„Dieser verdammte Nebel wird ja immer dichter! Ich hoffe, wir verlaufen uns hier draußen nicht.“, sagte der Ludwig und der Johann entgegnete ihm: „So ein Blödsinn! Wir gehen ja nur zum Grafen und wandern nicht irgendwo in der Schweiz umher.“
Nach einigen weiteren zurückhaltenden Schritten in der Nebelsuppe, standen sie nun endlich vor der Haustüre und schauten alle dumm aus der Wäsche.
„Das ist ja ein Gamsbock!“, stellte der Graf richtig fest und fuhr mit seiner profunden Analyse fort: „Da hat uns wer den Kopf von einem Gamsbock an die Türe genagelt. Ja, Kruzifix!“
„Während wir alle in der Kirche waren! Ich habe es euch gesagt, der gefallene Engel treibt sich herum!“, ergänzte der Pfarrer und streckte ihnen seinen Zeigefinger ins Gesicht.
„Das ist ein Zeichen! Man wird uns alle holen!“, rief der Ludwig, der von dem kleinen Spaziergang noch immer völlig außer Atem war.
Der Empfänger des netten Geschenks wirkte viel gelassener als der Ludwig oder gar die vornehme Gräfin, die wieder Rotz und Wasser heulte und meinte nur: „Den Bock muss ja wer gewildert haben.“
„Freilich, oder glaubst du, dass sich der Bock selbst den Kopf abgeschnitten und ihn dann auf deine Türe genagelt hat? Jetzt haben wir schon wieder einen Wilderer, aber der wird genauso enden wie der Erste.“, sagte der Johann zu unserem adeligen Captain Obvious.
Alfred, der Gendarm, meldete sich jetzt einmal zu Wort, denn bei so einer Untat konnte der Gesetzeshüter nur schwer schweigen: „Sollen wir da ermitteln?“
Der Johann griff sich auf die Stirn und sagte: „Ihr zwei Vögel habt ja noch nie irgendwo ermittelt! Ihr sitzt ja nur in eurer bequemen Wachstube und spielt Karten!“
„Pass ja auf, was du da sagst!“, meinte der Alfred.
Der Johann sah ihn aber nur mit einem strengen Blick an und befahl: „Es ist besser, wenn ihr jetzt wieder von hier verschwindet. Und dass das klar ist, die Angelegenheit regeln wir wieder selbst. Ach ja, ihr habt hier nichts gesehen.“
„Was hätten wir bei diesem Nebel auch sehen sollen?“, fragte der Alfred, ehe er mit seinem ähnlich motivierten Kollegen in der grauen Trübung verschwand.
„Ich brauche sofort einen Schnaps, sonst überlebe ich den Tag nicht.“, sagte der verschwitzte Ludwig zum Grafen und der Pfarrer schloss sich diesem Wunsch natürlich an: „Ich auch!“
„Sauft nicht immer so viel, wir brauchen einen klaren Kopf! In drei Wochen werden wieder mehr Gäste kommen und da können wir so einen Wildschütz nicht gebrauchen! Letztes Jahr haben das die Leute noch lustig gefunden, aber es wirft kein gutes Licht auf uns, wenn dauernd irgendwelche Wilderer durch unser Land ziehen.“, meinte der überhaupt nicht erfreute Johann.
„Da hat er recht.“, sagte der Graf und fragte noch: „Was sollen wir denn da jetzt machen?“
„Du lässt nun einmal von deinen Leuten den depperten Kopf da entfernen. Und wir machen uns auf die Suche, irgendwo wird ja schließlich noch der Rest von dem Vieh herumliegen.“, antwortete der Johann.
„Ist das derselbe gewesen, der dem Ludwig den komischen Zettel geschrieben hat, oder waren das doch nur die Jamminger Buben und das hier mit dem Gamsbock ist das Werk von einem Verrückten?“, fragte der Graf.
Da war sich niemand zu hundert Prozent sicher, aber einen Zusammenhang hielten doch alle für wahrscheinlich.
Nun standen sie vor dem Gamskopf, die mächtigsten Männer aus Schöttau, und blickten ungewohnt ratlos drein. Normalerweise waren sie Weltmeister darin, ungute Sachen relativ unkommentiert unter den Teppich zu kehren. So wie man das eben in Österreich macht, aber irgendetwas war dieses Mal anders.
Während das böhmische Personal des Grafen den ungustiösen Kopf von der Türe entfernte, sagte der Johann: „Karl, du gehst in die Stadt und trommelst alle Jäger zusammen, jeder mit Gewehr natürlich. Wir gehen dann rauf und suchen die tote Gams. Vielleicht finden wir bei ihr brauchbare Spuren, die uns zu dem Wilderer führen. Dann könnten wir heute den ganzen Spuk beenden, bevor noch mehr passiert.“
Der gute Ludwig konnte dem nur zustimmen: „Ja, weil sonst schlitzt er mich morgen auf und nagelt mich ans Kirchentor.“
Die Angst blitzte ihm noch immer aus den Augen, aber der Pfarrer stellte mit erhobenen Zeigefinger klar: „An mein Kirchentor nagelt niemand etwas!“
Einzig der Graf machte sich andere Sorgen: „Bei dem Wetter wollt ihr auf den Berg gehen?“
„Wir haben keine andere Wahl, es ist Krieg!“, sagte der Johann mit einem fahlen Blick.
Na bitte, da gesellt sich doch glatt das uralte Duell Jäger gegen Wilderer zu unserer famosen Story hinzu, ein Traum!
Ich bin ja wahnsinnig darüber erfreut, dass uns dieses Thema nun begleiten wird. In jedem guten Heimatepos muss sich der fleißige Jägersmann mit dem bösen Wildschütz duellieren, jawohl!
Der Johann war über diese Situation nicht so erfreut wie wir, immerhin hatte sich vor einem Jahr genau dieselbe Problematik schon einmal aufgetan. Sehen wir uns die Geschichte vom Vorjahr einmal genauer an.
Im Mai 1898 fanden nicht nur wieder zahlreiche Touristen den Weg vom Ennstal herauf in diese pittoreske Landschaft, sondern auch ein garstiger Wildschütz.
Am 20. Mai 1898 veranstaltete der Graf seine berühmte Maijagd. Wichtige und selbstverständlich hochrangige Teilnehmer aus Wien, Innsbruck, Mailand, Genua, München, Nürnberg und Prag wohnten jedes Jahr der fröhlichen Schießerei bei und wollten am Berg und im Wald die prächtigsten Alpentiere abknallen.
Am 19. Mai 1898, also einen Tag davor, machten sich der Graf, der Johann, der Brenner Karl und eine Handvoll anderer Jäger auf die Suche, um die schönsten Exemplare für die heitere Maijagd zu lokalisieren, damit die versnobten Jagdgäste nicht lange danach suchen mussten. Den prachtvollsten Steinbock fanden sie relativ schnell auf einem Schuttfeld unterhalb der Kirchenkogel Westwand. Dieser Bock war für einen Mailänder Adelsmann reserviert, der irgendwie mit den Borgias verwandt war. Was hatte der Typ für ein Glück, er musste am nächsten Tag nicht einmal sein Schießgewehr den beschwerlichen Weg hinaufschleppen, denn der Steinbock war schon tot. Blattschuss, das hätte der Johann selbst nicht besser gekonnt.
Als sie über den Septembergrad abstiegen, fanden sie noch eine Gams, die unter denselben Gegebenheiten ums Leben kam.
Am Abend berichtete dann ein Wanderer von zwei toten Gämsen und einem toten Steinbock bei den Petri Spitzen, ein anderer erzählte von einem toten Hirschen beim Grünacher Weiher und eine Familie aus Krems fand drei tote Rehböcke in der Nähe der Krauter Alm. Dort, wo die Almblumen so schön dufteten, zog nun der Gestank der verwesenden Tiere in die schnuppernden Näschen ein.
Blattschuss, Blattschuss, Blattschuss, alles Blattschüsse, das war eine ordentliche Ansage, das gefiel nicht nur dem Johann.
„Katastrophe!“, rief der Graf nur, als er davon erfuhr und einige seiner geschleckten Gäste reisten noch in der Nacht wieder ab. Obwohl die Stimmung keine gute mehr war, trieb die Schießlust die wenigen Verbliebenen am nächsten Tag dann dennoch in die Berge und Wälder. Nur ein großer Erfolg sollte die Maijagd nicht mehr werden.
Vor allem, weil unterhalb der Riffner Mauer am Großen Lärchenstein eine schwarze Gestalt erschien und einem reichen Bankier aus Nürnberg einen erstklassigen Steinbock vor der Nase wegschoss. Des Grafens renommierte Maijagd verkam nun endgültig zum absoluten Debakel.
Der Bonze aus Nürnberg war fuchsteufelswild, das könnt ihr mir glauben. Als er sich wieder im Tal befand, packte er schnurstracks seine sieben Sachen und seine Frau und stürmte aus der Villa.
„Herr von Schildbach, so warten Sie doch!“, rief der Graf ihm nach.
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