Der Hass der Burgunder auf die Valois reichte so weit, dass sie nicht davor zurückschreckten, Lancaster die Doppelkrone auf einem Tablett anzubieten. Diese undurchsichtige Situation verlangte, dass Montforzh sein Land gegenüber Frankreich genauso vollständig abschottete, wie er dies bereits seit dem Desaster von Azincourt mit den Grenzen zwischen der Bretagne und der von den Engländern beherrschten Normandie tat.
Der alte Mann verzog den schmalen Mund zu einem hinterhältigen Grinsen: Die Situation hatte ihren Reiz. Einerseits war Henry Lancaster dem Haus Montforzh ganz und gar nicht gewogen, weil Yann im Krieg stur seine Neutralität aufrechterhielt und hierbei vergaß, dass einst ein englischer König seinem Vater Söldner ausgeliehen hatte, um in der Schlacht von Auray seine Herzogs-Krone zurückzuerobern. Andererseits betrachteten die Valois die unabhängigen und eigensinnigen Bretonen und ihren ebenso eigensinnigen Herrscher voller Misstrauen, denn Montforzh hielt sich aus allem heraus und schien nur davon besessen, für sein eigenes Land Reichtum und Wohlstand zu schaffen, während um ihn herum die Welt in Krieg und Blut versank.
De Craon würde Yann de Montforzh natürlich gehorchen, denn er hatte ihm für die bretonischen Besitzungen der Familie Laval-Craon-de Monmorency den Lehenseid geschworen: Der Herzog wollte Bewaffnete für seinen Grenzen? Er sollte sie bekommen. Dank der schier unerschöpflichen Geldmittel, die insbesondere seit der Verbindung zwischen Gilles und dem Thouars-Mädchen zur Verfügung standen, war es ein Leichtes vierhundert oder fünfhundert Männer auszurüsten, um Yanns Aufmerksamkeit von Champtocé abzulenken.
Noch in der Hochzeitsnacht hatte de Craon einen Eilboten mit einem Schreiben und reichen Geschenken nach Rom geschickt. Während seine großzügige Bereitstellung von Waffenleuten Montforzh gewogen stimmte, würde in der Zwischenzeit der päpstliche Dispens für die Ehe zwischen Gilles und Catherine eintreffen. Mit einer offiziellen Genehmigung des Vatikans hatte selbst der Herzog keine Handhabe mehr und vielleicht war die Kleine ja sowieso schon schwanger. Vor ein paar Tagen, als er sie zufällig auf dem Weg zur Kapelle bemerkte, war sie ihm sehr verändert vorgekommen. Ihr Leib, der im Augenblick der Entführung und anschließenden Vermählung so mager gewirkt hatte, war plump geworden. Obwohl ihr Gesicht gesund ausgesehen hatte, hatte um Augen und Mund des Mädchens jener eigentümlich überschattete Zug gelegen, wie man ihn bei Weibern in anderen Umständen oft gewahrte.
Der alte Mann eilte mit dem herzoglichen Schreiben in der Hand hinauf in seine Gemächer. Zuerst wollte er Montforzh ruhig stellen und in Sicherheit wiegen, dann galt es eine Reise vorzubereiten. Er musste sich nun ganz energisch um die Zukunft und die Karriere von Gilles kümmern. De Craon konnte sich durchaus vorstellen, dass diese Zutraulichkeit, die zwischen Henry Lancaster, Phillipe de Bourgogne und Isabeau de Bavière in Arras entstanden war und ihre Fortsetzung in dem Geplänkel von Troyes fand andere Folgen haben würde, als nur den Verlust der Jungfernschaft einer französischen Königstochter.
Henry Lancaster wollte die französische Krone um jeden Preis. Nur eine einzige Person stand noch zwischen ihm und der Erfüllung seiner Träume......Charles de Ponthieu, der Dauphin selbst. Doch dem jungen Mann fehlte eine ganz entscheidende Karte in seinem Spiel um Macht und Herrschaft; eine Möglichkeit die normannische Bastion von Henry Lancaster so zu bedrohen, dass die Aufmerksamkeit des Engländers endlich von der Hauptstadt Paris und der Krönungsstadt Reims abgelenkt würden.
Als Jean sich an seinen Arbeitstisch setzte und die Feder in sein Tintenfass tauchte, lag ein heimtückischer, berechnender Zug um den schmalen Mund des alten Mannes. Nur wer es wagte jetzt hoch zu spielen, der würde am Ende auf der siegreichen Seite stehen und dabei alles gewinnen...und vielleicht konnte er dem Montforzh ja dabei noch gleichzeitig einen bösen Streich spielen, ohne ertappt zu werden.
II
Claire spürte, wie seine Waden sich schmerzhaft verkrampften. Trotzdem streckte er sich so hoch er konnte. Die Finger seiner Rechten schlossen sich um den eisernen Gitterstab. Er stöhnte leise auf, als auch seine Linke endlich einen zweiten Gitterstab greifen konnte. Das Handgelenk, das der junge Laval ihm vor Wochen gebrochen hatte war schlecht zusammengewachsen und schmerzte. Mühsam zog Saint Germain seinen mageren, ausgemergelten Leib hoch, bis seine Augen endlich durch den schmalen Spalt des Verlieses hinaus in den großen Innenhof der Festung sehen konnten. Alles was er erkannte waren Pferdebeine.
Er hätte viel dafür gegeben, die Aufmerksamkeit eines der Reiter auf sich zu lenken und ihm eine verzweifelte Botschaft zuzuflüstern. De Craon und Laval waren eiskalte Mörder, sie versuchten nicht nur Dämonen zu beschwören und paktierten mit dem Bösen, sie schlachteten auch unschuldige Kinder und brachten der Finsternis Blutopfer dar. Was er in den Monaten, als er noch Gast auf Champtocé gewesen war geahnt hatte, wusste er heute bestimmt. Seit er ihr Gefangener war, war er ihnen schutzlos ausgeliefert. Während sie früher ihr unseliges Treiben sorgfältig vor ihm verborgen gehalten hatten, ergötzten sie sich nun an seinem Grauen.
Claire wollte es hinausschreien. Die ganze Welt musste erfahren, was auf Champtocé geschah. Irgendjemand musste den Mut finden dem Treiben der beiden Teufelsanbeter ein Ende zu setzen. Der Alchimist nahm seine ganze Kraft zusammen, stemmte seine Füße in den unebenen Mauerstein und hievte sich hoch bis zu dem elenden, kleinen Loch. Da waren Männer. Sie trugen Rüstungen und waren für den Krieg ausgestattet. Schwerter, Lanzen, Schilde. Undeutlich erkannte er das Wappen, das auf der Surcotte des Nächststehenden eingestickt war im Fackellicht: Weißer Grund und schwarze Hermeline.....die Reiter waren eindeutig Männer des bretonischen Herzogs selbst. Claire schöpfte Mut. Er holte tief Luft, um laut zu schreien.
,In der Tat, mein Freund. Wir haben hohen Besuch auf Champtocé. ‘ Gilles schmunzelte, als er de Saint Germain, wie eine Spinne in der Mauer hängen sah. Das Schauspiel, das der Ritter aus Anjou bot war pathetisch. Er war lautlos durch eine geheime Tür in den Kerker geschlichen, weil er sich fast hatte denken können, dass ihr wertvoller Gefangener versuchen würde, die Aufmerksamkeit der unerwünschten Gäste auf sich zu ziehen. Der Alchimist seufzte leise und lies sich zurück auf den Boden des Gewölbes fallen, das ihm gleichzeitig als Labor und als Gefängnis diente. Seine Muskeln schmerzten von der Anstrengung. Nun, in diesem Augenblick in dem ihm klar wurde, dass seine Hoffnung mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen durch Lavals plötzliches Auftauchen zerstört worden war, fühlte er grenzenlose Erschöpfung und Müdigkeit. Er hatte seit Wochen schon kein wirkliches Tageslicht mehr gesehen und diese kleine vergitterte Spalte direkt unter der Decke war die einzige Öffnung, die frische Luft in den Kerker ließ, sie war seine letzte Verbindung mit der Welt der Lebenden.
Claire wurde schmerzhaft bewusst, wie schwach er geworden war. Er ging langsam, wie ein Greis zu einem einfachen Stuhl. Seitdem de Craon und Laval ihn gewaltsam auf Champtocé festhielten, bekam er den gleichen Fraß, den sie vermutlich auch den Unglücklichen zuwarfen, die in einem anderen, finsteren Gewölbe direkt unter dem Seinen saßen und deren verzweifelte Schreie ihn bis vor Kurzem noch Nachtens von seinem Werk abgehalten hatten. Seit ein paar Tagen waren die Schreie verstummt. Entweder hatten der Teufel und sein Enkel die Unglücklichen endlich umgebracht, oder sie waren zu hoffnungslos, um sich überhaupt noch aufzubäumen und zu kämpfen.
Laval hatte sich bequem auf dem anderen Stuhl vor Claires Arbeitstisch niedergelassen. Seine dunklen Augen betrachteten interessiert einen neuen Versuchsaufbau des Alchimisten.
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