Richemont hob kurz die Augen zum Himmel und warf seinem Ecuyer Jeannin Cotuyt einen verzweifelten Blick zu. Cotuyt gab zwei Waffenleuten Zeichen die freilaufenden Rösser einzufangen. Ein dritter Soldat trug rasch Decken für die verschwitzten Tiere herbei. Ausgebildete Kriegspferde waren wertvoll. Ein anständiges Tier kostete mindestens den Gegenwert von zwanzig guten Zugochsen.
Unterdessen lenkte Arzhur seinen spanischen Fuchs hinüber zu den beiden jungen Männern, die sich in der Mitte des Kampfplatzes dreckverschmiert und atemlos gegenüberstanden. Trotz Carnacs Geste spürte der Ritter eine ungesunde Feindseligkeit zwischen Sieger und Besiegtem aufsteigen. Patrice hatte schon die Hand am Knauf seines Schwertes. Er fluchte leise zwischen zusammengebissenen Zähnen. Als Giron versuchte seine Waffe blank zu ziehen, blitzten Sévrans Rabenaugen kurz gefährlich auf, während er gleichzeitig mit der Linken ausholte, so als ob er einen unsichtbaren Stein nach Giron schleudern wollte. Seine Lippen bewegten sich kaum sichtbar, aber Giron winselte plötzlich, wie ein ängstlicher junger Hund und wich mit angstgeweiteten Augen einen Schritt zurück. Seine Rechte ließ den Knauf seines Schwertes los, so als ob er ihm die Finger verbrannte. Mit der anderen Hand machte der Knappe eine altertümliche Geste gegen den bösen Blick. Doch noch bevor Carnac zu Ende bringen konnte, was er so offensichtlich vorgehabt hatte, rief Arzhur de Richemont ihn energisch zurück. Dann lenkte er sein Tier zwischen die Opponenten, um sie zu trennen. Zuerst wandte er sich an Patrice, der sich nur langsam vom Schreck zu erholen schien.
„Glaubt nur nicht, dass ein wirklicher Gegner Euch im Kampf je auf die Beine helfen wird, wenn er Gelegenheit hat, Euch das Schwert in den Leib zu rammen, Giron“, sagte Richemont ruhig, bevor er mit einem leisen Hauch von Tadel in der Stimme fortfuhr, „und noch etwas: Die ritterliche Ehre gebietet, dass auch Ihr vom Pferd absteigt, wenn Euer Gegner sein Tier verliert.“ Endlich entließ er den durch seine Niederlage bereits tief gedemütigten jungen Adeligen mit einer knappen Handbewegung. Erst nachdem Giron außer Hörweite war, richtete Richemont seine Aufmerksamkeit auf den Sohn des Herzogs von Cornouailles. Der gelassene Ausdruck verschwand aus dem vernarbten Kriegergesicht. Seine klaren, hellblauen Augen funkelten den jungen Mann zornig an, während sein Mund sich zu einem dünnen, geraden Strich verzog. Er wusste genau, was Sévran am Ende vorgehabt hatte und es gefiel ihm überhaupt nicht.
„Wenn Ihr Euch überhaupt schlagt, dann schlagt Ihr Euch nicht wie ein Ritter, Carnac...sondern wie ein tollwütiger Köter!“, zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen leise und mit kalter Stimme, „Was für eine Überraschung haltet Ihr beim nächsten Mal für uns bereit? Werdet Ihr, wie ein englischer Söldner aus dem Hinterhalt mit Pfeil und Bogen schießen, oder habt Ihr vor, Euch wie ein Vogelfreier mit dem Stock in der Hand zu prügeln, Ollamh?“ Der beißende Spott, der in Richemonts Worten lag, war nicht zu überhören.
Sévran zuckte unwillkürlich zusammen. Blut stieg ihm in den bereits von der Anstrengung des Kampfes geröteten Wangen hoch und seine Augen blitzten einen kurzen Augenblick lang empört auf, doch die Selbstbeherrschung besiegte den Stolz. Langsam hob er den Kopf und blickte seinen ritterlichen Lehrmeister fest an. Er tat, was er konnte, um das Versprechen, dass er seinem Vater nach Aorélians und Glaodas Tod gegeben hatte zu erfüllen.
Seit drei Monate schon, biss er sich auf die Zunge. Er beugte sich brav den Regeln, die der jüngste Bruder des bretonischen Herzogs ihm als Knappen auferlegte. Dabei war bislang nicht viel mehr herausgekommen, als haufenweise blaue Flecken und der beißende Spott der anderen. Die hielten ihn auch noch für einen Feigling, nur weil er mit ihren ritterlichen Waffen nicht vernünftig umzugehen wusste.
Was die anderen Edelknappen in Rennes von ihm hielten, war Sévran egal, doch dass der beste Freund seiner beiden toten Brüder ihn verspottete, tat weh.
Während Richemont ihn noch eine Weile mit scharfen Worten für seine Tollkühnheit zurechtwies mitten in einem Kampf sowohl den schützenden Brustpanzer als auch den Helm abgelegt zu haben, um sich dann ohne Schild und nur mit dem Schwert in der Hand vor einen Berittenen mit einem Streitkolben zu werfen, schwieg er höflich, wenn auch durchaus nicht eingeschüchtert. Er wusste, dass Arzhur eigentlich Recht hatte und Arzhur wusste vermutlich, dass er es irgendwie auch wusste... Trotzdem: Die ganze Situation war für beide Seiten nicht einfach!
„Es ist wohl an der Zeit, dass wir beide ein vernünftiges Gespräch miteinander führen, Carnac… von Mann zu Mann und unter vier Augen“, sagte Richemont schließlich etwas freundlicher, nachdem er mit seiner Strafpredigt zu Ende war und Dampf abgelassen hatte. „Ich erwarte Euch vor dem Nachtmahl im kleinen Saal.“
Marguerite de Montforzh schmunzelte, als sie vom Fenster der Gemächer ihrer Mutter aus die kleine Szene beobachtete. Der junge Giron, Knappe von Colinet de Lignières, einem vertrauten Freund ihres Onkels, trottete mit hängendem Kopf, unglücklich, dreckverschmiert und offensichtlich tief gedemütigt zu den Stallungen. Das große, schwere Kriegspferd, dass er am Zügel hinter sich her zog, war genauso dreckig, wie sein Reiter und schien auf den ersten Blick fast ebenso unglücklich, denn es lies sowohl den Kopf, als auch die Ohren hängen.
Oft lächelte der breitschultrige, kräftige Patrice sie unbeholfen und schüchtern an, wenn ihre Wege sich kreuzten. Gelegentlich versuchte er dabei so höflich er es konnte diesen sonderbaren Kratzfuß zu machen, den Dame Tiffaine de Raguenelle, eine der Gesellschafterinnen ihrer Mutter, allen Edelknappen am herzoglichen Hof erbarmungslos einbläute. Dabei färbte sich sein braungebranntes Gesicht immer genau so feuerrot, wie sein Haarschopf. Marguerite mochte Giron gut leiden, weil er im Gegensatz zu ein paar anderen jungen Männern, die sich in Rennes ihre Sporen verdienten von freundlichem und ausgeglichenem Charakter war und nicht diese schlechte Gewohnheit hatte, wann immer es nur ging aufzutrumpfen und anzugeben. Er rieb auch nicht jedem unter die Nase, welche entscheidende Rolle sein Großvater einst bei der Zurückeroberung des herzoglichen Throns gegen die verräterischen Penthièvres und das französische Haus Blois gespielt hatte...und trotzdem freute sie sich an diesem Frühlingsmorgen tief in ihrem Inneren ein kleines Bisschen über seine schmähliche Niederlage.
Nicht etwa, das Patrice es verdient hätte, vom Pferd zu fallen, sich dabei alle Knochen grün und blau zu schlagen und mit dem schlammigen Grund Bekanntschaft zu machen. Obwohl Giron zu diesem wundersamen Menschenschlag gehörte, in deren Kopf nie Platz für mehr als einen Gedanken zur gleichen Zeit schien, war er ein ganz braver und wohlerzogener Bursche. Doch irgendwie hatte sein Gegner an diesem sonnigen Frühjahrsmorgen den Erfolg einmal als Sieger aus einem Übungskampf hervorzugehen dringender gebraucht, als er. Und jetzt musste der Rabe trotz seiner außergewöhnlichen Leistung wieder eine lange Strafpredigt von Onkel Arzhur über sich ergehen lassen!
Marguerite schmunzelte. Sie wusste natürlich auch, dass es sich für einen künftigen Ritter gar nicht ziemte zuerst seine Rüstung in den Dreck zu schmeißen, nur um anschließend einfach dem Pferd des Gegners in die Zügel zu fallen. Doch jedes Mal, wenn der Rabe versuchte sich an die ritterlichen Regeln zu halten, zog er gegen die anderen jungen Männer den Kürzeren: Seitdem er bei ihnen war, hatte er nicht nur ihre spöttischen Blicke ertragen müssen, sondern sich auch viele kränkende Bemerkungen und Sticheleien gefallen lassen.
Marguerite war davon überzeugt, dass er weder das eine noch das andere verdiente. Sie hatte nicht den Eindruck, dass er ein Feigling war und sich drückte...eher, dass er es einfach nicht besser wusste und eben versuchte in den Übungskämpfen mit schwerer Rüstung und scharfen Waffen, so gut es ging seine Kartoffeln aus dem Feuer zu holen.
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