G. J. Wolff - Zerstörung

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Eine ethnische Minderheit lebt zwar weit weg vom Heimatstaat in einem fremden Land, fühlt sich jedoch wie im Paradies, da es diesem Volk erlaubt ist, in seiner eigenen Welt zu leben. Das ändert sich, als eine neue Regierung keine ethnischen Minderheiten mehr duldet und alles unter Kontrolle bringen will. Die Menschen erfahren nun den zunehmenden Terror des Staates, der schließlich in einer ethnischen Säuberung endet. Und von nirgendwo war Hilfe zu erwarten.

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G. J. Wolff

Zerstörung

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Inhaltsverzeichnis Titel G J Wolff Zerstörung Dieses ebook wurde erstellt - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel G. J. Wolff Zerstörung Dieses ebook wurde erstellt bei

Einnistung

Ausgrenzung

Bedrängung

Verdrängung

Ankündigung

Vorbereitung

Vernichtung

Impressum neobooks

Einnistung

Solange es Menschen gibt, wird es Streit und Kampf und Krieg geben. Wer sich nicht verteidigen kann, der wird zum Opfer und verliert sein Paradies.

Dieser Roman ist dem Teil meiner Familie gewidmet, der sein Paradies in Siebenbürgen verlor und all denen, die ihr Paradies oder sogar ihr Leben verloren.

G. J. Wolff

1

„Sieh nur dort unten, die goldenschimmernde Goldstritz!“, meinte Johann Wolff, Vater und Oberhaupt der Familie Wolff, die im zwölfburgischen Heidedorf den Bauernhof mit der Nummer 64 hatte, zu seinen Söhnen, die ihm beim Zackern zur Vorbereitung des Säens halfen.

Das Dorf gehörte zu dem deotischen Bezirk Zwölfburgen, der seinen Namen von den zwölf Burgen hatte, die die Deoten gebaut und mit deren Hilfe sie über Jahrhunderte den Ansturm der Völker aus dem Osten aufgehalten und ihre und die europäische Kultur bewahrt hatten.

Der Vater hielt den Pflug, der von zwei Pferden gezogen wurde, auf einem Hügel hoch über dem Tal an und besah sich den in der Abendsonne glänzenden Fluss. „Zusammen mit der Sonne und der Erde schenkt er uns das Leben!“

„Und alles kommt von Gott, denn der gibt Sonne, Erde und Wasser!“, ergänzte Hans, sein ältester Sohn, sechsundzwanzig Jahre alt, ein großer bedächtiger Mann, der Erbe des Hofes.

„Ich freue mich darauf, in diesem Paradies leben zu dürfen“, meinte Martin, sein jüngster Sohn. Er war gerade 18 Jahre alt, hatte nach dem Besuch der Volkschule gerade die Ackerbauschule abgeschlossen und half nun dem Vater, wo er konnte. Er war etwas kleiner, aber stämmiger und kräftiger als sein Vater, der sehr groß und schlaksig war. Er sollte nun zügig in die Arbeit auf einem Bauernhof eingearbeitet werden, deshalb half er dem Vater. Wenn er erwachsen wäre, sollte er in einen anderen Bauernhof einheiraten, wie dies alle nachgeborenen Söhne taten.

Michael, der mittlere Sohn, vierundzwanzig Jahre alt, arbeitete in der Kreishauptstadt Goldstritz in einer Bank. Er wohnte noch bei seinen Eltern, konnte aber auch bei seinen Großeltern, den Eltern seines Vaters, in der Stadt übernachten, wenn dies einmal nötig war. Der Onkel war im Großen Krieg gefallen, nun aber war Frieden und nach nichts anderem sehnten sich die Völker und die Nationen.

Sie ließen ihren Blick über das Tal und den Fluss gleiten. Vor ihnen lagen die Weinberge, die steil bis hinunter zum Dorf hinabreichten, dann kam das Dorf, die Bauernhöfe, die dicht aneinander gebaut waren und deren Gebäude sich um einen Innenhof gruppierten, ein großes Holzhoftor schloss sie von der Außenwelt ab. Die Bauernhöfe umringten den Dorfplatz mit Kirche, Gemeindehaus, Kulturhaus, Schule, Kindergarten und Spielplatz. Zwischen dem Dorf und dem Fluss lagen die Äcker, Wiesen und Felder. Die einzigartige Heidelandschaft, die dem Dorf seinen Namen gab, schloss sich nach Osten hin an. Nur nach Westen folgte unfruchtbare Dürre.

„In was für ein Paradies hat mich Gott geführt!“, schwelgte der Vater fast träumerisch. Er kam aus einer Familie aus der nahen Verwaltungsstadt Goldstritz und hatte in den Hof der Familie Seidel eingeheiratet. Diesen Hof wiederum hatte seinem Stiefvater Michael Seidel und seiner Frau Maria Gottschick deren Vater erbaut und geschenkt, der alte, reiche Gottschick, und hatte so zwei Kindern eine Existenz gegeben, von denen jeder ihrem älteren Geschwister den Stammhof überlassen mussten. „Gott gebe, dass dieses Paradies niemals verlorengeht.“ Er sah die Söhne nachdenklich an. „Hier habt ihr schon viele schöne Jahre verlebt“, begann er. „Ihr hattet eine wunderbare Kindheit, eine Kindheit im Freien, in der Natur, im Frühling, Sommer und Herbst mit euren Freunden auf den Wiesen und in den Wäldern, im Winter beim Schlittschuhlaufen auf dem Weiher oder beim Skifahren an den Hängen.“

„Ja, das hatten wir“, bestätigte Hans.

Der Vater fuhr fort. „Und auch ich hatte hier schöne Jahre.“ Er zeigte weit über das Tal. „Dort drüben, wo die beiden Weinberge aufeinanderstoßen, habe ich zum ersten Male eure Mutter gesehen und mich gleich in sie verliebt.“ Er sah seine Söhne an. „Ja, hier habe ich mich verliebt, hier habe ich geheiratet, eine Familie gegründet und mit euch viele schöne Jahre verbracht. Ich wünsche euch, dass ihr das alles auch so erleben werdet und dass dieses Glück nie enden wird.“ Er sah seine Söhne liebevoll an und hatte Tränen in den Augen.

Martin blickte verlegen in die Augen seines Vaters. „Das, das wünsche ich mir auch, Vater!“

Sie sahen sich lange an. „Jetzt müssen wir aber weiterarbeiten!“, versuchte der Vater, die Situation nicht zu gefühlvoll werden zu lassen. „Damit wir vor der Dunkelheit zuhause sind.“ Dann gab er den Pferden die Zügel und sie zackerten die im Herbst grob gepflügte Erde bröselig, bis sie am Abend in das Tal hinunter fuhren.

2

„Das soll, ja das muss die schönste Hochzeit werden, die unser Dorf je gesehen hat!“, rief die fünfundzwanzigjährige Johanna begeistert aus und tanzte durch die Küche.

Die Mutter, die genauso, wie die Großmutter Maria hieß, sowie ihre Schwestern Maria, neunzehn Jahre, Sofia, zwanzig Jahre und Anna, die dreiundzwanzig Jahre alt war, hielten in ihrer Arbeit inne und sahen sie grinsend an und freuten sich für sie.

Sie waren alle schlank und für Frauen auch groß, hatten schwarze, lange Haare und dunkelbraune Augen.

Sie backten Kuchen für das große Familienfest, das nach der Tradition mehrere Tage dauern würde. Die Hochzeit begann stets mit der Kirche, es folgte die Hochzeitsfeier, die die ganze Nacht andauerte, im Gasthaus mit Speisen, Tanz, Musik und Hochzeitsspielen. Aber auch in den Folgetagen wurde noch gefeiert. Da die Hochzeit stets am Samstag gefeiert wurde, kam die Jugend am Sonntagnachmittag nochmals in die Gaststube und tanzte. Die Älteren trafen sich im Haus des Brautpaares zum Kaffee wieder und so ging es noch einige Tage, bis die vorbereiteten Speisen aufgebraucht waren.

„Da müssen wir uns aber noch sehr anstrengen“, wusste die Großmutter. „Dieses Dorf hat schon viele schöne Hochzeiten gesehen. Also komm lieber und hilf uns bei der Arbeit, tanzen kannst du an deinem Hochzeitsabend und in den Folgetagen noch genug!“

Nun mussten alle und auch Johanna lachen. Schnell begab sie sich wieder zu den anderen, die um einen riesigen, hölzernen Arbeitstisch in der Küche herumstanden und Teig für die Kuchen kneteten.

„Ach, ich glaube, das werden die schönsten Tage meines Lebens!“, rief Johanna plötzlich wieder unvermittelt aus. Sie war überglücklich, weil sie in wenigen Tagen in den Brecknerhof heiraten würde.

„Ich hoffe, dass die nächsten Tage schöne Tage werden, Johanna!“, wünschte ihr nun die Mutter und sah sie liebevoll an. „Aber ich wünsche dir noch viele solcher Tage, ich wünsche dir nur glückliche Tage!“

„Danke, Mutter!“, hauchte Johanna gerührt und warf sich ihrer Mutter in die Arme.

„Hoffentlich werden es auch so schöne Hochzeitstage, wie wir uns das wünschen!“, knurrte die Großmutter.

Alle sahen sie betrübt an und wussten, was sie meinte.

Hier in dieser Region, in ihren Dörfern, deren Kennzeichen die zwölf Verteidigungsburgen waren, da waren sie in ihrer Heimat, da waren sie unter sich und lebten ihr Leben. Aber in Wirklichkeit waren sie doch Fremde in einem viel größeren Land. Der Bezirk gehörte zu dem Staat Agisien. Und dieses Land betrachtete sie argwöhnisch und neidisch auf ihre Kultur und Leistungsfähigkeit und suchte nach Wegen, sie zu unterdrücken und ihre Lebensweise zu zerstören.

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