Es war nicht ganz leicht, mit ihr zu reden. Wenn sie sprach, dann erschien es mir anfangs völlig unverständlich, zusammenhanglos, unsortiert, was sie sagte. Ich habe viel über sie nachgedacht, viel gefragt. Ich kam dahinter, das sie immer erst das sagte, worüber sie sprechen wollte, sozusagen erst das Hauptwort, ein Stichwort, dann ungeordnete Satzfragmente. Ich lernte, auf Stichworte zu reagieren und dann darauf hin gezielt Vermutungen anzustellen, nachzufragen.
"Meinst Du dies und dies?"
Ein gedehntes: "Joohh... - neeeee!"
Falsch.
Neuer Versuch.
Ich habe alles, was sie gesagt hat, jedes Wort, oben im Kopf abgespeichert und später, wenn ich allein war, darüber nachgedacht. Ich habe mir eine eigene Geschichte von ihr zusammengebastelt, anders ging es nicht, und diese Geschichte bei allen neuen Hauptwötern, die ihrem pausbackigen Schmollmund entwichen, neu korrigiert. So konnte ich sie langsam verstehen, begreifen.
Meine Fragen, und man musste sie alles fragen am Anfang, nahmen Gestalt an und immer öfter hörte ich ein "Joooh - Ja" auf meine Fragen. Die Richtung stimmte. Es war wirklich schwere Arbeit, nur Interesse für ihre Person zählte. Sie dankte es mir mit immer mehr Worten, Offenbarungen, vertrauten Gedanken, die sie nur mir sagte. Denn nur ich verstand sie. Ich war der einzige.
Ich kam dahinter, dass sie zwar eine liebe Mutter hatte, die mir gleich das "Du" anbot, als ich sie kennen lernte, aber leider war sie nicht in der Lage, eine große, schüchterne, trotzköpfige und tollpatschige Barbiepuppe auf den richtigen Lebensweg zu lenken.
Jana und ich freundeten uns an, sie hatte mein Herz erobert, und ich ein bisschen ihres. Von körperlichen Kontakten wollte sie nichts wissen, das merkte ich sofort. Aber da bin ich nicht so forsch, ich konnte warten.
Ich liebte Jana.
Sie fragte inzwischen viel, alles, was sie nicht verstand, sie wusste, sie konnte sich mir anvertrauen, ich machte sie nie lächerlich, nahm mir viel Zeit ihr alles zu erklären, was sie wissen wollte. Ich wusste auch nicht alles. Aber mir ist es eigen, komplexe Zusammenhänge schnell zu durchschauen und zumeist treffende Schlüsse zu ziehen aus den gesammelten Informationen.
Bald fragte sie mich auch über die “Jungs”, die Herbertstrasse.
Leider war ich nicht der einzige, der Interesse an ihr hatte. Die “Jungs” suchten ständig Nachwuchs-Fachkräfte für ihre horizontalen Lokalitäten auf der Meile und so war Jana schnell auserkoren. Durch ihre Neugier, Naivität und ihr Aussehen war sie gleich in das Auswahlverfahren der Luden gekommen. Ihre Bereitschaft, in jedes Fettnäpfchen mindestens einmal zu treten, kam dabei sehr gelegen.
Jana wollte alles kennen lernen, gerade alles Schlechte, so schien es mir, schien einen magischen Reiz auf sie auszuüben. Sie wirkte auf mich, solange wie ich sie kannte, immer wie jemand, der eine Art Gefahren-, ja sogar Todessehnsucht hat; Gefahr sucht, um darin umzukommen. Oder zumindest Nachteile zu erleiden. Mir schien es, als wolle sie sich immer irgendwie selbst bestrafen. Ich bin nie dahinter gekommen, für was.
Sie fragte mich, ausgerechnet mich, ob ich ihr nicht helfen könne, in der Herbert zu arbeiten. Nur mal kurz, sie wollte ‚...mal wissen, wie das ist...’
Das sollte ein Satz sein, den ich später noch öfters zu hören bekam. Immer kurz vor oder kurz nach einer Katastrophe, die sie angerichtet hatte.
Ich konnte wählen: entweder tue ich es oder sie tut es selber. Wenn Katastrophe, dann lieber eine, mit der ich zu tun habe und die ich dann vielleicht - wenn nicht verhindern - wenigstens kontrollieren kann.
Ich verschenke meine Jana
Also bahnte ich ein vertrauliches Gespräch an mit dem einen der “Jungs”, der mir am sympathischsten war.
Wir trafen uns Nachmittags in einem Bistro draußen an der Strasse - auf der Reeperbahn. Er war mit der Harley gekommen, war schon da, als ich erschien. Der Helm lag auf dem einzigen noch freien Stuhl am Tisch, er räumte ihn beiseite, als ich mich setzen wollte.
Mein Herz klopfte bis zum Halse. Irgendwie war es aufregend. Ich saß hier im Kiez-Cafe, um mit einem der großen Luden übers Geschäft zu reden. Und doch war es traurig.
Ich wollte –nein, ich sollte- meine Jana als Hure bewerben.
Ich wusste gar nicht so genau, was ich sagen sollte, bei der Absprache des Termins - und man muss immer einen Termin machen mit den “Jungs” - hatte ich nur gesagt ‘…es geht um Jana`.
Der Lude schaute mich an, als ich saß, prüfend, mit einem ganz bestimmten Blick, den ich nur von Hamburger Luden kennen. Aber von allen. Sie gucken alle gleich, finde ich. Ich würde einen Hamburger Luden in Sydney erkennen, allein am Blick.
Der Blick ist selbstsicher, prüfend, abwartend, sprungbereit, wach, aufmerksam.
Das sind die Vokabeln, die ich alle aufzählen muss. Das Kinn leicht nach unten geneigt, die Kopfhaltung etwas nach links oder rechts, immer vom Gesprächspartner weg, der Blick aber fest in den Augen des Opfers. Ja, so kam ich mir hier vor, eigentlich wie ein Opfer.
Zu meinem Erstaunen ergriff er so ungefähr wie folgt das Wort:
"Du weisst, dass das was wir beide jetzt hier besprechen, strafbar ist?!"
Huch! Was ist denn nun los? Ich will ihm eine willige Arbeiterin vorschlagen und er hält mir eine Moralpredigt?
Er sieht mich fest an, lächelt nicht, redet weiter:
"Auf sowas gibts Knast, und nicht wenig!"
Dann wird er vertraulicher.
"Aber ich finde es gut, das Du gekommen bist, erzähl mal, ihr versteht Euch ja ganz gut, die Jana und Du...!?"
Sein Ton, seine Gesprächsart wurde netter, freundlicher, erst später bin ich dahinter gekommen, dass das alles Masche ist. Masche, erst einschüchtern, dann Vertrauen erwecken, Menschen aushorchen, manipulieren. Tue, als seiest Du ein Freund um mit jemandem über seine Feinde zu reden. So erfährst Du, wie er über dich denkt.
Ich legte los, sie wolle im Puff arbeiten, ob sie das bei ihm mal ausprobieren könne, bat ihn, sie lieb zu behandeln, sie jederzeit wieder gehen zu lassen.
Ich kann nicht sagen, dass er mir das ausdrücklich zugesichert hatte, aber ich spürte irgendwie seine Anerkennung für das was ich tat und er schien zu merken, das es mir nicht leicht viel.
Die “Jungs” hatten alle gemerkt, dass ich es gut konnte mit Frauen.
Weil ich immer einen Vertrauensvorschuss gebe, nicht mit ihnen ins Bett will, sondern an ihnen interessiert bin. An ihren Geschichten, ihrem Leben. So jemand ist für Luden Gold wert.
Später, nach dem die Sache mit Jana begonnen hatte, haben sie mich sogar gefragt, natürlich indirekt, ob ich nicht für sie arbeiten will, um Mädchen zu beschaffen.
Und schon bald nach diesem Gespräch war meine Jana mit dem Mann zusammen, der mich eingestellt hatte.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt!
"Jana kommt ab heute nicht mehr! Sie ist jetzt drüben!" Diese kurze knappe Information ließ keine weiteren Fragen zu. Wo "drüben" war, war mir klar.
Von den anderen Frauen hörte ich, das sie jetzt zusammen war mit ihm. Mit dem? Meine Jana? Sie hatte sich doch immer mir anvertraut, wir waren doch Freunde, wenn nicht gar mehr, und jetzt - Jana, eine Hure?
Für mich brach eine Welt zusammen.
Ab und zu tanzte sie noch im Laden, wenn eine andere krank war oder ausgefallen. Mir wurde jeglicher Kontakt über das arbeitsbezogene Sprechen hinaus - und auch wirklich nur dies! - verboten. Meine Jana, die ich doch so liebte. Ich durfte sie nicht mehr sehen, keinen Kontakt haben, nicht reden, nicht telefonieren, nichts.
Ich begann wieder, opportunistisch zu werden. Ich stellte mit Mal alles, was ich bis dahin spannend, abenteuerlich, aufregend gefunden hatte, in Frage. Spionierte hinter den “Jungs” her, hinter Jana, tauchte in der Herbertstrasse auf, der für mich verbotenen Zone, machte mich unbeliebt.
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