Friedrich Gerstäcker - Pfarre und Schule. Dritter Band.
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Friedrich Gerstäcker
Pfarre und Schule. Dritter Band. / Eine Dorfgeschichte
Erstes Kapitel
Die Treibjagd
Eben hatte der alte Holke angefangen, zu einem neuen Treiben ablaufen zu lassen; die »Herrschaften« standen in kleinen Gruppen, etwas abgesondert von den übrigen Schützen und Treibern, zusammen, und die Bauern und Jäger, Verwalter, Controleure etc. etc., die den großen Pulk der mit Gewehren Versehenen bildeten, mußten von Anfang an wieder den weiten Bogen um den ganz abzujagenden Plan umlaufen.
Da übrigens wohl der größte Theil der Leser, möglicher Weise nicht eine einzige der Leserinnen, einen richtigen Begriff von einem Treiben und besonders von einem sogenannten »Kesseltreiben« (ja nicht zu verwechseln mit »Schüsseltreiben«, das Frühstück oder Nachtessen) hat, so wäre es vielleicht gut, wenn ich, zu besserem Verständniß des Ganzen, eine kurze Beschreibung hier vorangehen ließe.
Die Treibjagd wird im Spätherbst und Winter, und zwar zu einer Zeit veranstaltet, wo der Hase nicht mehr hält – das heißt, vor dem nahenden Jäger über Schußweite aufgeht, und man deshalb nun das ganze Revier abtreiben, oder mit anderen Worten: das Wild darin den Jägern zutreiben muß. Die gewöhnlichen Anlegetreiben sind die einfachsten; die Jäger werden dabei auf zwei Seiten gewöhnlich vorgelegt, und die Treiber kommen nun in einer Linie von der Grenze des beabsichtigten Treibens langsam auf diese zu. Die nachher zwischen Treibern und Schützen aufgehenden Hasen laufen meistens, durch den Lärm der ersteren erschreckt, auf die letzteren zu, und fallen hier den ruhig in Anschlag Liegenden zur ziemlich sicheren Beute.
Interessanter sind dagegen die sogenannten Kesseltreiben, wo gewisse Felder, die man mit seinen Leuten gerade umzingeln zu können glaubt, von diesen vollkommen eingekesselt werden. Dies Einkesseln geschieht folgendergestalt: Der Jäger oder Jagdliebhaber läßt von irgend einem Punkte an der Grenze des beabsichtigten Treibens abgehn. Er schickt erst zwei Männer rechts und links aus, die mit den Grenzen genau bekannt sein und auch wissen müssen, welche Richtung sie zu nehmen haben, um auf den ihnen angegebenen Punkt wieder zusammen zu kommen, und dadurch den Ring den ihnen nachfolgenden Jägern zu schließen.
War das ein Schütze, so kommt nach diesem in etwa siebzig bis achtzig Schritt Entfernung, je nachdem man viel oder wenig Leute hat, ein Treiber, dann wieder in eben der Entfernung ein Schütze, und so fort. Diese folgen genau in derselben Bahn, wie die ersten, und beschreiben also einen ziemlich bedeutenden Bogen, dem ihnen gerade gegenüber liegenden Theile zu. Treffen die beiden Ersten, die zu gleicher Zeit links und rechts abgingen, zusammen, so wird ein Zeichen gegeben, der »Kessel« ist geschlossen, und Alles rückt nun so rasch als möglich nach dem Mittelpunkte zu, um die aufgehenden Hasen vorerst dorthin zu treiben, und zugleich gegenseitig so nahe zusammen zu kommen, daß kein Hase durchgehen kann, ohne wenigstens einem Schützen in richtige Schußnähe zu kommen. Hat man das erreicht, so rückt der Kessel etwas langsamer weiter vor, und Jeder schießt, was ihm am nächsten kommt, nur nicht nach anderen Schützen zu, damit kein Unglück geschieht. Ist man endlich ziemlich zusammengekommen, so deutet ein anderes Zeichen, gewöhnlich mit dem Horn, an, daß nicht mehr in's Treiben, sondern nur auf die Hasen, die schon durch die Schützen gegangen sind und jetzt dem freien Felde entgegen laufen, geschossen werden darf.
Es war an diesem Tage das sechste Treiben und die Leute natürlich etwas ermüdet; so sehr sich die Schützen daher auch sonst im Anfang, und besonders bei recht kaltem Wetter, herandrängen, die Ersten beim Ablaufen zu sein, so sehr hielten sie sich jetzt zurück, und Einer drückte sich hier, ein Anderer da, hundert oder zweihundert Schritte vom Ablaufplatze entfernt, an Rain oder Wegweiser an, um nicht gleich wieder mit unter den Ersten fortgeschickt zu werden und dann auch den weitesten Bogen beschreiben zu müssen.
Der alte Holke hatte alle Hände voll zu thun und war noch dazu in der übelsten Laune von der Welt, er fluchte und wetterte die Treiber an, daß ihm Keiner auf zehn Schritte zu nahe kommen mochte, und sah aus, als ob er den ersten Besten mit Haut und Haare hätte verschlingen können.
»Treiber da! Donnerwetter, hört und seht Ihr nicht, Ihr verdammtes, faules, hundsföttisches Lumpenpack, Ihr – müßt Ihr's denn immer so machen wie andere Leute – halt da, zur Schock-Schwerenoth, jetzt laufen wieder viere auf einmal – daß Euch ein Gewitter verschlage. – Hier ein Schütze – ach –« (und mit ganz verändertem Ton aber nur mühsam unterdrückten Aerger, wandte er sich rasch an einen der Officiere, der sich eben bei einem anderen eine Cigarre anzündete) »dürfte ich Sie wohl bitten, Herr Lieutnant – wenn's gefällig wäre.«
»Ach bitte, Holke, lassen Sie mich noch einen Augenblick warten, ich bin beinah immer der Erste gewesen« – es war ihm nämlich nicht eingefallen – »ich möchte auch gern nachher hier unten herein abgehn.«
»Zu Befehl – daß Dich ein heiliges Donnerwetter in den Erdboden 'neindrücken möge, Du verdammter, milchbärtiger – näsiger Hallunke Du,« murmelte er dabei hinter her, und wandte sich an einen der Nebenstehenden:
»Wenn's gefällig wäre, Herr Baron.«
»Ja wohl, Holke, ja wohl – ach, der Rittmeister ist noch nicht da – ach, lieber Holke, wir möchten gern zusammen gehn – lassen Sie mich noch ein paar Minuten hin.«
»Zu Befehl, Herr Baron« – er biß die Pfeifenspitze, die er im Munde hielt, kurz und klein, und frug noch, mit einem wachsenden, aber auch immer verhaltenen Grimm vier oder fünf andere, bis er endlich einen Gutwilligen fand, der mit einem:
»Herr Gott, ich muß auch immer der Erste sein,« der Aufforderung Folge leistete.
»S'ist ein Glück, daß die Jagd nun bald ganz beim Teufel ist,« brummte der Alte endlich halblaut vor sich hin und schnitt sich dabei den oberen Theil des zerkauten Horns an der Pfeife ab – »mit solchen Schützen, und nachher auch noch keine Hasen, nu da kann Einer Freude erleben – wenn er eben Geduld hat und nicht vorher zu Grunde geht – Jetzt seh Einer, was der Mensch für ein Loch macht – geht, als ob er alle Augenblicke einschlafen wollte, und bleibt dann auch noch alle hundert Schritte stehen und – ei so schlag doch ein Himmelsackerment in das Kesseltreiben. Zurücken da hinten – zum Donnerwetter zurücken!«
Das Zeichen war gegeben, und von allen Seiten drückten Schützen und Treiber, wie sich das auch gehörte, herein, wie aber hier und da ein Hase aufging, und seine Richtung nach einer oder der anderen Fronte nahm, blieben die immer stehen, um Lampen nicht irre zu machen, und hier und da drückte sich auch wohl noch ein Schütze, ganz gegen Jägersitte und sehr zum Aerger seiner Nachbarn, auf die Erde nieder, und glaubte dadurch Hasemann jedenfalls zu bethören, bedachte aber nicht, daß seine beiden nächsten Treiber in der Zeit die Arme ruhig hin und her schlenkerten, und alle seine Bemühungen dadurch vollständig annullirten.
Dabei wurde noch schmählich geschossen, überall gingen die Hasen durch, und hier und da, wo irgend ein armer Lampe mit zerschossenem Hinter- oder wüthend schlenkernden Vorderlauf seinen »Quälern« zu entkommen suchte, brachen überall aus heimlichen Verstecken und Hinterhalte Gesindel, das in den Dörfern herumlungerte, ja selbst Bauern vor, und suchten die kranken Geschöpfe selbst hinter der Fronte und vor den Hunden wegzustehlen.
Holke war außer sich.
»Ei Du blutiger Herrgott!« schrie er und schleuderte dabei die grüne, mit weißem Pelz gefütterte Mütze auf den Sturzacker nieder, als wenn sie dort für ewige Zeiten liegen bleiben sollte, »jetzt wird's erst hübsch hier draußen. Erst dämmeln sie Einem in dem Treiben herum, machen die Hasen rebellisch und jagen hinaus, was nicht ganz niet- und nagelfest liegt und sich auf den Kopf treten läßt und nachher mausen sie auch noch am hellen lichten Tag die paar angekrepelten Kreaturen – und da darf man nicht hineinschießen in die Hunde – Gott verdamm mich, Hektor, nimm's nicht übel, daß ich das Gesindel Hunde genannt habe – die Aasjäger die!«
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