Einige der Herren standen im Raum herum und unterhielten sich, die anderen waren am Büffet beschäftigt. Obwohl es kein üblicher Gästeempfang war, organisierte Herr Mayer bei jedem Treffen der Gruppe sein berühmtes kaltes Büffet. Die Köstlichkeiten ließ er sich von einem Feinkostladen aus Frankfurts Sachsenhausen anliefern. Das Feinkostgeschäft hatte den gleichen Namen wie Herr Mayer, daher war das Geschirr des Feinkostgeschäfts mit Mayer gekennzeichnet. Das hinterließ bei den unkundigen Gästen, welche das Geschäft nicht kannten, den Eindruck, als ob das Geschirr für den Herrn Mayer extra angefertigt wurde. Herr Mayer wusste, seine Gäste werden die Gelegenheit nicht versäumen, um sich an den ausgesuchten Spezialitäten gut zu tun, bis auf den Sir Gallmann. Dieser fasste nie etwas an. Eigentlich hat ihn Herr Mayer noch nie etwas essen gesehen, wahrscheinlich auch keiner der anderen anwesenden Männer. Sir Gallmann betrat den Konferenzraum, die Gespräche erlöschen, alle drehten sich ihm zu.
»Guten Tag die Herren«, begrüßte Sir Gallmann die Anwesenden.
Die Herren am Büffet erwiderten die Begrüßung und stellten ihre Teller und Bestecke ab. Ohne Anweisung liefen sechs der anwesenden Männer aus dem Konferenzraum hinaus. Sie werden im Nebenraum das Ende der Besprechung abwarten und erst danach zu den drei Männern im Saal zurückkehren, um für sie bestimmte Informationen zu erhalten. Inzwischen werden sie untereinander ihre Geschäfte ausbauen.
Die im Raum verbliebenen drei Männer nahmen Platz in bequemen Lederstühlen am großen runden Konferenztisch. Sir Gallmann, Herr Mayer und Herr Bennstein saßen im Dreieck am Tisch und schauten sich nicht besonders freundlich an. Sir Gallmann mochte keinen der Anwesenden, das gab er ab und zu deutlich zur Kenntnis.
Sir Gallmann war der Boss der Bosse. Er führte das Triumvirat der drei Familien an, die Gruppe der Neun. Es gab nur noch drei Familien im Spiel. Jede Familie hatte in einer der Gruppen, der Deutschen, der Englischen oder der Schweizerischen jeweils einen eigenen Vertreter. An der Spitze dieser drei Gruppen stand ein Vorsteher aus jeweils einer anderen Familie, somit hatten die einzelnen Familien gleiche Machtverhältnisse und Überblick. Das einzige direkte Familienmitglied war Sir Gallmann, besaß als solcher das Vetorecht. Letztendlich, es wurde immer das gemacht, was er befahl. Alle Männer leiteten ihre kleinen Imperien, welche allesamt den Familien gehörten. Die Männer hatten den Ruhm, verdienten Millionen, waren gierig auf noch mehr, aber der wahre Gewinn floss durch verschleierte Kanäle an die Familien ab. Die Männer verließen die Gruppe nur tot und machten nur so den Platz für einen Nachfolger, die nächste Marionette der Familien. Wie jemand manchmal verstarb, das wurde nie bekannt. So wurde es seit immer gemacht.
»Ich freue mich, dass sie alle gut angekommen sind. Wir kommen gleich zur Sache«, sprach Herr Mayer als Gastgeber die Herren an, nickte höflich dem Herrn Bennstein und Sir Gallmann mit dem Kopf zu. Herr Bennstein fing mit seinem Bericht an.
»Endlich haben wir den Volltreffer. Die Spur zu den gesuchten Ikonen ist mehr als heiß. Ich werde es nun begründen und um die Ergebnisse zu untermauern werde ich in der Vergangenheit nachgraben. Die Ikonen wurden bereits 1966 entwendet. Wir erfuhren von deren Existenz erst 1969. Der Diebstahl als solcher wurde offiziell erst 1970 verzeichnet, als das Museum renoviert werden sollte. Vor 1975 hatten wir keine Möglichkeit der Angelegenheit nachzugehen. Die erste Untersuchung von 1975 brachte absolut keine Ergebnisse. 1983 haben wir die erste heiße Spur gehabt, wir haben einen der Täter entlarvt, wegen seines Kampfsports als "Meister" genannt. Als 1985 endlich alles vorbereitet war, versuchten wir ihn zu entführen, dabei hat er alle unsere Männer getötet. 1987 haben wir ihn ergriffen, leider ist er nicht lebend in unsere Hände gefallen. Die Untersuchungen wurden auf seinen Kreis ausgeweitet. Wie beschlossen wurden alle welche im Jahr des Diebstahls, also 1967, im Alter zwischen achtzehn und sechzig waren gründlich überprüft, egal ob männlich oder weiblich. Das ergab keine neuen Erkenntnisse, wir hatten nichts, absolut nichts. 1987 haben die Engländer die Suche übernommen. Dabei kam heraus, dass der Meister einen alten Mann kannte. Dieser alte Mann soll in den 50-er und 60-er Jahren sehr engen Kontakt zum Meister gehabt haben, danach nicht mehr, deren Kontakt wurde abrupt abgebrochen. Dieser alte Mann war 1987 bereits weit über achtzig Jahre alt. Also, er war 1967 in unserem Altersraster nicht berücksichtigt worden. Wir gingen nun davon aus, dass dieser alte Mann der Helfer bei dem Diebstahl war, oder sogar einer der Vertrauten. Er könnte etwas wissen. Wir gingen die ganze Zeit davon aus, dass die Ikonen weder rausgeschmuggelt, verkauft, noch vernichtet worden sind. Sie müssten noch im Lande sein, versteckt bei einer vertrauenswürdigen Person. Wie zum Beispiel bei diesem alten Mann. 1987 hatten wir die Möglichkeit an den alten Mann dran zu kommen. Er war aber im gleichen Jahr bereits verstorben. Wir vermuteten damals, dass die Ikonen eventuell in seiner Hinterlassenschaft sein könnten. Weitere Nachforschungen ergaben, dass der alte Mann eine Tochter und zwei Enkelsöhne hatte. Die Durchsuchung der Wohnung der Tochter brachte keine Ergebnisse. Die zwei Enkelsöhne konnten wir nicht finden, ihre Adressen führten ins Leere. Da bei der Tochter des alten Mannes nichts gefunden wurde, es ausgeschlossen war, das sie persönlich mit der Sache etwas zu tun hatte, betrachteten wir diese Spur als erloschen. Diese Frau war damals geschieden, die Enkelkinder waren 1967 jünger als achtzehn Jahre. Wie sie alle wissen, jede Nachforschung im Land war zu der Zeit so gut wie unmöglich, sogar äußerst gefährlich für uns. Bei der Nachforschung im Jahr 2000 fanden wir endlich die Enkel des alten Mannes. Der Ältere lebte 1987 beim Vater. Weil die Eltern geschieden waren, haben wir vorher nach dem Vater zuerst gar nicht gesucht. Sehr verworrene Familiengeschichte, extrem undurchsichtig. Der ältere Bruder war Arzt, Chirurg, während des Balkankrieges nachweislich an der Front umgekommen. Über den zweiten Enkel war nichts bekannt. Nichts. Die Quellen berichteten uns, er soll ein Krimineller gewesen sein und bei den Beutezügen im Balkankrieg ebenfalls umgekommen sein. Er existierte nicht mehr. Das war der letzte Stand der Erkenntnisse. Dieses Jahr haben wir, die Schweizer, die Suche übernommen. Wir knüpften an alle bisher verfügbaren Ergebnisse an, überprüften erneut. Wir sind bei dem angeblich verschollenen zweiten Enkel hängen geblieben.«
»Herr Bennstein, kommen Sie bitte auf den Punkt, jeder in der Runde kennt das und blickt nicht mehr durch, das will doch keiner wissen«, sagte Sir Gallmann deutlich genervt.
Herr Bennstein zuckte zusammen und fuhr schnell fort.
»Die Eltern haben sich scheiden lassen, der ältere Enkelsohn ist beim Vater geblieben, das war der Chirurg. Der Zweite blieb bei der Mutter. Die Mutter sprach sieben Sprachen, hier wurden wir stutzig. Seltsam, sieben Sprachen? Sie heiratete wieder, ihr neuer Mann war ein hoher Vertreter der chemischen Industrie. Sie gingen ins Ausland, die Familie hatte einen Diplomatenstatus. Die Familie war meistens im Ausland, in verschiedensten Ländern der Welt. Wir vermuten, dass dieser neue Ehemann für die Regierung mit Waffen gehandelt hatte. Daher wurden alle Spuren dieser Familie von Amtswegen gelöscht und verschleiert. Deswegen fand niemand den jüngeren Sohn, den Enkelsohn des alten Mannes. Als sein Großvater starb, da hat der ältere Enkelsohn, der Arzt, die Wohnung des Großvaters aufgelöst. Dabei kam er in den Besitz der Ikonen. Sein jüngerer Bruder war viel unterwegs, was er konkret machte, das wissen wir nicht. Er ist jedenfalls 1994 in Frankfurt aufgetaucht. Davor hat er in Dänemark geheiratet, bestimmt, weil dort kaum Unterlagen verlangt wurden. Er nahm den Familiennamen seiner Frau an. Bis 2000 verliert sich seine Spur erneut. Wir wissen jetzt etwas mehr. Seine Frau ist kurz nach der Heirat in Afrika umgekommen, sie war Ärztin im Hilfschor. Für die Behörden seines Landes war er nicht mehr existent, da er die Namensänderung in seinem Land nicht angegeben hatte. Irgendwie wurde er als im Krieg als verstorben betrachtet. Als der ältere Bruder an der Front starb, erbte die Mutter alles. Sie hielte die Wohnung des Sohnes weiter aufrecht, zahlte die Rechnungen, usw. Als dann auch die Mutter verstarb, übernahm der angeblich verschollene und toter jüngere Sohn den Nachlass seiner Mutter, wie auch die Hinterlassenschaft des mittlerweile verstorbenen Vaters als auch des Bruders. Um alles zu beanspruchen, verkaufen, oder auszuführen, brauchte er reguläre Papiere. Er musste in Belgrad seine Namensänderung angeben. Er bekam einen auf seinen neuen Namen ausgestellten Pass, sowie die Genehmigung die Hinterlassenschaft in das Ausland zu verbringen. Wir haben herausgefunden, dass sein Vater ein Kunstsammler war. Er war Zahnarzt, ließ sich die Arbeit oft mit Kunstgegenständen bezahlen. Der jüngere Sohn hat den Transport von diversen Kunstgegenständen organisiert. Es wurden zwei große Kisten, von mehreren Kubikmeter, zuerst per Lastwagen nach Budapest transportiert, dann nach Wien geschmuggelt. Aus Wien per Luftfracht nach Frankfurt. Wir haben sogar die Kopien der Zollunterlagen. Offensichtlich hatte er die Ausfuhrgenehmigung aus dem Land manipuliert, jemanden bestochen um diese Genehmigung zu bekommen. Man hätte sonst nie erlaubt, dass solche Kunstgegenstände aus dem Land ausgeführt werden. Die Ikonen stehen nicht auf der Liste, was aber nichts heißt. Zollanmeldung erhielt eine genaue Bezeichnung des Inhalts. Es waren der Unterlagen, Manuskripte, Zeichnungen, Gemälde, usw. Weiterhin, verzeichnet sind zwei kleinere Holzkisten und ein Lederkoffer, voll mit Unterlagen. Wir denken, der Lederkoffer, das waren unsere Ikonen. Sogar die Beschreibung des Koffers trifft zu. Auf alle Fälle, der Mann lebt jetzt in Frankfurt, die Sendung muss bei ihm sein, oder … er kann uns den nächsten Hinweis geben.«
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