Karin?“ Wieso lag sie nicht an seiner Seite? Sie wollten doch gleich zusammen mit den Reimers essen gehen. „Bist du im Bad?“ Er starrte durch das Fenster, an dem sich die Großstadtlichter langsam vorüber schoben. Großer Gott, sie waren auf See, er musste das Ablegen völlig verschlafen haben. Er sprang aus dem Bett, schaltete Licht an, sah auf die Uhr: zehn nach neun! Wahrscheinlich saßen Karin, Elke und Knut schon lange beim Essen. Er zog sich an, stürmte aus der Kabine, nahm den Fahrstuhl hinunter auf Deck 6, rannte ins Restaurant Altlantik. Am Eingang stand ein ratlos aussehender Knut. „Entschuldige, ich habe unsere Verabredung völlig verschlafen. Wo sind Elke und Karin?“ - „Nicht da.“ - „Wieso nicht da?“ - „Nicht da!“ - „Das gibt’s doch gar nicht!“
Doch, das gab es.
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