Jutta Berg und Jule
Online am Abgrund
Briefwechsel in seelischer Not
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Jutta Berg und Jule Online am Abgrund Briefwechsel in seelischer Not Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Kapitel: Notruf im Internet-Forum 1. Kapitel: Notruf im Internet-Forum
2. Kapitel: Zukunft und Veränderung
3. Kapitel: Ohne Gefühl
4. Kapitel: Erster Schritt zur Therapie
5. Kapitel: Der nächste Termin
6. Kapitel: Warten
7. Kapitel: Neue Arbeit
8. Kapitel: Kein Zurück
9. Kapitel: Was für ein Tag
10. Kapitel: Kontrolle verloren
11. Kapitel: keine Flucht
12. Kapitel: Test
13. Kapitel: lange Zeit
14. Kapitel: Stimmungen
15. Kapitel: dem Suizid näher
16. Kapitel: Gedichte
17. Kapitel: Entscheidung
18.Kapitel: Klinikstress
19.Kapitel: Erklärungsnot
20.Kapitel: Vorankommen
21.Kapitel: Hoffnung
22.Kapitel: Beziehung
23.Kapitel: Neues zum Denken
24. Kapitel: Lebendigkeit
Impressum neobooks
1. Kapitel: Notruf im Internet-Forum
Hilferuf in seelischer Not - Ein Briefwechsel
Jule22 und Jutta Berg
158 mal geantwortet
Am 29.12.2010 um 01:28
schrieb Jule22
Betreff: Notruf
Ich kann niemandem ins Gesicht sagen wie schlecht es mir wirklich geht,
schreiben geht halt noch ganz gut.
Hier ist meine Geschichte:
Ich fing mit ca.16 Jahren an mich zu ritzen, wenig gegessen habe ich allerdings schon sehr viel früher. Als mein Vater arbeitslos wurde und lange Zuhause war, gab es nur noch Streit. Mein älterer Bruder und mein Vater haben kein gutes Verhältnis zueinander. Mein Bruder war zu mir und meiner Schwester (älter als ich) körperlich gewalttätig (das hört sich irgendwie komisch an), er hat uns halt öfter mal geschlagen. Er selbst wurde von unserem Vater aber auch geschlagen. In dieser Zeit habe ich es Zuhause einfach nicht ausgehalten. Ich blieb länger in der Schule als eigentlich nötig und war oft bei Freunden zu Haus. In einer Lehrerin von mir habe ich eine Art Elternersatz gefunden. Sie unterrichtete mich in drei verschiedenen Fächern, dort stand ich auf ‚sehr gut’ und tat alles um positiv aufzufallen. Als ihr Mann starb, war das für mich ein Schock. Sie wäre die einzige gewesen, der ich mich mal gern anvertraut hätte. Zu Hause habe ich es als immer schlimmer empfunden - ich hatte mehrmals den Plan nachts wegzulaufen. Leider verging die Schulzeit viel zu schnell, meine Eltern waren dagegen, dass ich Abi mache.
Für meinen Beruf als Krankenschwester brauchte ich keinen höheren Abschluss. Schon im ersten Berufsschullehrjahr merkte ich, dass ich diesen Beruf nicht ausüben kann. Ich hatte auch panische Angst vor dem Psychiatrieeinsatz. Auf welche Station schicken die mich? Finden Teamgespräche statt? Komme ich in Kontakt mit Essgestörten oder Selbstverletzern? Falle ich da auf? Alles Fragen, die mich wochenlang quälten, bis ich meine Mutter anrief und sie bat, von ihrer Arbeit nach Hause zu kommen. Ich sagte ihr, ich könne nicht zum Spätdienst gehen, ich kann das alles nicht mehr und ich habe ihr auch von meiner Selbstverletzung erzählt. Klar, sie war sicher geschockt - aber ihre Reaktion verzeihe ich ihr bis heute nicht. Sie weinte zwar und sagte, ich solle damit aufhören, aber die Ausbildung muss ich schon zu Ende machen und dann kann man ja weiter sehen... bla bla. Merkte sie nicht, dass ich am Ende war? Ich dachte das erste Mal an Suizid. Dann musste ich auch noch in der Schule einen Vortrag darüber halten - ich schwitzte mir vor der Klasse einen ab und fragte mich, warum ausgerechnet ich dieses Thema "Selbsttötung" abbekam? Ich war 10 Wochen lang im Unterricht mit psychischen Erkrankungen bombardiert worden, habe mich 5 Wochen auf der Gerontopsychiatrie gequält, obwohl ich doch wusste - du kannst in diesem Beruf nicht arbeiten!
Meine Mutter hat nie wieder nach meinem Ritzen gefragt. Ich machte natürlich weiter. Sogar auf dem Personalklo - ich konnte echt nicht mehr, habe kaum mehr was gegessen. Hat keiner mitbekommen. Endlich, die 3 Jahre Lehre waren vorbei - eine Chance in Bayern, über 100 Km von zu Hause entfernt suchte man nach Krankenpflegern. Für eine weitere Ausbildung hatte ich weder Kraft noch Lust. Wo mein Vater eh nur an die guten Zukunftsperspektiven und das gute Gehalt dachte und es in seinen Augen unvorstellbar gewesen wäre, wenn ich den Beruf hinschmeiße. Also bin ich zu Hause ausgezogen, in die Berge. Es war nicht leicht allein und das Wetter und die Arbeit sowieso. Aber ich fühlte mich frei - ich habe nicht mehr geritzt. Ganze 13 Monate blieb ich frei von SvV.
Bis ich hörte, dass es meinem Opa sehr schlecht ging - er hatte Krebs, meine Mutter war verzweifelt. Meine Schwester hat einige Wochen später ein Geschwür in der Brust bemerkt - Krebs? Panik! Ich also wieder zurück, nach Berlin. Wollte doch für meine Familie da sein. Ich habe dann in einem Altenpflegeheim Arbeit gefunden, wo ich auch jetzt noch arbeite, aber nur noch einen Monat. Die Altenpflege ist anstrengender als die Krankenpflege - dieses Jahr war absolut kein gutes Jahr für mich. Habe wieder mit dem Ritzen angefangen und esse sehr unregelmäßig - denke wieder an Suizid. Nächstes Jahr fange ich dann wieder in einer Klinik an zu arbeiten - brauche einfach wieder einen Wechsel, der hoffentlich besser ausgeht (aber ehrlich gesagt, denke ich nicht mehr an eine gute Wende). Ich habe Angst vor diesem, erneuten Neueinstieg in einem neuen Team.
Was soll ich mit diesen vielen Narben am Arm machen? Noch kann ich sie gut unter einem Pullover oder einer Strickjacke verstecken - aber im Sommer? Ich fange nun an mir Hilfe im Internet zu suchen, war auch schon einmal in einer Beratungsstelle. Dort wurde gesagt, dass ich die Arbeitsstelle dringend wechseln sollte und eigentlich bin ich auch recht positiv aus diesem Gespräch gegangen - nun denke ich schon es war zu positiv. Denn soo einfach, wie es sich im Gespräch gemacht hat, ist das im wahren Leben eben nicht. Nun habe ich keine Motivation noch einmal da hin zu fahren, habe einen zweiten Termin abgesagt und auch gesagt, dass kein weiteres Gespräch nötig sein wird. Trau mich gar nicht noch mal da aufzutauchen.
Da ich lange Zeit weit weg gewohnt habe und ich auch nicht gut für den Erhalt von Freundschaften gesorgt habe, habe ich nun Niemanden, dem ich mich anvertrauen kann. Jetzt wünsche ich mir so sehr Jemanden, der mich begleitet und mir Anschub gibt. Ich habe einfach keinerlei Hoffnung mehr mein Leben so zu verändern, dass es mir wieder Spaß machen könnte. Stattdessen verbiege ich mich, um in dieses Dahinleben zu passen und Allen gerecht zu werden. Mein Ritzen hat extrem zugenommen in den letzten 2 Monaten und der Grund muss nicht einmal sehr bewegend sein, um tiefe Wunden entstehen zu lassen. Es kommt mir schon vor wie eine Sucht, die ich manchmal brauche um besser einschlafen zu können oder den Arbeitstag zu überstehen. So, nun bin ich erstmal KO und Sie, wer auch immer das lesen wird, sicher auch bei so viel Text.
Wenn mich jetzt mein Gegenüber wieder fragen würde: "Wie kann denn die Hilfe aussehen, die du brauchst?" Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung was mir helfen könnte. Zur Zeit versuche ich einfach so wenig wie möglich zu ritzen und ab und zu auch was zu essen. Aber ich weiß, so kann das nicht mehr lange weiter gehen. Suizid? - wird mir schwer fallen. Aber nur weil ich mich vor Gott schon genug schäme, für das, was ich meinem Körper antue. Ich bin katholisch erzogen und fühle mich auch nicht gut bei dem, was ich mit meinem Leben anstelle. Manchmal bete ich und hoffe, dass alles bald vorbei sein wird - egal wie. Danke fürs Lesen und die Möglichkeit, auf diesem Wege eine Rückmeldung und Beratung zu erhalten.
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