Gesammelte Schriften
Friedrich Gerstäcker
Reisen Bd. 2
Die Südsee-Inseln (Schluß)
Australien, Java
Volks- und Familien-Ausgabe Band Sechs
der Ausgabe Hermann Costenoble, Jena
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage, herausgegeben von Thomas Ostwald für die Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V., Braunschweig
Unterstützt durch die Richard-Borek-Stiftung und
die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, beide Braunschweig
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Tahiti.
(Schluß.)
Am 5. Abends saß ich im American Hotel und spielte mit ein paar amerikanischen Capitainen eine Partie Whist. Draußen vor der Tür, gerade auf dem belebtesten Teil der Stadt, spazierte die farbige schöne Welt auf und ab, und es war etwa dicht vor der Zeit des Appells, als plötzlich eine kreischende Weiberstimme zu uns hereintönte, worauf wir natürlich augenblicklich aufsprangen, um zu sehen, was da draußen vorging. Draußen ging aber auch in der Tat etwas vor, denn wir befanden uns gerade vor einer Gruppe, in deren Mittelpunkt eine junge Dame eben aus das Eifrigste beschäftigt war, ihre sämtlichen, nicht überreichen Kleidungsstücke abzuwerfen. Als das nach wenigen Augenblicken glücklich bewerkstelligt war, flüchtete sie sich in einen Schwarm junger Mädchen hinein, die sie augenblicklich in ihre Mitte nahmen und mit rasch abgeworfenen Schultertüchern umhüllten. Die Kleider aber blieben in der Mitte der Straße liegen, und der Ruf: „Centiped!" zeigte uns bald, woran wir waren. Das Mädchen hatte dies giftige Insekt an sich gefühlt, und mit wahrer Todesverachtung sämtliche Kleidungsstücke abgeworfen, um dadurch das gefürchtete Thier ebenfalls los zu werden. /8/ Ich hatte ein ganzes Glas voll californischer Ungetüme, unter diesen fehlte mir aber entschieden ein tahitischer Tausendfuß, und sämtliche Kleidungsstücke wurden deshalb, ohne die mindeste Störung von Seiten der Eingeborenen, als gute Prise erklärt und in das American Hotel hineingetragen. Solche Untersuchung einer completten Damengarderobe war allerdings vielleicht etwas undelicat; der Zweck heiligte aber hier die Mittel, und was ist einem Naturforscher nicht Alles gestattet! Nach kurzer Jagd umstellten wir auch richtig den Feind, trieben ihn in eine Falte und hatten ihn gleich darauf fest und sicher in einem Bierglas, halb mit Brandy gefüllt, von wo aus ich ihn später in meine Flasche verpflanzte. Die Kleider brachten wir dann ihrer Eigentümerin wieder zurück, bei der es aber erst mehrerer Versicherungen bedurfte, daß der Centiped nicht mehr darin, sondern in vollkommener Sicherheit sei.
Der Centiped ist das einzige giftige Thier, das auf diesen Inseln lebt, und auch dieser hat ein keineswegs gefährliches Gift in sich, sondern nur einen scharfen Saft, der den gebissenen Teil aufschwellen macht, aber nie den Tod herbeiführt. Diese Tiere sind auch dabei noch ziemlich harmlos und beißen nur, wenn man sie reizt. In Maiao fiel mir zum Beispiel einer der größten, die ich gesehen habe, auf den nackten Hals und lief mir darüber hin; ich fühlte dort etwas - wußte aber damals noch gar nicht, was es war - und schlug es mit der Hand herunter; er fiel mir dann auf den Arm, glitt über meine bloße Hand, ohne später die mindesten bösen Folgen zu hinterlassen, und ließ sich auf die Erde herunterfallen, wo er gleich darauf unter den Binsen und Matten verschwand, ehe ich seiner habhaft werden konnte.
- Die ausgewachsenen Centipeden sind von einer grünlichen Farbe.
Schlangen gibt es gar nicht auf diesen Inseln, nur eine kleine, ganz harmlose Eidechsenart. Herr Orsmond erzählte mir übrigens, daß man früher in einem, etwa sieben Meilen von dort entfernten Tal eine Art Eidechsen mit vier Schwänzen gehabt, die sich der frühere König Pomare habe manchmal fangen lassen. Seit langer Zeit seien aber keine mehr zum /9/ Vorschein gekommen. Schmetterlinge habe ich nur sehr wenige, Käfer gar keine schönen gesehen, doch möchte wohl auch in dieser Art, bei einem längeren Aufenthalt hier, Manches zu sammeln sein.
Tahiti war früher berühmt wegen seiner Tätowierer – die Leser der „Abenteuer in der Südsee“ von Melville erinnern sich vielleicht jener reizenden Schilderung der Art, wie das Tätowieren sonst auf den Südsee-Inseln betrieben wurde. Jetzt haben es aber die Missionare „aus der Mode gebracht“, und man sieht nur noch ältere Leute tätowiert, Mädchen und Knaben gar nicht mehr. Natürlich lag mir besonders daran, diesen alten, nach und nach mit der Zivilisation bei den Eingeborenen aussterbenden Gebrauch kennen zu lernen, und mir wurde zu diesem Zweck ein alter Tätowierer, Taitaou, der beste auf der Insel, empfohlen.
Mit einem der französischen Soldaten, einem Straßburger, den ich dort kennen gelernt, und der, seit langen Jahren auf der Insel, der tahitischen Sprache vollkommen mächtig war, machte ich mich eines Morgens auf den Weg, die Broomroad entlang und fünf englische Meilen etwa um die Insel herum, um ihn aufzusuchen. Der Weg selber war reizend, dicht am Ufer der See führte er hin, nur hier und da, wo ein kleiner frischer Wasserbach aus den Bergen kam, lief das flache Land weiter hinaus auf die Korallen, und freundliche Gärten und dichte Anpflanzungen aller möglichen Früchte, mit den lauschigen Hütten tief versteckt unter den breiten rauschenden Blättern schattiger Cocospalmenhaine lagen hier überall zerstreut. Zwischen den niederen Büschen oder den hohen, schlanken Stämmen hindurch gewann der Blick die Fernsicht auf das weite, offene Meer, und zwischen das Rauschen der Wipfel tönte das dumpfe Donnern der ewig stürmenden Brandung.
Die Anlage dieser Straßen ist übrigens mit vielen Schwierigkeiten verknüpft gewesen, und die Indianer mussten dazu gezwungen werden. Alle Strafen wurden zu gleicher Zeit dorthin gerichtet, so und so viele Faden (sechs Fuß) Straße zu arbeiten, und die Franzosen gewannen dadurch einen Kommunikationsweg um die ganze Insel herum, und durchbrachen /10/ teils, teils überbrückten sic Stellen, wo sonst, zu manchen Jahreszeiten besonders, eine Passage ganz unmöglich war.
Die Aussicht auf das Binnenwasser der Riffe ist ebenfalls reizend, die wunderliche Färbung des Wassers, dem die seichten und hellen Korallenbänke ein ganz eigenthümliches Licht verleihen - die schlanken dunkeln Canoes, die langsam und geräuschlos über die spiegelglatte Fläche gleiten - die einzelnen Seevögel, die, anscheinend nur ihrem Vergnügen nachgehend, durch die von keiner Wolke getrübte Luft kreisen, plötzlich aber einen Moment mit flatternden Schwingen förmlich stillstehen, und dann mit Blitzesschnelle auf die erspähte, zu sorglose Beute hinabschießen - weit draußen in See ein einzelnes Segel, das dem wohl lang' ersehnten Port mit günstiger Brise entgegenstrebt, und darüber der blaue, klare Himmel - und um uns her der weite herrliche Rahmen wehender Palmen - das Alles bot ein wundervolles, schwer zu beschreibendes Bild, und mein Führer, dem die Landschaft hier schon etwas ganz Alltägliches geworden, wurde zuletzt ordentlich ungeduldig, daß ich gar nicht von der Stelle wollte und halbe Stunden lang stehen konnte, „bloß durch die Büsche zu sehen“, wie er meinte.
Unterwegs überholten wir ein junges Mädchen, das in der gewöhnlichen Tracht, mit einem weiten Kattunoberhemd und barfuß, auf den schwarzen, flatternden Locken aber einen breiträndigen Panamastrohhut, die Straße entlang ging, ihrer eigenen Hütte zu. Mein Begleiter kannte sie, und an ihr vorbeigehend, rief er ihr ein freundliches Joranna hinüber und reichte ihr die Hand.
,Joranna, A-u-ma-ma, woher des Weges und wohin?“
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