Der Übeltäter ist schnell entlarvt, denn Mum zückt ihr Handy, sieht kurz auf das Display und verlässt die Küche. Sie hat zumindest den Anstand, aus dem Zimmer zu gehen.
Warte. Womöglich tricksen sie mich so aus. Pseudo-Dad zaubert einen vorgetäuschten Anruf, damit Mum verschwinden und mein Zimmer lüften kann.
Gerade als ich mich frage, ob ich nachsehen und sie so auf frischer Tat ertappen sollte, kommt sie schon wieder durch die Tür zurück in die Küche geschossen. Ich ergänze ihren emotionalen Zustand, der sich wohl schlagartig gewandelt hat und ins Fuchsteufelswilde übergegangen zu sein scheint.
„Gute Nachrichten?“, mutmaßt Dad.
„Dreimal darfst du raten, was deine Tochter angestellt hat“, läutet sie ein Gespräch ein, wozu ich heute definitiv keine Kraft habe.
Ich spüre die Hitze des viel zu heißen Bades immer noch auf meiner leicht geröteten Haut und leide an den nachwirkenden Verbrennungen ersten Grades.
Mindestens.
Darüber hinaus hab ich absolut keine Ahnung, was ich angestellt haben könnte.
„Hat sie ein Video von diesem Moment ins Internet gestellt, als ich zu spät bemerkt habe, dass das Klopapier alle war, mit runtergezogenen Hosen, brauner Rille und im Entengang durch die halbe Wohnung gekrochen bin, um dann festzustellen, dass wir auch keine Küchenrolle mehr da haben?“, rät er drauflos.
Nicht nur mir stellen sich bei der Vorstellung die Haare auf, möchte ich wetten.
Dad hebt die Hände abweisend hoch. „Hey, nackt durch das Haus zu laufen ist solange okay, bis man einen Hund hat, der nach Dingen schnappt, die durch die Gegend propellern.“
Danke, Pseudo-Dad. Die Bilder bekomm ich nie wieder aus dem Kopf.
„Nein“, raunt Mum.
„Dann ist es halb so wild“, scherzt Pseudo-Dad total unangebracht. Was Mum übrigens auch findet, da sie relativ unentspannt knurrt, während ich einfach nur froh bin, dass ich mich diesem Familienleben seit Jahren entsage und nur zum Frühstück und Abendessen hier runter muss.
Ich wünschte mir, er wär mein Dad. Nur er vermag es, immer gelassen zu bleiben. Ich habe ihn noch nie unglücklich gesehen.
Ganz zu schweigen von meiner Mum, bei der Gereiztheit auf der Tagesordnung steht. Krasse Gegensätze sollen sich ja anziehen. So erklär ich mir seit Jahren ihre relativ friedliche eheliche Koexistenz.
„Sie hat sich per Mail für uns ausgegeben, unsere Abmeldung von der Schule schriftlich revidiert und sich neu in ihre alte High-School eingeschrieben. Dazu hat sie mal eben unsere Unterschriften gefälscht.“
Na ja, die brauchte ich, weil ich noch minderjährig bin.
Hey, wieso rufen die hier an?
Nun kommt der Part, wo alle Blicke im Raum auf einen einzigen Organismus gerichtet sind, um ihn damit unter Druck zu setzen und so eine Erklärung aus ihm rauszuquetschen.
Funktioniert schon mal.
Ich zucke lustlos mit den Schultern: „Ich bleibe ein Mensch und Menschen gehen weiter auf Menschenschulen. Dort gibt es Einschreibungsfristen. Ich musste Vorkehrungen treffen.“
„Du bist eine Hexe und Hexen gehen auf Hexenschulen “, argumentiert Mum. Dabei spricht sie so langsam, man könnte meinen, ich wär schwer von Begriff. Hey, guten Morgen Lieblings-Streitthema Nummer drei. Lange nichts mehr von dir gehört.
„Prinzessin, wir haben doch darüber gesprochen, dass du von deiner Schule vorzeitig abgehst und mit dem nächsten Semester in die Hexenschule wechselst“, rollt Pseudo-Dad alles wieder auf und tut so, als hätt ichs beim ersten Mal nicht kapiert, als sie damit ankamen.
Hab ich, was mich ja zum Handeln gezwungen hat.
„Wie ich bereits heute in den frühen Morgenstunden mit Videomaterial eingehend untermauert habe, werde ich nicht auf diese Hexenschule gehen, weil ich ein Mensch bleibe“, erkläre ich ebenso schleppend.
„Du bist kein Mensch. Folglich kannst du auch keiner bleiben. Du steigst direkt nach deiner Hexentaufe an deinem sechzehnten Geburtstag ins Flugzeug“, bestimmt meine Mum stampfend.
Ich werde hellhörig. „ Was heißt hier Flugzeug? “, konfrontiere ich sie hysterisch.
Pteromerhanophobie.
Meine Eltern senden sich diese speziellen Blicke zu. Nach heute Nacht kann ich sie auch besser deuten. Das machen sie immer, wenn sie mich belogen oder mir etwas verschwiegen haben. Was für mich einer Lüge gleichkommt.
„Die Hexenschule befindet sich nicht in New York“, rückt Mum raus.
„Was? Sie ist nicht mal in diesem Bundesstaat? “, schreie ich förmlich voller Verzweiflung in die Welt hinaus.
„Du wirst die Vereinigten Staaten verlassen“, lässt Mum mit urteilsverkündender Stimme die Bombe platzen.
„Aber ich bleibe doch in Amerika“, stelle ich Pseudo-Dad zur Rede.
„Du weißt doch, geographische und menstruelle Fragen gehen direkt an deine Mum“, stellt er sich quer.
„Du verlässt Amerika“, erklärt sie.
„ Was? Diese Schule befindet sich nicht mal auf unserem Kontinent “, kreische ich.
„Du gehst nach Irland“, rückt Mum nach ein paar Sekunden raus.
Was? Das ist jetzt nicht wahr.
„Dort wohnt auch Onkel Junus“, trällert Dad.
„Irland? Da habt ihr mich ja prima angelogen“, werfe ich ihnen vor.
„Wir haben dich nicht angelogen, wir haben es dir verschwiegen“, berichtigt mich Mum.
Das kommt dem gleich.
„Wir würden dich nie anlügen, Prinzessin“, wagt es Pseudo-Dad tatsächlich auszusprechen und mich damit erneut anzuschwindeln.
„Weihnachtsmann, Zahnfee, Osterhase“, bringe ich exemplarisch vor, was mir am Unverfänglichsten erscheint.
„Dieser kleine Pisser“, flüstert Pseudo-Dad Mum zu. Hat er mich eben einen Pisser genannt?
„Also, das Wort ‚ Lügen ‘ klingt doch etwas extrem, findest du nicht auch“, rudert Dad rum. „Nennen wir es doch den Austausch kreativer Information zu Sachverhalten der Realität zum Zwecke mittelfristiger Stressvermeidung.“ Man kann sich ja alles schönreden. Aber so leicht kommen mir meine Eltern nicht davon.
„Noch ein Grund, nicht auf diese Schule zu gehen. Ich verlasse die Vereinigten Staaten nicht. Niemals! “, rufe ich.
„Das wirst du aber wohl oder übel müssen. Die Schule wird nicht zu dir kommen“, meint Mum.
„Dann mach ich eben den Zweig mit dem Online-Studium“, schlage ich vor.
„Es gibt kein Online-Studium der Hexenkunst.“ Das hatte ich schon befürchtet. „Und selbst wenn, würdest du auf die Schule gehen, wie jeder andere auch“, bestimmt Mum.
Sie haben mir also heut Morgen wiedermal nicht richtig zu gehört.
Ich kann gar nicht „ wie jeder andere auch “ dorthin gehen, weil ich nicht wie jeder andere bin. Wann schnallt und akzeptiert sie das mal?
Gerade in dem Moment bin ich sogar froh, sie belauscht zu haben. So fällt mir mein Widerstand deutlich leichter: „Nein, das werde ich nicht.“
Meine Mum rollt genervt mit den Augen.
„Ich will weder, dass ihr meine Kräfte an meinem Geburtstag weckt, noch will ich auf diese Schule gehen. Ich bleibe hier, zu Hause, und gehe auf eine normale Menschenschule“, bocke ich weiter.
„Du hast dich erneut für das Online-Fernstudium dieser ‚ normalen Menschenschule ‘ eingetragen“, deckt sie mich auf. „Das ist kein normales zur Schule Gehen, Fräulein.“
„Gut, ist es halt etwas abnormal. Aber immer noch normaler als auf eine magische Schule zu gehen“, argumentiere ich.
„Das steht sowieso nicht zur Debatte“, spielt sie ihre Elternkarte aus. „Denn es gibt auch für Hexen eine Schulpflicht.“
Seit wann?
„Natürlich steht das zur Debatte. Ihr könnt mich nicht dazu zwingen, dort hinzugehen oder mir Kräfte verpassen, ohne mein Einverständnis.“
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