„Jetzt mach nicht so ein Gesicht, Ludwig! Vergiss endlich den komischen Zettel von den Lausbuben.“, sagte der Johann und klopfte ihm dabei auf die Schulter.
„Und wenn es doch keine Lausbuben waren? Dann liege ich vielleicht morgen aufgeschlitzt auf der Straße!“, entgegnete ihm der Bürgermeister.
Der Johann schüttelte seinen Kopf und sagte: „Niemand wird hier aufgeschlitzt! Das waren sicher die Rotzbuben vom Jamminger Max, die machen immer so einen Unfug, das sind die gleichen Deppen wie ihr Vater. Weißt du was? Ich frage ihn jetzt.“
Unser Freund erhob sich, steuerte auf den Tisch zu, an dem der lustige Jamminger Max saß und sagte laut zu ihm: „Max! Haben deine Buben gestern etwas vom Bier gesoffen?“
Der Jamminger Max blickte ihn mit einer wunderbaren Gleichgültigkeit an und antwortete: „Was weiß ich, was die gestern getrieben haben. Wieso?“
„Dem Bürgermeister hat gestern jemand einen Streich gespielt, waren das vielleicht deine Buben?“, fragte Johann weiter.
„Kann schon sein, die treiben ja immer irgendeinen Schabernack, ihre Mutter hat sie total verzogen. Die sollten lieber öfters mit mir in den Wald gehen, als bei dem Trampel daheimbleiben.“, meinte der fröhliche Max.
Ui, diese Ehe schien perfekt zu sein, da flatterten ja direkt noch die Schmetterlinge in seinem Bauch.
„Hast du gehört, Ludwig? Das sind wahrscheinlich die Jamminger Buben gewesen!“, rief der Johann dem Bürgermeister zu.
Dieser nickte nur schwerfällig und trank von seinem Bier. So wirklich wollte er nicht daran glauben und er befürchtete weiterhin Schlimmes. Sein Kopf war noch immer knallrot und der appetitliche Schweiß plätscherte ebenfalls unaufhaltsam sein mitgenommenes Gesicht herab.
Dann ging der Johann zum Stammtisch zurück und setzte sich zum Brenner Karl.
„Na Karl, dein Erich und die Sagerer Marie? Musst du heuer gar zwei Hochzeiten ausrichten?“, fragte er ihn.
Der Brenner Karl lachte und antwortete: „Ja, ich habe ihn schon gefragt, er will erst im Herbst heiraten, weil es da romantischer ist, meint er. Aber mein Georg und deine Theresia werden auf jeden Fall am 6. August heiraten, das ist in den Stein gemeißelt.“
Oh, welch spannende Neuigkeiten, da werden also der Johann und der Brenner Karl bald miteinander verwandt sein, das passt doch!
Wie bitte? Wer der Brenner Karl eigentlich war?
Der Brenner Karl war im Prinzip so etwas wie Johanns kleiner Bruder, obwohl er ein halbes Jahr älter war. Wie der Johann war auch der Brenner Karl ein stattlicher Recke, auch wenn er vielleicht ein bisschen schlanker war und er ein paar Gramm an Muskelmasse weniger hatte.
Karl war immer der Zweite. Er war der zweitgrößte Bauer in Schöttau, er war der zweitbeste Schütze und er war immer als Zweiter auf den schwierigsten Bergen. Außer ein einziges Mal am berühmten Admonter Reichenstein, Johanns Schicksalsberg. Dort war der Johann einmal abgestürzt und hatte sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. Den Abstieg hatte dieser Teufelskerl aber dennoch ohne Hilfe geschafft.
Danach hatte er gehörigen Respekt vor diesem Berg, kehrte oft zurück, versuchte sich erneut an dem bleichen Felsgiganten, drehte aber immer an seiner Absturzstelle wieder um. Er war also doch nicht unbesiegbar, aber dies war auch seine einzige Niederlage.
Obwohl die beiden schon seit der Schule beste Freunde waren und sich immer als Brüder anstatt als Konkurrenten sahen, aber das mit dem Reichenstein hat sich der Brenner Karl einfach nicht verkneifen können.
Und so war er der Erste aus Schöttau, der da oben stand und nicht der Johann, wie sonst immer.
Auch wenn es der Johann nie zugab, aber die Aktion hatte ihn schwer getroffen.
Der Brenner Karl als erster Schöttauer auf seinem Schicksalsberg, in your face, wie man heute so schön sagen würde.
Außerdem war der Brenner Karl einer der wenigen aus der Schöttauer Schickeria, der sich gut mit dem Xaver verstand. Er unterstützte seine Ansichten nicht wirklich, fand sie aber dennoch interessant und die beiden diskutierten und philosophierten ab und zu bei einem guten Glas Wein über die Welt und alles andere.
Bevor wir schon wieder abdriften, begeben wir uns zurück in den Rathauskeller.
Dort sprang nämlich plötzlich die Türe auf und die edle Frau Gräfin trat herein. Sie wirkte ziemlich aufgebracht und eilte mit entsetzter Miene zu ihrem Göttergatten. Die schick gekleidete Adelige fuchtelte wild herum und schrie wie am Spieß, der feine Herr Graf konnte sie nur schwer beruhigen.
„Was ist denn?“, fragte der Johann.
„Eine Katastrophe! Kommt alle mit!“, kreischte die Gräfin.
„Liebste Irmgard, so beruhige dich doch endlich, die Leute schauen schon so komisch.“, sagte ihr mitfühlender Ehemann und strich ihr lieblich über die bleiche Wange.
In Wahrheit machte er sich aber mehr Sorgen um die komischen Blicke der anderen als um seine Gattin.
Die Gräfin wedelte mit ihrem Fächer, atmete tief durch und sprach: „Kommt mit, seht euch die Katastrophe selbst an.“
„Hat man euch einen Zettel an die Türe genagelt?“, fragte der Ludwig, der an diesem Tage selbst schon einen gehörigen Schrecken erlebt hatte.
„Viel schlimmer!“, meinte die feine Gräfin.
„Na dann gehen wir eben!“, sagte ihr Gatte und ergänzte: „Johann, Ludwig, Pius, Karl, Walter, ihr geht alle mit! Alfred und Peter, ihr ebenfalls, oder brauchen wir keine Gendarmerie, liebste Irmgard?“
„Natürlich brauchen wir die! Die Armee würden wir benötigen!“, quietschte sie.
„So schlimm wird es schon nicht sein.“, meinte der Johann.
„Erzähl uns doch einmal, was denn da passiert ist.“, sagte der noble Herr Graf zu der noblen Frau Gräfin, als sie am Weg zu ihrer feudalen Villa waren.
„Als ich vorhin von Kirche heimgekommen bin, habe ich schon beim Gartentor bemerkt, dass da etwas mit der Haustüre nicht stimmt.“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Übrigens, es ist wieder eine wundervolle Messe gewesen, lieber Pius.“
„Danke, danke! Solch löbliche Worte aus dem Mund einer so fantastischen Dame und einer so vorbildhaften Christin zu hören, ist eine wahre Wohltat in diesen Tagen. Gott schütze Sie.“, bedankte sich der Pfarrer.
„War die Türe denn aufgetreten? Hat wer bei uns eingebrochen? Nicht, dass sie mir mein italienisches Porzellan gestohlen haben.“, meinte der besorgte Graf.
Die hysterische Gräfin rang wieder mit den Tränen und antwortete: „Nein! Draufgenagelt haben sie uns etwas! Aber das werdet ihr bald sehen.“
„Jetzt geht es los! Wir werden alle sterben!“, rief der stets optimistische Bürgermeister.
„Unsinn Ludwig, niemand wird sterben.“, meinte der Johann und schüttelte dabei seinen Kopf.
„Dass dieser Tag kein guter wird, habe ich schon gespürt, als ich in der Früh das Fenster aufgemacht habe und mir diese eisige Luft ins Gesicht geblasen hat. Der Teufel hat in der Nacht seine Runden gedreht, das habe ich sofort beim ersten Luftzug gemerkt. Es hat nach Schwefel gerochen. Jawohl, der Höllenfürst persönlich geht um!“, sagte der Pfarrer.
Das mit dem Teufel war natürlich nur sein übliches Geschwurbel, aber der Pfaffe hatte schon recht, es war ein seltsamer Tag. Man hatte das Gefühl, es war noch November und nicht schon Anfang April. Neblig war es, so neblig wie schon lange nicht mehr, die Sicht reichte ja kaum mehr als einen Meter weit. Eine graue Walze, die in jedem Winkel Einzug fand und von einem eiskalten Lüftchen begleitet wurde. Ich frage mich nur, wie die werte Frau Gräfin bei diesem Nebel die Haustüre vom Gartentor aus sehen konnte, wie sie uns eben erzählt hatte. Ja, sie stand unter Schock und wir werden in Bälde wissen, ob das auch berechtigt war, oder ob sie maßlos übertrieb.
Die kleine Gruppe war der Villa schon sehr nahe, ein äußerst beschwerlicher Spaziergang bei diesem Wetter.
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