Niemals hätte ich geahnt, dass sich noch am selben Abend eine kleine, übereifrige Sperma-Kaulquappe in meinen viel zu fruchtbaren Uterus einnisten würde. Das eine Disaster führte zum nächsten doch das darf ich laut Alexander nicht so sagen, denn an diesem Tag entstand meine Tochter Leandra.
Meine Tochter, nicht Alexanders Tochter. Und trotzdem liebt er sie wie sein eigenes Kind und dafür liebe ich ihn. Eine einfache Logik, die vom ersten Moment an funktionierte.
„Schläfst du etwa schon?“ Caro sah mich ungläubig an.
„Wie? Nein!“ Ich schüttelte den Kopf. Caro wartete noch immer darauf, mir ihre Fragen stellen zu können. Seitdem ich Mutter bin und das bin ich immerhin seit fast neun Jahren, bin ich öfter etwas zerstreut. Früher wunderte ich mich immer darüber, warum meine Mutter die Hälfte vergaß und immer die letzte war, die ins Auto stieg und dann noch mal raus musste, um ihre Schlüssel zu holen und heute bin ich genauso. Hm, gewisse Dinge kann man wohl nicht vermeiden.
„Frag schon!“ Ich setzte mich gerade auf, um ihr zu signalisieren, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit ganz bei ihr war. Caro schüttelte den Kopf und sprach:
„Wie läuft es bei euch im Bett?“
„Wie?“ Dümmlich sah ich sie an.
„Naja, ich meine, was läuft bei euch sexuell?“
„Wie kommst du denn jetzt da drauf?“ Die Direktheit ihrer Frage wunderte mich nicht, war ich es gewohnt Klartext mit ihr zu sprechen. Aber bis vor wenigen Sekunden war das Sportprogramm von Alexander unser Gesprächsthema gewesen.
„Naja, du hast mir doch letztens erzählt, dass ihr abends meist fernseht und eure Kinder bei euch im Bett schlafen und da habe ich mich gefragt, wann ihr dann eigentlich Sex habt. Und wo?“
„Darüber denkst du nach?“
„Ja“
„Wozu?“ Caros Logik leuchtete nicht mal mir ein und dabei war ich der Spezialist für verworrene Gedankengänge.
„Weil es oftmals sexuell unausgelastete Männer zum Sport zieht. Kraftsport zum Beispiel baut viele Aggressionen ab, eine Wirkung, die auch Sex hat.“
„Aggressionen abbauen? Welche Art von Sex meinst denn du bitte? Schlägst du Ralf?“ In meinem Geiste tauchte unweigerlich ein Bild meiner neuen und überaus muskulösen Freundin auf, wie sie ihren Freund auf ihrem Bett gefesselt auspeitschte.
„Natürlich nicht. Es geht mir nur darum herauszufinden, ob es nicht noch andere Motive für Alexander gibt sich körperlich so auszupowern. Manchmal ist es eine gewisse Unzufriedenheit oder auch das Verlangen nach den durch die physische Belastung produzierten Glücksgefühle, die den Mensch dazu treibt Sport zu machen.“ Etwas verständnislos sah ich sie an.
„Das heißt, du meinst, ich mache Alexander nicht glücklich, weil er jetzt fünf Mal die Woche Gewichte stemmt und stundenlang auf seinem Rennrad sitzt?“ Caro wusste, dass ich nicht beleidigt und meine Frage aufrichtig war.
„Nein. Das glaube ich nicht. Er liebt dich abgöttisch. Hat er nicht erst einmal gesagt.“ Gespielt verdrehte sie die Augen.
„Und du liebst ihn auch. Hast du mir ja auch schon tausend Mal gesagt. Aber ich frage mich, ob in eurer Beziehung wirklich alles in Ordnung ist.“
„Warum?“
„Weil du unzufrieden bist. Und unzufriedene Menschen können andere Menschen nicht glücklich machen.“ Hm. Ich dachte über das Gesagte nach. Das klang logisch.
„Aber Alexander kennt mich so. Ich war immer schon so.“
„Wie?“
„Naja, so eine Jammersuse. Ich beschwere mich immer über irgendetwas.“
„Und? Bringt dir das was?“
„Ich weiß nicht. Was meinst du?“
„Weißt du, Anna. Du bist ein eigenartiger Mensch. Irgendwie bist du klug und dann wieder gar nicht. Oft bist du so lustig, positiv und fröhlich, aber wenn du mal richtig ins Reden kommst, erkennt man erst, wie negativ du bist. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass das für Alexander so leicht ist, das auszuhalten.“ Ich nickte. Caro nickte. Irgendwie hatte sie Recht.
„Aber Alexander ist doch fröhlich für uns beide. War schon immer so. Ich habe die Vermutung, dass die hier in Kleinberg den kleinen Babys direkt nach der Geburt was in die Muttermilch mischen, irgendein Glücksgift, eine Art Impfung aufs Fröhlichsein.“ Caro nickte und weitete ihre Augen.
„Interessante Theorie.“
„Nicht wahr?“ Ich war stolz, dass ich Caro immer wieder Insider-Wissen über meine unfreiwillige Wahl-Heimat mitgeben konnte.
„Und was haben sie dir in die Muttermilch gemischt?“
„Hm. Nichts schätze ich. Ich komme aus der Stadt. Da wird kein großes Aufheben darum gemacht, wenn ein Baby geboren wird. Niemand stellt in Salzburg Stadt einen Storch vor die Türe, damit die halbe Stadt gratulieren kommt.“ Caro war meiner Meinung.
„Aber Anna. Jetzt mal im Ernst. Ist dir klar, dass man Menschen mit diesem Gejammer auch runterziehen kann?“
„Ja, schon.“
„Dann hör auf damit!“
„Wozu?“
„Weil ich nicht glaube, dass es Alexander egal ist. Nur weil er dich nicht anders kennt, heißt das noch lange nicht, dass er dich nicht lieber positiver erleben würde. Wenn ich mir das manchmal so anhöre, wie ihr lebt, finde ich das schon ziemlich – verzeih den Ausdruck – öde.“
„Naja. Wir haben drei Kinder.“
„Nimm deine Kinder nicht immer als Ausrede.“
„Ich verwende sie nicht als Ausrede. Sie sind der Grund.“
„Wofür?“
„Dass ich jammere.“
„Pfff.“ Caro blies hörbar durch ihre Zähne. „Das ist echter Blödsinn. Wenn du dich mal selbst reden hören könntest. Ich hoffe du sagst das nicht deinen Kindern.“
„Selten aber doch.“ Caro schüttelte resignierend ihren Kopf.
„Weißt du Anna, ich finde die Kleinberger gar nicht so verkehrt. In Wahrheit sind die total nett und bemüht. Die Portion Fröhlichkeit, die sie alle versprühen, da könntest echt du dir mal ein Stück davon abschneiden.“ Sie machte eine kurze Pause. „Ich liebe deine Ehrlichkeit, das weißt du. Ich finde auch deine direkte Art super. Aber manchmal verstehe ich schon, dass nicht jeder so viel Wahrheit verträgt. Deine zumindest.“ Sie dachte kurz nach und während ich noch grübelte, welche passende Antwort sie jetzt von mir erwartete, sprach sie schon: „Du könntest dir doch einfach mal überlegen, nur mehr deine Meinung kund zu tun, wenn sie nett ist.“
„Na, da habe ich dann aber vielleicht nichts mehr zu sagen.“
Caro warf ihre Hände in die Höhe. „Das ist genau das, was ich meine! Du musst echt deine Einstellung ändern!“ Insgeheim wusste ich, dass Caro damit Recht hatte. Den Tipp habe ich auch von Alexander schon regelmäßig erhalten. Und mir war selbst klar, dass ich mit meiner kritischen Art hier in Kleinberg keine Sympathiepunkte sammeln konnte. Regelmäßig beschwerte ich mich bei Alexander über seine Mutter – toller Schachzug – die Kindergärtnerinnen, die immer lächeln, als wären sie auf Drogen – ich habe schon ein paar Mal überlegt sie zu fragen, wo man hier in Kleinberg was zu kiffen kaufen kann -, die doofe Postangestellte, die mir absichtlich die falschen Briefmarken verkauft, weil sie mich nicht mag und die anderen Mütter, die unsere Söhne für zu wild und unangepasst halten und die sich ausschließlich über pädagogisch korrektes Zeug unterhalten. Hier konnte ich es einfach niemandem Recht machen. Meine Ideen waren immer schräg und unangepasst. Meine Gedanken zu absurd. Caro ist die erste, mit der ich seit Biene – ich vermisse sie täglich – eine Stunde durchquatschen kann und ich mich aufrichtig amüsiere.
Dabei ist mir Spaß im Leben immer so wichtig gewesen. Nachdem ich die letzten zwei Gymnasiumjahre eher schlecht als recht über die Bühne brachte, aber zumindest die Matura bestand, war meine Mutter heilfroh, dass ich erst Mal ein Jahr ins Ausland gehen wollte. Ich beschloss als Au-Pair Mädchen nach Amerika zu gehen. Meine Agentur schickte mich nach Philadelphia, zu einer wirklich netten, wirklich wohlhabenden Familie mit zwei entzückenden Kindern. Wenn ich jetzt so über diese beiden süße Knirpse – Billy und Joe – nachdenke, erkenne ich, dass meine Söhne im Gegensatz zu ihnen wirklich schlecht geraten sind. Was höchstwahrscheinlich an mir liegt. Suzie allerdings – die Mutter der beiden Kinder – fand immer, dass ich alles ganz toll machte mit ihnen. Sie gab mir damals ein eigenes Auto – ob ihr bewusst war, dass ich meinen Führerschein erst ein Monat in der Tasche hatte? – und ich düste den halben Tag mit den Kids durch die Gegend. Wir gingen Eis essen und auf den Spielplatz. Ich sah mir gemeinsam mit den beiden Rackern die Stadt an und wir verbrachten Stunde um Stunde im Park. Suzie war froh ihre heilige Ruhe zu haben und als ich dann, so wie ich es von zu Hause gewohnt war, auch noch Reisauflauf machte und einen Kuchen fürs Wochenende zauberte, war sie total aus dem Häuschen. Für mich völlig selbstverständlich putzte ich auch die Küche, saugte alle paar Tage durch die Zimmer und schüttelte die Betten der Kinder aus – obwohl Suzie eine Haushälterin hatte. „Ann, you really don’t have to do that!“ hatte sie fest entschlossen gesagt. Aber ich war es gewohnt mich auch zu Hause um meine eigenen Dinge zu kümmern und es hätte sich komisch angefühlt, das alles immer einer „Hausangestellten“ zu überlassen.
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