Nur hatte er eben keine Flasche Rum in der Manteltasche.
„Johann, so bleib doch einmal da! Wo soll denn das alles enden?“, sagte seine Frau, die liebe Anna, zu ihm, als er sich mit ungepflegtem Look nach ewigen Zeiten wieder einmal daheim blicken ließ.
Ihr rachsüchtiger Mann atmete tief durch und entgegnete ihr mit einem bösartigen Feuer in seinen Augen und in seinem Herzen: „Ich muss ihn finden und töten, ich muss, ich kann nicht anders. Er hält uns seit fast einem halben Jahr zum Narren, er hat mir zwei Böcke vor der Nase weggeschossen, in meinem Tal! Ich werde ihn finden und ich werde über ihn richten!“
Die Anna schlug ihre Hände zusammen und sagte: „Du hast ja völlig den Verstand verloren!“
Den hatte er tatsächlich verloren, der Johann. Er nahm eines der zahlreichen Bilder mit dem Erzherzog Johann darauf von der Wand und hielt es seiner Frau vor die Nase.
„Wenn das der Erzherzog noch erleben würde, durchdrehen würde er!“, sagte der Johann.
Seine Frau schüttelte den Kopf und meinte: „Jetzt lass doch den armen Erzherzog in Frieden!“
Ihr Mann hängte das Bild wieder zurück an die Wand, ging zum Fenster und sagte: „Irgendwo da draußen ist er und ich werde ihn finden und zur Strecke bringen.“
Obwohl die dunklen Höllenflammen in ihm loderten, behielt er bei seiner Drohung eine stoische Ruhe und blickte dabei starr in die Berge.
„Du hast kein Recht dazu, du kannst ihn nicht einfach töten.“, meinte seine verängstigte Gemahlin.
Der Johann sah sie mit eiskaltem Blicke an und sprach ernst: „Ich allein habe das Recht.“
Dann verschwand er und ward nicht mehr gesehen.
Seine krankhafte Suche wurde schlussendlich in einem Moment des Zufalls belohnt.
Am 3. Dezember 1898 unternahmen der Johann und der Brenner Karl eine kleine Winterwanderung durch die Schöttauer Berge. Als hätte es der Johann geahnt, nahm er sein Gewehr mit.
Die beiden Wandersburschen standen oben auf der Leitnermauer und genossen bei einem zarten Lüftchen die herrliche Aussicht über das verschneite Dachsteinland. Ein traumhaftes Bild, wie der große, in weiße Kleider gehüllte, König mit seiner steinernen Krone friedlich vor sich hinschlummerte. Bis ans Ende ihrer Kimmung glitzerte der Schnee bezaubernder als alle Diamanten dieser Welt.
Plötzlich entdeckte der Brenner Karl unten am Wandfuß eine Gestalt in schwarzem Lodengewand, die sich langsam durch den Schnee von der Wand entfernte.
Der Karl tippte dem Johann auf seinen stattlichen Oberarm und deute mucksmäuschenstill auf den Wilderer, der die beiden vermutlich gar nicht bemerkte.
Ohne auch nur einen Wimpernschlag lang zu zögern, zog der Johann sein Gewehr und schoss. Dieser Schuss hallte durch die Täler, man konnte ihn der gesamten Steiermark hören, so fühlte es sich zumindest für den Johann an.
Blattschuss, wie immer. Sein Erzfeind fiel mit dem Gesicht voran in den Schnee, der rund um ihn einen schönen roten Anstrich bekam.
„Ich habe gesiegt!“, rief der Johann in die schier unendliche Bergwelt hinaus und streckte dabei sein Schießeisen triumphal in die Lüfte.
Hurtig stiegen der Brenner Karl und er zu der Leiche ab und drehten sie um.
Sie sahen sich das Gesicht des Wilderers ganz genau an und der Johann fragte: „Hast du den schon einmal gesehen?“
„Nein, ich glaube, niemand in Schöttau hat ihn jemals gesehen.“, antwortete der Karl.
Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, meinte der Johann: „Dann sorgen wir, dass das so bleibt.“
Daraufhin ließen sie die Leiche für alle Zeiten verschwinden und kehrten ins Tal zurück.
Wer dieser Wildschütz gewesen war, auf welchen Namen er gehört hatte, aus welchen Motiven er gehandelt hatte, sollte wohl niemand mehr erfahren, aber es interessierte auch niemanden. Hauptsache, er war nun endlich so tot wie sein gewildertes Vieh.
Die erfreuliche Nachricht verbreitete sich in Schöttau wie ein Leuchtfeuer und der Graf, der erst vor ein paar Tagen wieder in unsere Lieblingsstadt gekommen war, um dem geselligen Krampustreiben am 5. Dezember beizuwohnen, veranstaltete zur Feier des Tages ein großes Fest.
Wie ein Superstar wurde er dort empfangen, der Johann. Und wie einen Helden verehrten sie ihn.
Als er mit breiter Brust und einem übertriebenen Selbstwertgefühl durch die Menge wandelte, klopften ihm alle stolz auf die Schulter und stimmten euphorische Jubelchöre an.
Der Johann war wieder einmal der Größte und er hatte seine Vormachtstellung erneut eindrucksvoll untermauert.
Ein nettes Heldenepos, keine Frage, aber gerade einmal vier Monate später, schien der dunkle Dämon zurückzukehren.
Und da sind wir nun wieder, in den ersten Apriltagen des Jahres 1899 und stehen vor des Grafens Haustüre. Der Gamskopf war mittlerweile längst entfernt und der Brenner Karl erschien im Nebel mit drei Dutzend Jägern im Schlepptau.
Johanns goldene Erinnerungen an seinen großartigen Triumph im Dezember waren in der grauen Nebelfront verblichen. Diese trübe Wand spiegelte die Stimmung aller wider. Unser lieber Johann fühlte sich leer und ausgebrannt, wieder schien alles von vorne zu beginnen, wieder mussten sie auf die Jagd gehen, wieder drohte ein langer, dunkler Sommer. Aber der Johann hatte ja damals noch keinen blassen Schimmer, dass dieses Mal alles viel schlimmer werden sollte.
Im Frühjahr wollte der Johann eigentlich schon viele Bergtouren unternehmen, aber so musste er wieder den Heeresführer über seine Jägerschar spielen und einen Wilderer zu Fall bringen.
Vielleicht habt ihr vorhin einen schlechten Eindruck von diesem rachsüchtigen Johann bekommen, der sich über das Gesetz stellte, der Truppen kommandierte, der vor lauter Wut seine Familie im Stich ließ, der mit all seiner Kraft ein Leben auslöschen wollte und als er dies schlussendlich auch tat, die Heldenfeierlichkeiten sichtlich genoss.
Im Grunde war der Johann ganz anders. Er wollte immer nur das Beste für alle, für seine Familie und auch für jeden anderen im Tal. Der Johann war fürsorglich, äußerst großzügig und ein absolutes Vorbild für jedermann und jedefrau. Aber er war eben auch ein Mann voller Stolz und Ehre und der Wilderer hatte seine Ehre beleidigt und war auf seinem Stolz herumgetrampelt, da kannte der Johann dann keine Gnade mehr.
Sein Schwiegersohn in Spe, der Georg, der Bub vom Brenner Karl, war ebenfalls ein leidenschaftlicher Jäger und gehörte zu dem Aufgebot, das nun Jagd auf den Wildschütz machen sollte.
„Bist du dir sicher, dass wir wieder einen Wilderer haben? Vielleicht war das ja wirklich nur ein Spinner, der ein paar Leuten einen Schrecken einjagen will.“, sagte der Georg zu seinem zukünftigen Schwiegervater.
Dieser ging zum Brenner Georg hin, legte eine Hand auf seine Schulter und meinte nölig: „Mein Sohn, glaube mir, das war ein Wilderer, so etwas erkenne ich sofort. Und ich spüre auch, dass dieser Wildschütz bösartiger als der erste ist. Er hat gerade erst angefangen, deswegen müssen wir ihn stoppen, bevor er so richtig loslegt.“
Der Brenner Georg nickte und sagte: „Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde dir folgen!“
Einer der ältesten und erfahrensten Weidmänner, der Ortner Franz, paffte ungeduldig an seiner Pfeife und wirkte sehr verärgert.
„Ja Kruzifix, von wo kommen die Wilderer denn immer her? Gibt es da ein Nest mit dem Gesindel? Und warum zum Teufel treiben die immer bei uns ihren Schabernack? Die sollen gefälligst am Grimming wildern und nicht in unserem schönen Tal.“, sprach der Wutopa.
„Franz, beruhig dich, wir gehen jetzt hinauf und suchen einmal den Rest von dem toten Gamsbock. Im Idealfall führt er uns zum Wilderer.“, sagte der Johann zum Ortner Franz und stellte sich dann anschließend vor die versammelte Jägermeute.
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