"Und jetzt schau genau her!" forderte Fitz mich dann auf, nahm ein Glas Wasser, trank davon und redete gleichzeitig.
"Dergluckglundwaglumichgluckmichgladegluckanglichwende-", das Glas war ausgetrunken.
"Na wie war ich?" fragte Fitz.
"Großartig", meinte ich und zeigte mein schönstes Lächeln.
"Danke. Also du hast doch dieses Problem mit deinem Dummy, stimmts?"
Ich nickte.
"Und du fragst dich, was du tun musst, damit er nicht mehr alles hängen lasst."
"Mir würde schon reichen, dass er nicht permanent seine Körperteile verliert", erklärte ich.
"Kind, dein Dummy ist schlicht und einfach einsam. Auch Dummys haben Gefühle. Vermutlich sehnt er sich nach einer Partnerin", erklärte der Gott der Bauch-rednerpuppen.
"Potzblitz!" rief ich, "dass ich da nicht selbst draufgekommen bin!"
Fitz nahm eine Karotte und begann sie zu essen.
"Mmampfeinrpartcruncherinkaunirschwürdeschmatz!" sprach er dabei.
"Ich werde mich daran halten!" rief ich glücklich.
"Sehr fein! Halleluja!" sagte Fitz und segnete mich, die Wolke schloss sich wieder, der Gesang der Engel verstummte und schon war es wieder so hell wie zuvor.
Und ich, in meinen kurzen Hosen für kurze Buben und dem T-Shirt mit Zitronenmuster wusste, was zu tun war. Ich holte mir von zuhause eine Schaufel und machte mich auf den Weg zum Friedhof.
*****
"Komm rein, komm rein!" rief ich fröhlich und die Türe meines Zimmers öffnete sich. Herein kam Mutter Yolanda mit besorgtem Gesichte.
"Sohn, aus deinem Zimmer kommt ein wenig ein strenger Geruch", bemerkte sie mit trüben Augen, "hast du dir schon wieder die Altweibersuppe unter den Nagel gerissen?"
Dann schaute sie sich im Zimmer um, bis ihr Blick auf meine zwei beiden Puppen fiel.
"Was ist das?!?!" rief Mutter Yolanda.
"Das ist Mr. Puffy Mutter, ich hab ihn dir doch vorgestellt", erklärte ich.
Mr. Puffy war nun schon ein wenig feucht und tropfte auf den Fußboden. Sein Gesicht hatte eine ungesunde bläuliche Färbung angenommen. Zwei oder acht Fliegen summten um ihn herum und in seinem Schoß lagen schon einige Zähne, die ihm aus dem labbrigen Mund gefallen waren.
"Und das...Ding neben ihm?" fragte Mutter Yolanda nach einem hörbaren Schlucken.
Das Ding neben Mr. Puffy war ein mumifizierte Leichnam. Eine Wurmfamile hatte es sich in einer der leeren Augenhöhlen bequem gemacht. Auf dem Kopf trug die Mumie eine blonde Perücke mit Schleifchen.
"Das ist die Verlobte von Mr. Puffy", erklärte ich und wischte mir Reste der Friedhofserde von der Kleidung, "ihr Name ist Fräulein Glock! Ich habe sie extra für Mr. Puffy ausgesucht, damit er nicht so einsam ist. Der Gott der Bauchrednerpuppen hat mich auf die Idee gebracht!"
Mutter Yolanda seufzte und meinte dann: "Ich rufe jetzt die Totengräber und dann werden wir uns mal über deine Zukunft unterhalten!"
Nachdem der Totengräber Mr. Puffy und Fräulein Glock weggebracht hatte, erklärte Mutter Yolanda meine Karriere als Bauchredner zu meinem Leidwesen für beendet.
Sie setzte sich mit mir an den Küchentisch, rauchte eine ihrer Mentholzigaretten und sah mich an. Dann nahm sie einen Schluck Wermut und starrte auf die karierte Tischdecke. Dann sah sie wieder mich an und meinte: "Sohn, du warst töricht gewesen! Ich sende dich darob zum Pastor, der dir den rechten Weg weisen wird!" Damit ich mich nicht in der eigenen Biografie verirre, merke ich an, dass ich damals um die zehn gewesen sein muss.
*****
Pastor Meinhard küsste seine zahlreichen Ringe auf seinen Fingern. Ich mutmaßte, er wollte einen Liberace-Doppelgängerwettbewerb gewinnen. Wie er es mit jungen Männern hielt, weiß ich nicht.
Ich saß mit ein paar anderen Jugendlichen in einem klassenzimmerähnlichen Raum, wo einige Kreuze rumstanden. Wir Jungen saßen auf harten Sessel im Kreis, und der Pfarrer begann seine Rede.
"Meine lieben Freunde! Menschen gibt es viele. Sie kriechen und kreucheln herum, sonderzahl, mit ihren ekligen Fühlern und acht Beinen und haarigen Augen und diesen Sekreten, die sie immer absondern...und die Schwiegermütter sehen noch viel widerlicher aus. Also die Menschen. Wenige von ihnen können sich guten Gewissens rechtschaffen nennen. Vielleicht zehn von hundert. Von diesen zehn sind nicht mehr als sechs wahrhaftig. Sechs an der Zahl und wohl kaum mehr als zwei davon sind edlen Gemüts. Und von diesen zweien bleibt am Schluss vielleicht gerade mal eine Milz, die man ohne Abstriche als unschuldig und rein bezeichnen kann. Eine Milz von hundert Menschen. Gibt einem doch zu denken. Ihr meine jugendlichen Freunde, seid nicht unschuldig und rein. Ihr macht Ärger, Sorgen und Probleme. Und deshalb müsst ihr euch ändern und zum Herrn finden. Denn eins müsst ihr verstehen. Es wäre eine totale Schande für eure Eltern, deren Geschäft, das Haus, im dem das Geschäft steht, in dem eure Eltern wohnen, die Straße, in der das Haus steht, in dem das Geschäft steht, in dem eure Eltern wohnen und generell eine Schande für die Stadt, in dem die Straße liegt, in der das Haus steht, in dem das Geschäft steht, in dem eure Eltern wohnen, würdet ihr versagen. Das gilt übrigens auch, wenn eure Eltern separat von ihrem Geschäft wohnen oder irgendwo angestellt sind.
Dann nämlich würde ein Meer der Schmach über euch hereinbrechen wie ein alles verschlingender giftspritzender Tsunami, der sich anschickt, euch den jüngsten Tag zu bringen, die finale Apokalypse, die wie Gottes Strafe über euch hinwegfegt um das Schandmal, das ihr blöden Sünder gezeichnet habt, für immer auszulöschen im reinigenden Feuer des Herrn und euch Seelenlosen direkt in die Hölle bringt wo ihr bei lebendigem Leibe bis in alle Ewigkeit in Satans Flammenmeer verkohlt! Harhar! Und das nächste Mal besprechen wir Masturbation vor der Ehe."
Ich war tief beeindruckt von den Worten Pastor Meinhards, allerdings hielten sie mich nicht davon ab, auch im späteren Leben hin und wieder das Kennzeichen töricht1 anzuschrauben.
*****
Wieder saß ich mit Mutter am Küchentisch. Wieder rauchte sie Mentholzigaretten und trank Wermut. Wieder studierte sie die Tischdecke. "Mein Sohn", sagte sie, die wohl Zweifel an meiner Wandlung hatte, "du warst absonderlich gewesen. Ich sende dich darob zum Trainer, der dir den rechten Weg weisen wird!"
*****
Dieses Mal saßen die Zuhörer nicht im Kreis sondern in Reihen, wie in der Schule. Vorne allerdings gab es keine grüne Tafel sondern einen Flipchart. Die Decke war mit Holz getäfelt. Im Auditorium saßen dicke Frauen und müde unrasierte Männer. Der Trainer war jung und seine Haare standen zu Berge. Er bewegte sich während seines Vortrages viel um seine Dynamik zu unterstreichen.
"Das Schlimmste ist die Orientierungslosigkeit der jungen Menschen, die vom einem hakenschlagenden Schicksal aus der Bahn geworfen wurden. Sie fühlen sich ohne Wert, sie wissen nicht wohin. Sie schauen sich um und sehen Menschen, die es geschafft haben. Menschen mit funktionierenden Partnerschaften, gelungenen Karrieren in der Wiederverwertungsbranche, die sich jedes Jahr einen Urlaub in Novo-Sibirsk leisten können und trotzdem Zeit für ihre Hobbys und ihre Freunde und ihr Fitnessstudio haben und denen die Torten nie ausgehen. Und die Gestrauchelten denken sich dann ganz verzweifelt Wie machen die das? Warum gelingt mir das nicht? Ich will auch eine Torte! Aber ich kann Sie beruhigen. Schauen Sie mal auf den Overheadprojektor. Wie Sie meiner kleinen Grafik entnehmen können, schaffen es mehr als 80 Prozent der Menschen, ein funktionierendes Arbeits- und Sozialleben zu erlangen. Die restlichen sind Leute, die aufgrund ihrer bizarren persönlichen Struktur zu sowas gar nicht fähig sind. Diese findet man häufig auf der Straße, in der Kriminalität, im Gefängnis und im Milieu der Fernsehintendanten. Und das ist schlimm, denn dort gibt es nur Sekt und Kaffee, aber niemals Torten! Was ich euch mit diesen wissenschaftlichen Worten sagen möchte ist: verzweifelt nicht! Ich sehe gesunde, kluge Menschen vor mir! Ich garantiere euch: in spätestens einem Jahr werdet ihr euer Leben im Griff haben! Wenn ihr nur daran glaubt! Wenn ihr nur etwas aus euch macht! Und dann werdet ihr an heute zurückdenken und euch wundern, wie leicht und einfach ihr zu euch selbst gefunden habt! Aber fangt klein an! Für jeden reicht es nicht für eine Torte! Beginnt mit einer Apfelschnitte! Oder einem Grahamkeks!"
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