„Ich fülle die Eiswürfel nach. Du vergisst das ja andauernd!“, wandte sich Lucie anklagend an Amboss. „Wenn dein Kopf nicht angewachsen wäre, Dicker, dann …“
„Bla bla bla, ich weiß!“, unterbrach der Wirt Lucie genervt. „Pass du lieber auf, du Meckerziege, sonst gebe ich dir mal Dicker!“
„Immer das Gleiche mit diesem Fettkloß“, maulte Lucie, „der wird sich wohl nie ändern!“ Als sie hinter der Tür verschwand, erkundigte sich Amboss, wie der momentane Stand bei Lara daheim war. Sie fing gerade an zu berichten, da hob einer der Gäste, ein stämmiger Mann Mitte dreißig, die Hand und winkte den dicklichen Wirt zu sich her.
Lara ließ ihre Augen wieder zur Bühne schweifen. Ruben war gerade dabei, diese zu verlassen. Unten kamen ein paar Gäste auf ihn zu, reichten ihm die Hände und fingen fröhlich an zu erzählen. Es schien ihr, als kannten die Leute sich alle untereinander, den Sänger eingeschlossen. Nach einer Weile bemerkte Ruben, dass sie unentwegt zu ihnen herüberstarrte. Er verabschiedete sich daraufhin knapp und kam, wölfisch grinsend, auf sie zu. Lara schaute schnell auf ihr halb volles Glas. Verdammt. Was hatte sie jetzt schon wieder angestellt? Wieso hatte sie ihn nur so offensichtlich angaffen müssen? Jetzt dachte der doch bestimmt, dass er Chancen hatte. Ihr war es peinlich, dass sie die ganze Zeit zu der Gruppe hinübergesehen hatte und dabei auch noch erwischt worden war. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Schmunzelnd blieb der Sänger vor ihr stehen und seine Augen funkelten sie belustigt an.
„Macht es dir was aus, wenn ich mich zu dir setze?“
„Nein, natürlich nicht“, nuschelte Lara und vermied es, ihm in die Augen zu sehen. Sie war so ein Idiot.
„Dir gefällt meine Musik. Ich hab gesehen, wie du rübergesehen und zugehört hast.“
Lara sah eine Zeit lang verträumt lächelnd auf ihr Glas, bevor sie keck zurückgab:
„Woher willst du das überhaupt wissen? Du hattest doch die ganze Zeit über beim Singen deine Augen geschlossen!“
„Oh, eine Frau, die denkt! Das gefällt mir!“
„Ach ja?“
Lara blickte ihn etwas misstrauisch an. Er war tatsächlich so arrogant, wie sie ihn eingeschätzt hatte.
„Also hast du nur geraten, dass mir deine Songs gefallen haben. Gewusst hast du’s nicht.“
Ruben sah sie immer noch amüsiert an, als wäre sie ein besonders dämliches Kind.
„Tja, da muss ich dich nun leider enttäuschen. Ich hab deine Blicke gespürt. So was merkt man einfach.“
Sie zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. Was war das jetzt für eine Masche?
„So etwas hab ich jetzt auch noch nicht gehört“, antwortete sie darauf gelassen und nippte weiter an ihrer kalten Cola.
„Glaubst du mir etwa nicht, Süße?“
Sie sah ihn empört an und die Wut stieg in ihr auf. Was bildete der sich eigentlich ein? Dieses dumme Geschwätz solcher Typen, die alle Mädchen Süße und Schatzi nannten – ekelhaft. Der war auch nicht besser.
„Nenn mich nicht so, okay?“
Ruben grinste ihr provozierend und siegessicher zu. Bei diesem Blick wurde Lara zusehends nervös. Sie blickte sich hastig nach Amboss und Lucie um, doch sie fand die beiden nicht. Ruben, der etwa ein Kopf größer war als sie, bemerkte ihre Hilfe suchenden Blicke.
„Hey, ganz easy! Ich wollte dir keine Angst einjagen!“
„Ich habe keine Angst vor dir“, gab sie frustriert zurück und biss sich leicht auf die Unterlippe. „Ich kann es bloß nicht ausstehen, wenn man mich Süße nennt.“
„Soso! Dann kannst du mir ja mal deinen richtigen Namen verraten, damit ich dich nicht mehr so nennen muss.“
Ein wenig erleichtert und schon viel selbstsicherer schaute sie ihn an. Warum war sie so unsicher und nervös? Vor was hatte sie eigentlich Angst? Irgendwie war dieses Gespräch doch ganz amüsant. Was der konnte, konnte sie doch schon lange!
„Ich heiße Lara.“
„Komischer Name.“
„Ach ja? Ruben hört sich aber auch nicht gerade so cool an. Eher altmodisch! Hat dir bestimmt deine Urgroßmutter ausgesucht, den Namen.“
Nun fing er an zu lachen. Ein ehrliches, amüsiertes Lachen. Sie mochte das.
„Nicht übel! Wirklich nicht schlecht für ein Mädchen!“
Lara grinste zurück. Die Entspannung hielt wieder Einzug in ihren Körper.
„Wie oft warst du schon in Schiva?“
„Noch nicht so oft“, gestand sie. „Ich bin erst vor zwei Tagen hier – ähm …“
„Schon gut. Warst du schon mal draußen? Außerhalb der Kneipe, meine ich.“
Ertappt starrte sie auf ihr nun leeres Glas. Wie oft musste sie sich diesen Abend noch schämen? War wohl nicht ihr Tag heute.
„Also, dann wird es aber Zeit!“
Ruckartig stand Ruben auf, griff nach ihrem Handgelenk und zog sie mit sich zur Ausgangstür. Sie wollte zuerst etwas erwidern, überlegte es sich dann aber doch anders. Immerhin hatte er recht. Sie hatte bisher noch nichts gesehen.
Als er die Tür öffnete und beide hinaustraten, wurden sie von kühler Nachtluft umhüllt. Am Himmel standen tausend leuchtende Sterne, die ihnen begrüßend entgegenstrahlten. Es war ein schöner Anblick, der sich Lara bot, und sie genoss ihn.
„Und?“
Er blickte sie fragend an.
„Was und? Ich kann nichts von der Umgebung erkennen. Dafür ist es viel zu dunkel.“
Über den Sternenhimmel, der ihr besonders gefiel, sprach sie absichtlich kein Wort. Das würde in den Ohren eines Jungen sicher völlig sentimental und sehr albern, wenn nicht gar kitschig klingen.
„Da soll doch einer die Frauen verstehen!“
Im fahlen Licht der Laterne, die neben dem Gasthaus stand, sah Lara, wie sich sein Mund zu einem breiten Grinsen formte.
„Ich dachte immer, Frauen lieben sternklare Nächte und so was. Findest du das etwa nicht romantisch?“
Lara blickte ihm nun direkt in seine Augen.
„Vielleicht …“, murmelte sie und lächelte geschlagen.
„Du willst mich reizen, hä?“, erwiderte Ruben scherzhaft.
„Vielleicht …“
Jetzt mussten beide lachen und während sie noch eine Stunde lang so dastanden, miteinander scherzten und versuchten, sich gegenseitig zu übertreffen, leerte sich das Wirtshaus immer mehr.
„Hey ihr zwei! Hab euch schon gesucht! Die heutige Jugend, typisch!“
Amboss kam schwerfällig herangestapft. Er sah Ruben misstrauisch an.
„Bewege dich mal rein, Lucie muss noch was mit dir besprechen!“
„Alles klar, Meister.“
Ein letztes Mal drehte sich der Sänger zu Lara um.
„Tja, ich muss dann. Man sieht sich.“
„Und wann?“, hakte sie schnell nach.
„Dann, wenn du wieder in Schiva bist.“
„Aber wie willst du das denn wissen?“
„Ich hab ein Gespür für so was“, antwortete er bestimmt, zwinkerte ihr nochmals zu und ging durch die Tür in das Wirtshaus hinein.
„Hat er dich belästigt, dieser Herumtreiber? Zu nichts nutze, sage ich immer!“
Der Wirt schüttelte genervt seinen Kopf.
„Nein“, lachte Lara erheitert, „wir haben nur geredet – mehr nicht.“
„Also dann“, murmelte Amboss mürrisch vor sich hin. „Aber wenn doch mal was sein sollte, du weißt ja!“
Sie nickte dankbar. Anscheinend hatte sie sich tatsächlich in dem Wirt anfangs geirrt. Sie hätte nicht gedacht, dass er ihr so sympathisch werden würde. Dass er sich um sie Sorgen machte, ließ sie warm ums Herz werden. Mit einem kurzen, aber herzlichen Händeschütteln verabschiedeten sie sich.
Es war ein Uhr nachts, als sie sich in ihrem Zimmer wiederfand. Sie zog sich um und legte sich glücklich und zufrieden in ihr kuschelweiches Bett. Erst jetzt bemerkte Lara, wie müde sie war. Und während sie noch so dalag und der Schlaf sie langsam, aber sicher überfiel, dachte sie immer wieder: Er hat grüne Augen – dunkelgrüne Augen.
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