Meine Vorahnung hatte mich nicht getäuscht: Es war ein blauweißer Alfa Romeo der Carabinieri. Ich bremste erneut und reihte mich hinter ihnen ein. Ein Blick auf meinen Tacho zeigte mir, dass die Jungs genau 100 km/h fuhren, obwohl 110 km/h erlaubt waren. Nach kurzer Zeit des Dahinschleichens reichte es mir. Ich scherte aus und fuhr mit exakt 110 km/h langsam an ihnen vorbei. Kaum hatte ich sie überholt, schalteten sie ihr Blaulicht ein und passierten mich.
„Follow me, Polizia“ knallte es mir in einem grellen Rot durch ihre Heckscheibe entgegen. Sie lotsten mich mit 100 km/h zum nächsten Parkplatz, der gut 15 km entfernt war. Das Schneckentempo war eine Zumutung für meinen spritzigen Wagen und meine Nerven. Während ich hinter ihnen her schlich, dachte ich wütend, dass ich schon wieder von der Justiz ausgebremst wurde.
Plötzlich hatte ich eine Idee. Warum denn nicht? Wie sehr fehlten mir die angeregten Gespräche, die Authentizität, der Humor und die Schlagfertigkeit von einigen meiner Knastbrüder. Wenn ich ehrlich war, fehlte mir in Wirklichkeit die ganze Situation: das geregelte Leben, die Geborgenheit und die innere Freiheit. Vielleicht sollte ich die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen und mich wieder einsperren lassen. Von italienischen Knästen und speziell dem in Bozen hatte ich nur Gutes gehört. Dort gab es täglich einen Liter Wein, die Zellen waren den ganzen Tag offen und man konnte immer in den Gefängnishof zum Joggen, Spazierengehen oder um sich zu sonnen. Besuch war jederzeit möglich und die Besucher durften auch Lebensmittel aller Art für die Gefangenen mitbringen.
Daraus zauberten die inhaftierten Köche dann täglich Menüs, die es mit denen in den feinsten Restaurants aufnehmen konnten.
Jeden Abend wurde getafelt, gelacht und getrunken. Das klang echt verheißungsvoll. Sicher würde ich dort wieder auf einige außergewöhnliche Figuren treffen, die sich deutlich von den „grauen Mäusen“ abhoben, mit denen ich mich gerade täglich herumärgern musste. Sie hielten mir gnadenlos den Spiegel meiner eigenen Unzulänglichkeit vor und verdeutlichten mir jede Sekunde, was für ein sinnloser Rückfall es gewesen war, wieder in das Money-Business eingestiegen zu sei. Und meine neuen Erkenntnisse und meine mir im Knast angeeignete Ethik verraten zu haben.
Die beiden Polizisten vor mir kamen mir also gerade recht. Warum sollte ich ihnen nicht eine Lektion erteilen?
„Ich bringe euch das Schwert, denn der Krieg ist der Vater aller Dinge“, hat der wahre Jesus gesagt. Die Starken kämpfen und töten, die Schwachen betrügen. Nie wieder wollte ich zu den Letzteren gehören. Schlagen nicht sogar friedliebende buddhistische Lehrer hart mit dem Zen-Stab zu, wenn ein Schüler während der Meditation wegdämmert? Also warum nicht auch ich? Wenn mein Plan funktionierte, kam ich gut aus der Situation heraus. Wenn nicht, würde ich für einige Zeit im Knast in Bozen landen.
Verlockende Vorstellung.
Kaum hatten wir den Parkplatz erreicht, traten sie wie erwartet an meinen Wagen. Der Schlankere von ihnen beugte sich zu meinem geöffneten Fenster herab und verlangte barsch meine Fahrzeugpapiere und meinen Führerschein. Es waren zwei junge arrogante Beamte, die sich anscheinend ihren kargen Sold aufbessern wollten und mich für das ideale Opfer hielten. Ein gut gekleideter deutscher Spießer in einem Luxusauto, mit dem ihm anerzogenen Respekt vor der Obrigkeit. Besonders, wenn sie in einer Uniform steckte und martialisch auftrat. Eine leichte Beute. Dachten sie. Sie irrten sich gewaltig. Ihre überheblichen Mienen verrieten mir, dass sie insgeheim die Aktion bereits als erfolgreich abgehakt hatten und sich schon überlegten, was sie mit meiner Kohle machen würden.
Normalerweise hätte ich für ihr Verhalten sogar Verständnis gehabt. Aber heute hatte ich wegen des offenen Verlustes, meines gescheiterten Lebenskonstrukts und des sich langsam bemerkbar machenden Jetlags extrem schlechte Laune.
Ich schälte mich aus dem Sportsitz des Porsches und gab die Papiere dem Sprecher der Beiden. Es war kalt und mich fröstelte etwas, was mich noch wütender machte.
Der Carabinieri warf nur einen flüchtigen Blick auf meine Papiere.
„Sie haben uns mit 170 km/h überholt. Erlaubt waren 110. Das macht 1.000,- DM Strafe, ersatzweise 20 Tage Haft“, sagte er dreist. Wohl wissend, was das für ein Unsinn war, sah er mich herausfordernd an.
„Haft!“ Das Zauberwort war Musik in meinen Ohren.
„170 km/h also. Interessant. Womit habt Ihr mich denn gemessen?“ fragte ich ruhig und trat einen Schritt vor, um die richtige Distanz zu ihnen für meinen Angriff zu haben.
„Brauchen wir nicht. Wir sind zu zweit und werden es jederzeit beeiden. Wenn Sie nicht zahlen wollen oder können, beschlagnahmen wir Ihr Fahrzeug und nehmen Sie fest“, drohte mir mein Gegenüber.
In diesem Augenblick bog ein Pulk von Motorradfahrern in den Parkplatz ein. Als sie den geparkten Polizeiwagen erblickten, dessen rotes Blinklicht mich und die beiden Carabinieri wie in einem Hollywoodfilm in Szene setzte, fuhren sie direkt auf uns zu und stellten ihre Maschinen ab. Sie stiegen ab, kamen auf uns zu und umringten uns.
„Was wollen die Pappnasen von dir, Uwe?“, fragte mich eine Stimme, die mir vertraut vorkam. Einer der Biker grinste mich an und ich erkannte einen ehemaligen Mithäftling.
Oh wundersame Fügung!
„Sie wollen mich abzocken“, erwiderte ich und grinste zurück. „Ich soll ihnen 1.000 DM geben, dann lassen sie mich weiterfahren.“
Mein Knastbruder nickte seinen Freunden zu. Die bildeten einen Kreis um mich und die beiden Polizisten. Langsam zogen sie den Ring um die beiden Carabinieri enger. Meinen beiden Angreifern wurde sichtlich mulmig zumute und der etwas dickliche Kollege griff sich ostentativ an seine Pistole.
Diese Geste gab den Ausschlag. Blitzschnell sprang mein Bikerfreund hoch und setzte den völlig überraschten adipösen Beamten mit einem Kick gegen seinen Kopf außer Gefecht. Bevor sein schlaffer Körper den Boden erreichte, wirbelte er herum und platzierte einen knallharten rechten Haken auf die Kinnspitze des völlig verblüfften Hageren. Lautlos sackte auch der zusammen und fiel neben seinen Kollegen.
Ohne sich weiter um sie zu kümmern, lief mein Ex-Mithäftling zu ihrem offen stehenden Wagen. Mit einem kräftigen Ruck riss er den Hörer ihrer Funkanlage aus seiner Verankerung und zog den Autoschlüssel ab. Inzwischen hatten seine Freunde die Bewusstlosen gefilzt. Die Beamten hatten zwei Handys dabei, die sie an sich nahmen. Unglücklicherweise für die beiden Bewusstlosen fanden sie auch noch Handschellen. Sie wälzten sie mit ein paar Fußtritten so auf ihre Seiten, dass sie Rücken an Rücken aneinander gefesselt werden konnten.
Schadenfroh beobachtete ich die Szene und stellte mir vor, wie mühsam es für sie sein würde, über die Felder neben der Autobahn zum nächsten Dorf zu laufen.
Mein Ex-Mithäftling kam auf mich zu und umarmte mich.
„So, und jetzt machen wir uns alle schnell vom Acker.“
„Danke“, erwiderte ich und gab ihm meine Visitenkarte. „Hier hast du meine Telefonnummer. Ruf mich an, wenn du in meiner Nähe bist. Ich schulde dir ein gutes Essen.“
„Du schuldest mir gar nichts. Es war uns das reine Vergnügen, dir zu helfen und diese Typen zu maßregeln.“
Zufrieden ging ich zurück zu meinem Porsche und stieg ein. Ich sah gerade noch, wie mein Freund den beiden am Boden Liegenden einen Kick in ihre Spaßbereiche versetzte. Anscheinend wollte er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Vertretern der Justiz in die Eier zu treten. Mit einem satten Geräusch fiel meine Tür ins Schloss.
Ich startete und gab Gas. Der Bolide beschleunigte in ein paar Sekunden auf 100 km/h. Ich musste aber sofort wieder bremsen, weil ich die Mautstation von Brixen vor mir auftauchen sah. Das bedeutete, dass ich bis zum Brenner noch maximal eine halbe Stunde brauchen würde. Der Vorsprung sollte reichen, bevor die beiden gescheiterten uniformierten Wegelagerer den nächsten Ort erreichten und alle Grenzposten alarmieren konnten. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob sie sich nicht meine Autonummer notiert hatten.
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