»Halt still, Hexe, sonst machen wir hier an Ort und Stelle gleich kurzen Prozess mit dir«, grollte er.
Wo wollen sie mich hinbringen? In diesem Moment vermisste ich Blitz und Donner, meine beiden Zaubervögel, die meistens zur Stelle waren, wenn ich in dumme Situationen geriet. Meistens, wohlgemerkt, manchmal glänzten sie aber auch durch Abwesenheit, wie jetzt gerade zum Beispiel. Ich war mutterseelenallein mit diesen ungehobelten Burschen und befürchtete das Schlimmste. Die Pranke von dem Kerl legte sich auf meinen immer noch brennenden Po, und ich blieb, so gut ich es vermochte, still über seiner Schulter hängen.
Unter mir zog sich ein staubiger Pfad wie ein unaufhörliches Band hin zu einem mir unbekannten Ziel, welches die Männer ansteuerten. Hin und wieder hob ich den Kopf an, um die Umgebung zu erkennen. Aber die endlosen Felder und Bäume, an denen wir vorbeigingen, sagten mir nichts. Alles war mir fremd. Als ich erneut den Kopf hob, schlug mich Horst. Sofort drückte ich mein Gesicht gegen Ottmars Schulter, um nicht noch weitere Schläge zu riskieren. Der Gestank, der mir entgegenschlug, war ähnlich wie der seines Kumpanen.
Wir hielten abrupt, und der unangenehme Griff an meinem Po verstärkte sich, sodass ich mich innerlich versteifte. Sie sprachen mit zwei anderen Männern und brüsteten sich, eine Hexe gefangen zu haben. Dann flüsterten sie noch etwas, das ich aber leider nicht verstehen konnte. Nur ihr dreckiges Gegröle zeigte mir eindeutig, dass es etwas mit mir zu tun haben musste. Ich betete zu der höheren Macht, dass ich bald am Ende meiner unfreiwilligen Beförderung ankommen würde.
»Ab ins Verlies mit ihr zu den anderen! Ich sperre euch auf«, zischte eine Stimme, die ich vorher noch nie gehört hatte.
Ich hörte, wie sich ein schweres Eisentor öffnete. Wahrscheinlich sind wir in einer Burg , kam mir die Idee. Der Mann, über dessen Schulter ich immer noch wie ein nasser Sack hing, setzte sich wieder in Bewegung. Wir überquerten eine Brücke, dann schlüpfte der Kerl durch eine niedrige Tür. Meine Schulter schrappte an dem rauen Mauerwerk entlang, und ich schürfte mir die Haut auf. Allerdings konnte ich mir keine Gedanken darüber machen, denn der Geruch von altem Gemäuer legte sich stark auf meine Lungen, sodass ich im ersten Augenblick glaubte, ersticken zu müssen. Ottmar stapfte eine enge Wendeltreppe nach unten und warf mich auf den Boden. Ich konnte einen kurzen Aufschrei nicht unterdrücken.
Mein Blick fiel auf zwei an den Wänden angekettete Frauen, die auf gammeligem Stroh mehr oder weniger hockten. Sofort war die Erinnerung an meine Gefängniszelle im Blücherturm wieder präsent. Der Geruch war mir auf unheimliche Art und Weise vertraut. Ein Schauer lief mir bei der Erinnerung über den Rücken. Wo bin ich hier nur gelandet? In dieser Zeit, an diesem Ort, soll mein Auserwählter auf mich warten? Mein Engel? Ob Großmutter Katharina sich da nicht geirrt hatte? Ich wusste nur eins: In diesem Moment befand ich mich in einem riesigen Dilemma.
Der Typ visierte mich mit einem hämischen Grinsen an. Ehe ich mich versah, packte er meinen Arm und kettete mich ebenfalls an einen freien Platz der dreckigen Wand an.
»Hier passt du gut hin. Eine Hexe und eine Metze haben wir schon. So, wie es den Anschein macht, bist du eine Metzenhexe. Passt doch sehr gut. Na, egal. Auf jeden Fall wirst du gut brennen.«
Ich wandte mein Gesicht von ihm ab, um ihm keine Emotionen zu zeigen. Er sollte nicht sehen, wie groß meine Angst war. Meine Arme schmerzten jetzt schon von den Ketten, was bedeutete, dass es bald schlimmer werden würde, oder aber, dass ich mich an die permanenten Schmerzen gewöhnen würde, was das Beste in meiner Situation wäre.
Die Tür oben schloss sich, und ich war allein mit den zwei Frauen, die mir als Hure und Hexe vorgestellt wurden.
»Ich dachte, ihr wärt Hexen. Warum könnt ihr uns dann nicht freizaubern?«, erklang eine zischende Stimme von meiner rechten Seite.
Ich drehte den Kopf in die Richtung und sah nur wirre, lange braune Haare, welche ihr Gesicht verdeckten. Die Frau trug ein Ketzergewand, wie es Prostituierte tragen mussten. Das war also die ‚Hure‘. Ich wusste nicht, ob sie mich unter dem vollen Haar überhaupt sehen konnte. Den Spruch von ihr fand ich ziemlich anmaßend. Warum sollten die andere Frau und ich wirklich Hexen sein? Schließlich wurden viele unschuldige Frauen, die nichts mit Magie am Hut hatten, in den vielen Jahrhunderten als Hexen verurteilt und hingerichtet.
»Das Gleiche könnten wir dich fragen.«
Ich blickte zu der anderen Frau, die an der mir gegenüber liegenden Wand angekettet war. Sie hatte die ganze Zeit ihr Gesicht auf die Brust gepresst, sodass ich anfangs auch nur ihre rot-blonden, lockigen Haare erkennen konnte. Nun hatte sie den Kopf leicht angehoben und sah die Frau wütend an. Ja, ich hatte mich nicht geirrt. Ihre Miene war angewidert von dem, was sie sah, und ich hielt dies für ziemlich vermessen in Anbetracht unserer gemeinschaftlichen schrecklichen Situation.
»Hey«, versuchte ich dieses anfängliche Streitgespräch im Keim zu ersticken.
Sofort sahen mich beide an. Ich konnte bei der Dame rechts von mir ein dunkles Auge durch den Haarschleier erkennen.
»Warum sollen wir uns streiten? Wir sitzen doch alle im selben Boot. Vielleicht sollten wir uns erst einmal vorstellen. Wie heißt du?«, fragte ich die ‚Hure‘, die tatsächlich bei meinen Worten angefangen hatte, leise zu knurren.
»Apollonia Schmidt.«
»Apollonia, ein schöner Name«, versuchte ich die Frau zu beruhigen, denn sie strahlte regelrechte Aggressivität aus.
»Ich bin ...«
»Rose«, kam es von der anderen Frau, die mir geradewegs gegenüber saß, und ich verstand in diesem Moment die Welt nicht mehr.
Woher weiß sie das? Das kann hier niemand wissen.
Wahrscheinlich hatte ich sie vollkommen verdattert angesehen. Ihre grau-grünen Augen spiegelten ebenfalls Fassungslosigkeit. Dann verzog sich ihr voller Mund mit den fein geschwungenen Lippen zu einem überheblichen Lächeln.
Im Schattenreich
Ein gellender Schrei versetzte ihn in Alarmbereitschaft. Der Werwolf in ihm spürte, wie sich jeder Muskel in seinem gestählten Körper anspannte, bereit für die Jagd und den Kampf. Erneut dieser Schrei, der deutlich Todesangst signalisierte und von einem weiblichen Wesen stammte. Er wartete nicht länger, überließ seinem Instinkt die Kontrolle und rannte in die Richtung, aus der der Schrei hallte. Je näher er kam, desto mehr befiel ihn ein Unwohlsein. Es waren die Schatten. Sie bildeten die Quelle dieser unangenehmen Gefühle. Sie wirkten auf alle Personen anders. Manche ertrugen ihre Gegenwart gar nicht und flüchteten blind. Andere taten sinnlose Dinge, wie singend im Kreis herumzulaufen. Er hatte schon die irrwitzigsten Reaktionen beobachtet. Da war seine Übelkeit nur eine leichte Einschränkung. Es hätte ihn deutlich schlimmer treffen können. Trotzdem konnte er nicht gerade behaupten, dass er sich gerne in dieser düsteren, hoffnungslosen Welt aufhielt. Aber er hatte keine Wahl. Ein paar Mal hatte er versucht, der Schattenwelt zu entkommen, um als Geist auf der Erde zu wandeln, und das Mädchen, dass er wohl niemals vergessen würde und für die sein untotes Herz ewig schlagen würde, zu finden. Aber sie schien wie vom Erdboden verschluckt, und ehe er sich aufmachen konnte, den Kontakt zu ihrer Mutter zu suchen, erreichte ihn eine Nachricht, die ihn auch noch in der Erinnerung schaudern ließ.
Auf einem uralten Pergament standen mit einer feingeschwungenen Schrift folgende Zeilen:
Michael Graf,
ob du und wann du Freyja Rose wiedersehen wirst, entscheide ich alleine. Du wirst eine Prüfung bestehen müssen.
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