Dann hörte sie seine Stimme! Sie klang weich und harmonisch.
Amanda ...
Es klang wie ein Liebeslied, leise und doch eindringlich ... fordernd!
Amanda. Amanda. Komm zu mir, Amanda. Komm. Komm!
Chloés Herz klopfte wild und ein unbestimmtes Glücksgefühl jagte angenehme Schauer über ihren Rücken. Ihr Blut pulsierte schneller.
Plötzlich strömte auf Chloé eine Flut merkwürdiger Erinnerungen ein. Sie sah sich auf einem großen Segelschiff mit Kanonen bewaffnet, vor dem Hintergrund eines Hafens. Eine Erinnerung schien jedoch stärker zu sein als alle anderen. Sie sah ein schönes Gesicht mit Kinnbart. Die tiefliegenden Augen waren voll männlichem Begehren, ein verschmitztes, verführerisches Lächeln strahlte sie an. Sie spürte die Wärme seiner Umarmung, die erste aufregende sanfte Berührung seiner Lippen.
Ja, Amanda, ich bin hier. Ich bin wieder da. Meine Amanda.
Schnell drehte sie sich um und rannte zu ihrem Fahrrad, sprang auf und radelte davon. Nur weg von diesem merkwürdigen Mann. Eine kleine Taubenschar stieg mit klatschenden Flügelschlägen hoch und ließ sich auf die Dächer der umliegenden Häuser nieder. Die Luft war warm und die Sonne zeigte ihre Kraft. Das Fahrrad rollte über eine Bodenschwelle, die zur Verkehrsberuhigung beitragen sollte, und einige Meter danach hielt sie an. Sie stieg ab und schüttelte ihre lange schwarze Mähne. Die Gedanken an den unheimlichen Mann am Schulgelände hatte sie bereits verdrängt.
An einem der Fenster im Erdgeschoss tauchte Henri auf. Sie winkte ihm zu und er lächelte zurück. Mit seinen regelmäßigen weißen Zähnen hätte er für eine Zahncreme Reklame machen können. Henri verschwand vom Fenster um Chloé die Haustür zu öffnen.
Ein leichtes Kribbeln überlief sie, als sie eintrat. Henri gab der Tür einen lässigen Stoß und nahm Chloé in die Arme. Er drückte sie so fest, dass ihr die Luft wegblieb. Aber nur ganz kurz.
Dann küsste er sie mit hungrigen, warmen Lippen. „Schön, dass du endlich da bist“, flüsterte er leise. „Ich wurde schon ein bisschen nervös, hatte dich früher erwartet.“
„So ungeduldig?“
„Natürlich! Du hast mir gefehlt.“
„Aber wir waren doch erst gestern zusammen auf dem Volksfest“, meinte sie, freute sich aber über seine Worte.
„Das ist schon viel zu lange her“, erklärte Henri. Er konnte ihr schlecht erklären, dass er gefühlte Wochen in Indien verbracht hatte. Von Dämonenkämpfen und Seeschlachten würde sie kein Wort glauben, ihn für verrückt oder betrunken halten. Außerdem durfte er kein Wort verraten, sonst würde er die Spielrunden automatisch verlieren.
Er nahm Chloés Hand und zog sie mit sich nach oben. Sein Zimmer war nicht sehr groß, aber urgemütlich. An den Wänden hingen Bilder von Bayern München. Chloé fand das weniger romantisch, wollte ihm jedoch seine Liebe zu Fußball nicht nehmen. Henri spielte selbst als Linksverteidiger in der Bayernliga Süd beim SC Fürstenfeldbruck.
Im CD-Player lief langsame Musik, die Lamellenjalousie war zur Hälfte heruntergezogen. Ein weiches, angenehmes Dämmerlicht erfüllte den Raum und machte ihn zu einer intimen, weltentrückten Insel.
Henri setzte sich mit Chloé aufs Bett und zog sie eng an sich. Sie liebte es, wenn er sie mit langsamen, zärtlichen Berührungen streichelte. In solchen Momenten wünschte sie sich, dass die Zeit stehenbleiben würde. Die Liebe war für sie ein Gericht, das man langsam und bewusst genießen sollte, häppchenweise, Bissen für Bissen.
Als er gefühlvoll an ihrem Ohrläppchen knabberte, erschauerte sie und ihre Lippen trafen sich erneut zu einem zärtlichen Kuss.
„Ich kann dein Herz fühlen“, sagte Henri leise. „Es schlägt sehr schnell.“
„Deines etwa nicht?“
„Doch“, gab er zu. „Meines auch.“
Chloé rieb ihr Kinn an seiner Schulter und hatte den Wunsch, sich in Henri zu verkriechen. Es war schön, mit ihm zusammen zu sein, und ganz besonders genoss sie es, wenn sie völlig ungestört waren.
Sie hatte zu Hause auch ihr eigenes Zimmer, das größer als Henris war, sogar mit einem eigenen angrenzenden Badezimmer. Aber ständig hatte sie Angst, dass ihre Mutter oder ihre Schwester Michelle im falschen Moment hereinplatzen könnten. Sie stellte sich immer die Katastrophe vor, wenn ihre Mutter ahnungslos ins Zimmer kam und sie nackt in Henris Armen überraschte. Niemals wollte sie das wirklich erleben. Sie würde vor Scham im Erdboden versinken. Dass sie alt genug dafür war, Henri liebte und dadurch ein Recht auf all das hatte, würde ihre Mutter nicht gelten lassen.
Henri atmete heftiger. Seine zärtlichen Bemühungen erregten Chloé sehr. Selten hatte sie sich so wohl und begehrt gefühlt. Sie seufzte wohlig, er wusste genau, was ihr gefiel. Als er den Versuch unternahm, seine Hand unter ihr Shirt zu schieben, hinderte sie ihn nicht.
Schließlich richtete er sich auf und betrachtete Chloés makellosen Körper. „Ich kann mich an dir einfach nicht sattsehen.“
Sie schmunzelte. „Ich habe nichts dagegen.“ Liebevoll strich sie ihm über das Haar.
„Hast du es gern, wenn dich ein Mann ansieht? Was empfindest du dabei?“
„Es ist ein angenehmes Gefühl, zu erkennen, dass man begehrt wird. Geht es dir nicht genauso? Was empfindest du, wenn du im Freibad zum Schwimmbecken schlenderst und merkst, wie dir ein hübsches Mädchen bewundernd nachsieht?“
„Es schmeichelt mir“, antwortete Henri.
„Das Gleiche spielt sich in mir ab.“
„Scheint so, als wären beide Geschlechter gar nicht so verschieden.“
„Beides sind Menschen.“
Henri grinste. „Was du nicht sagst.“
„Ich werde jetzt fahren, Henri. Ich möchte mich doch für die Party noch hübsch machen, damit ich dir gefalle.“
„Hier in meinem Bett gefällst du mir am besten“, antwortete er grinsend.
„Schlingel!“ Sie knuffte ihn zärtlich in die Seite. „Hast du das Auto von Cedric bekommen?“
„Ja, klar. Mein Bruder schläft heute bei Laura und braucht den Wagen nicht.“
„Gut, ich würde ungern mit meinem Kleid auf dem Rad fahren. Kommst du mich um halb acht abholen?“
„Ja, klar.“
Wenig später verabschiedete sie sich von Henri und radelte nach Hause.
Chloé nahm sich Zeit, während sie sich schminkte. Sie wollte auf der Party ihrer Freundin Lisa hübsch aussehen. Bevor sie das Bad verließ, bürstete sie ihr langes blauschwarzes Haar so lange, bis es glänzte. In ihrem Zimmer streifte sie ihren weißen Frotteemantel von den Schultern, trat nackt vor den Schrank, öffnete ihn und überlegte, welches Kleid sie anziehen sollte. Das Rote natürlich, gar keine Frage, raunte ihr eine innere Stimme zu. Der angenehme Chiffon-Stoff würde sich großartig an ihren schlanken Körper schmiegen. Du siehst darin sexy aus, das weißt du doch, erklärte ihre innere Stimme abschließend.
„Okay“, murmelte sie lächelnd zu ihrem Spiegelbild. „Das dunkelrote Chiffonkleid.“
Sie nahm es aus dem Schrank und legte es aufs Bett.
„Henri wird es gefallen“, meinte sie grinsend, während sie in ihre Unterwäsche schlüpfte. Vorsichtig streifte sie das Kleid über ihren Kopf und strich es an den Hüften glatt. Noch der schwarze Gürtel und fertig.
Im Wohnzimmer warf sie einen Blick auf die leise tickende Pendeluhr. Halb acht. Um acht sollte die Party beginnen. Auf der Straße hupte jemand dreimal kurz.
Chloé lief zum Fenster, schob den Vorhang zur Seite und erblickte Henri. Groß, schlank und attraktiv lehnte er am Wagen seines Bruders und lächelte ihr zu. Mit einer knappen Geste fragte er, ob er noch ins Haus kommen sollte. Sie schüttelte den Kopf. Nicht nötig. Sie war fertig, brauchte nur noch in ihre Schuhe zu schlüpfen.
Als Chloé aus dem Haus trat, kam Henri lächelnd auf sie zu und zog sie an sich. „Du siehst bezaubernd aus“, flüsterte er und küsste sie zärtlich auf den Mund. Chloé konnte dieser Moment nicht lange genug andauern. Sie genoss seine Umarmung, die Berührungen und seine Lippen.
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