Die Begriffe anaerobisch und aerobisch spielen im Läuferleben eine maßgebende Rolle, weshalb sie hier näher erklärt werden. Ich kann längere Zeit mit dem allein durch die Atmung zur Verfügung gestellten Sauerstoffvolumen laufen. Das ist aerobischerLauf. Demgegenüber kann ich aber auch so schnell oder bergauf mit hoher Intensität laufen. In diesem Fall wird der Sauerstoffbedarf des Organismus größer sein als durch die Atmung zur Verfügung gestellt werden kann. In diesem Falle zehrt der Körper von seinem Sauerstoffhaushalt und der Lauf findet unter anaerobischenBedingungen statt, das heißt, der Körper geht eine Sauerstoffschuldein. Diesen anaerobischen Lauf kann man nur kurzzeitig durchstehen (zum Beispiel während einer Sprintphase oder zur Bewältigung eines kurzen Bergabschnitts). Der Langstreckenläufer wird demzufolge generell unter aerobischenBedingungen, also ohne Sauerstoffschuld, laufen müssen. Anaerobische Abschnitte sind natürlich nicht generell zu vermeiden, müssen aber durch relative Ruhephasen während des weiteren Laufes ausgeglichen werden.
Viele Läufer geben sich, und das auch berechtigterweise, mit Jogging zufrieden. Sie sind bestrebt, ihrem Körper frische Luft durch Bewegung zuzuführen, sich durch körperliche Aktivität frisch und fit zu halten und immer Freude am Lauf zu haben. Sie sind zufrieden, wenn sie unabhängig von der Zeit ihren Lauf beendet haben, ob sie nun einen, fünf oder zehn Kilometer gelaufen sind. Damit sollen dem Jogging beileibe nicht seine Qualitäten abgesprochen werden, sondern es ging mir im Gegenteil darum, lediglich den Unterschied zwischen Jogging und leistungsorientiertem Training zu verdeutlichen. Auch ich habe in meinem Läuferleben mit dem Jogging begonnen, ehe ich überhaupt den Gedanken faßte, leistungsorientiert zu laufen, um auch an Laufveranstaltungen teilzunehmen. Ich wußte damals noch nichts vom Fluidum des Wettkampfs, der für mich nicht ein Lauf gegen den anderen ist, sondern ein Messen des eigenen Leistungsvermögens. Nicht Siegen wollen war das Ziel meiner Teilnahme an solchen Gemeinschaftsveranstaltungen. Teilnehmen in der Schar der Läufer im Kampf gegen den eigenen inneren Widerstand, beim Austesten des eigenen Leistungsvermögens, zur Feststellung seiner eigenen Grenzen, ohne den anderen Läufer als Gegner denn vielmehr als gleichgesinnten Partner zu sehen, das war das Wettkampferlebnis für mich, dem ich mich stellen wollte. Auch im Wettkampf verlor ich nie den Blick für die Schönheiten der Natur, auch nicht für die Freuden und Leiden des Partners neben mir.
Im Laufe der Jahre musste ich feststellen, daß im Jogging viel Routine steckt, daß Jogging einförmig ist, denn die gleiche Bewegung wird ständig wiederholt. Viele Jogger benutzen zu ihren Läufen ständig die gleiche Strecke, sie kennen jede Wurzel, jeden Stein, jeden Baumstamm, Ast und jedes Blatt auswendig. Diese ständige einförmige Wiederholung der Bewegung und das ständige Wiederkehren des gleichen Erscheinungsbildes in Wald und Flur (und deshalb bezeichne ich Jogging als einförmig) sind natürlich mit bestimmten Problemen verbunden, die im Extremfall zur geistigen und körperlichen Routine führen können. Geist und Körper können vereinsamen, wenn allein in der eintönigen und gleichförmigen Bewegung das Allheilmittel zur Gesunderhaltung gesehen wird. Anders ist es, wenn der Jogger über den Zustand des so von mir dargestellten Joggens hinauswächst, wie beispielsweise beim Lauf unter leistungsorientierten Bedingungen. Anders wäre es auch, wenn ein Jogger sich nicht an die alte Regel hält, immer im gleichen Tempo, immer auf dem gleichen Weg und wenn es geht, immer zur gleichen Tageszeit täglich oder wöchentlich ein- bis dreimal zu laufen. Selbstredend ist es für jeden Läufer zweckmäßig, über eine eigene „Teststrecke„ zu verfügen, auf der er seine Leistungsstärke messen und mit vorangegangenen Testläufen vergleichen kann. Es ist aber in der Regel ausreichend, derartige Testläufe höchstens einmal im Monat vorzunehmen. Nur in Zeiten erhöhter Wettkampfintensität ist eine Verkürzung der Testlaufintervalle zweckmäßig. Die eigentliche Wurzel des Laufes aber liegt in seiner Dynamik, seiner Veränderung und in seiner Vielfältigkeit. Man kann zur Ertüchtigung seines Herzens, seines Kreislaufs, seiner Muskeln und seines ganzen Körpers mehr tun als „nur„ Joggen. Es gibt beim Ausdauerlauf eine Vielzahl von Möglichkeiten an Bewegungsarten und auch eine ganze Menge unterschiedlicher Freuden. Natürlich wird nicht jeder einzelne Lauf die gleichen Erfahrungen vermitteln. Jeder Lauf wird anders sein, und das ist gut so im Interesse der Abwechslung, wenn man ihn, den Lauf, nur vielfältig gestaltet. Damit ist natürlich Jogging, ich wiederhole es, durchaus nicht von der Hand zu weisen. Die meisten Freizeitläufer bevorzugen ja Jogging gegenüber dem leistungsorientierten Training. Wenn man mehr über die soeben dargelegten eigenen Erkenntnisse nachdenkt, wird man feststellen, daß Jogging und leistungsorientierter Lauf auch eine psychologische Seite beinhalten.
Man kann, wie gesagt, beim Joggen derartig abschalten, daß man nur einseitig denkt, man kann aber auch seinen Gedanken freien Lauf lassen, man kann sogar schöpferisch tätig werden. Ich sage das so, weil ich hier selbst die Erfahrung gesammelt habe, daß ich während meiner Jogging-Zeit während des Laufes geistig schöpferisch tätig werden konnte.
Stets und ständig habe ich geistig gearbeitet, weshalb Jogging bei mir auch nicht zur geistigen Starre geführt hat. Nie lief ich ohne Gedanken durch die Gegend, sondern nutzte die Gabe der Natur, das Gehirn durch die höhere Sauerstoffzufuhr selbst anzuregen. Oft kam ich vom Lauf nach Hause und habe anschließend mein während des Laufes erworbenes geistiges Gedankengut weiter verarbeitet.
Gleichzeitig hatte ich auch immer das Bestreben, ein bestimmtes Leistungsniveau zu halten. Denn eigentlich begann ich mit dem Laufen erst im „fortgeschrittenen„ Lebensalter. Während es Meinungen gibt, der Langstreckenläufer habe mit einem Lebensalter von 50 Jahren seine höchste Leistungsfähigkeit bereits überschritten, musste ich andere Erfahrungen machen. Mit 50 Jahren habe ich eigentlich erst so richtig mit dem Laufen begonnen, erreichte mit etwa 57 bis 58 Altersjahren meine individuelle, aber wie sich später zeigte, nur eine relative obere Leistungsgrenze. Bis zu dieser Zeit nannte ich mich einen Jogger. Der ältere Läufer sollte beim Lesen dieser Zeilen beachten, daß er nie so schnell wie ein Junger höhere Leistungen erreichen wird. Aber alle älteren Läufer und die, die es werden wollen, sollten sich auch dessen bewusst sein, daß durch Beharrlichkeit, durch ständig steigende Freude am Lauf und durch Abwechslung im Training, wie langsames Traben, flottes Laufen, Einlegen anaerober Abschnitte, auch im Alter eine höhere Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. Das alles sind meine Erfahrungen aus meinen „Jugendjahren„ in der Laufbewegung.
In dieser Periode habe ich wohl erreicht, dass mein biologischer Alterungsprozess, der bis dahin altersgemäß nach meiner Meinung normal verlief, von da ab verzögert wurde. Das führe ich heute auf das regelmäßige, über Jahre hinaus vorgenommene Training zurück. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, daß sich bei mir in dieser Periode nicht nur die körperlichen Fähigkeiten für ein Ausdauerlauftraining festigten, sondern sich auch andere Eigenschaften, die das allgemeine Lebensgefühl betreffen, herausbildeten. Um Näheres darüber zu erfahren, ist es angebracht, in einem späteren Abschnitt dieses Buches (Laufen und Psychologie) darüber nachzulesen, wie das Laufen auf Körper und Geist wirken kann.
Wer einmal begonnen hat zu laufen, der kann nicht mehr davon lassen, es sei denn, Krankheiten verbieten es ihm. Aber auch dann wird er nicht gern aufhören, nur die Einsicht in gesundheitliche Erfordernisse zwingen ihn dazu.
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