Dankbar atmete sie ein und drückte seine rauen Finger fest zusammen. „Danke, dass du das für mich tust.“
Verlegen blinzelte er gegen die Sonne, der sie mit ihrem Schiff den Rücken kehrten. „Komm, wir sollten nicht zu lange trödeln, sonst ist es zu auffällig.“
9.
Zähneknirschend saß er auf seinem erhobenen Stuhl, mitten auf dem Deck. Das Meer war ruhig, und wie gewohnt hatte sich dichter Nebel gebildet. Jetzt fehlte ihnen nur noch ein Schiff, das sie überfallen konnten. Slakes Ungeduld war ihm in den vergangenen Monaten zur Belastung geworden, seine Männer merkten natürlich, dass etwas nicht stimmte, dass etwas anders war. Doch er schwieg wie ein Grab. Aufgebracht stand er auf und ging einige Schritte auf und ab, während er zeitgleich den Stoff seiner Uniform nach oben rollte. Genau so weit, bis es den Blick auf eine lang gezogene Narbe bot. Sie reichte von seiner rechten Brust bis zu seiner linken Hüfte. Gequält strich er mit seinem Zeigefinger daran entlang und ließ das Hemd schließlich wieder hinab fallen.
Zu schnell war es gewesen, und zu unachtsam war er gewesen, als er auf einen der Männer, die ihr Heimatland unerlaubt betreten hatten, zugestürmt war, denn er hatte zwei Waffen gehabt, einen langen Säbel und ein weiteres, kleines Messer, das gut verborgen an seinem Gürtel befestigt gewesen war. Als Slake ihn nun, blind vor Wut entwaffnete, verspürte er lediglich einen ziehenden Schmerz an seinem Körper und vernahm das zufriedene Lachen seines Gegners. Zwar war die Verletzung weniger schlimm gewesen, als damals, als sein Gesicht von einem Dolch durchzogen wurde, und doch trug er seine Lehre daraus. Alle hatten sie getötet. Einige sofort, einige erst Tage nach ihrer Ankunft. Seit dem, waren sie wieder auf See, auf See um ihre Arbeit zu verrichten.
Nachdenklich trat er zu seinem Freund Zoys. Er war ein Stückchen kleiner als er selbst, hatte einen kahlen Kopf und schon seit er ihn kannte, einen krummen Rücken. Aber er war der einzige, dem er voll und ganz vertraute.
„Slay.“, sagte er und klopfte ihm auf die Schulter.
„Slay.“ Freundlich, aber unaufmerksam starrte Zoys nach vorne. „Dort ist ein Schiff.“, sagte er und deutete in dessen Richtung, auf die weiße Nebelwand.
Man konnte nichts sehen, doch Slake wusste sofort, was er meinte. Freude machte sich breit, er lachte in sich hinein. „Wie sieht es aus? Lohnt es sich?“
„Natürlich, alles lohnt sich auf seine Weise. Wir haben beinahe keine Vorräte mehr, es ist nicht sonderlich groß, Schätze werden wir vermutlich nicht finden.“
Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. Das war ihm egal, sie hatten genügend Reichtümer. Doch wenn es darum ging, satt nachhause zu gelangen, überfiel er sogar kleinere Schiffe.
Der Nebel wurde dünner und man konnte wie schon so oft, einen schattenhaften Umriss erkennen. Zeichen für sie alle, sich bereit zu machen. Geübt nahm er seinen Degen zur Hand und platzierte sich wie gewohnt am Bug der „Nebula“. Aus Erfahrung wusste er, dass seine Gefolgsleute es ihm nachtaten, ohne großartige Anweisungen zu erteilen.
Schaudern lag Leona auf ihrem Lager, zusammengerollt wie ein Embryo, konnte sie nichts anderes, als sich davon abzuhalten, verstört über das Deck zu laufen. Türmen, das war es was sie wollte. Zwar hatte ihr Versteckspiel in den letzten Monaten Früchte getragen und niemand hatte etwas gemerkt. Inzwischen hatte sie es auch geschafft, sich einige Freunde zu machen.
Das Unwetter der letzten Nacht war schrecklich gewesen. Durch Mark und Knochen war es ihr gefahren, wo es immer noch verweilte. Stündlich bekam sie eine Gänsehaut und das Schaukeln des Schiffes wurde unerträglich. Wasser, überall Wasser, Schreie der Leute, die wild über das Deck gehetzt waren, um das Schlimme zu verhindern. Insgesamt hatten sie niemanden verloren, keine Verluste gemacht. Und doch. Der nachtschwarze Himmel war taghell erleuchtet, von den vielen Blitzen, die darüber hinweg fuhren.
Christjan hatte auch geholfen, war durch den nassen, kalten Regen gehechtet, und hatte hoch oben immer wieder die Segel eingeholt und befestigt. Am nächsten Tag, hatte er Fieber bekommen.
Langsam rollte sie sich auseinander und schlich die Stufen hinauf. Friedlich trieben sie auf dem Meer, nichts erinnerte mehr an die schlimmste Nacht ihres Lebens.
Bald schon, erkannte sie Christjan, er lehnte erschöpft an einem Pfosten. Sofort ging sie auf ihn zu und fühlte besorgt dessen Stirn. „Du bist heiß wie ein Ofen.“
„Ich weiß.“, seine Stimme klang gequält und er musste sich für einen Moment abstützen, um nicht umzufallen. „Mir ist schwindelig.“, sagte er matt und lehnte sich wieder zurück.
Unsicher ging sie von ihm fort. „Warte einen Augenblick.“
Schnell rannte sie den Weg in die Kajüte des Kapitäns, klopfte an, und trat ein. Es war ein großer Raum, wertvoll eingerichtet und es herrschte eine freundliche Atmosphäre. Der Kapitän, Sir Lith, begrüßte sie fröhlich und gab ihr seine kräftige Hand. Er war ganz anders, als die Kapitäne, die sie aus Geschichten kannte. Früher dachte sie immer, sie wären streng und unnahbar, was auf ihn nicht zutraf. Sicher, ein strenger Ton gehörte manchmal zum Tagesgeschehen und war üblich. Aber sie mochte ihn, und er mochte alle.
Gelassen schenkte er sich ein Glas Wein ein, auch Leona bot er eines an. Dankend, lehnte sie ab.
„Was kann ich für dich tun, Leon?“
Leon, war ihr Name, ihr falscher Name, den sie angenommen hatte. „Wissen Sie, Christjan macht mir Sorgen…“, begann sie und wippte hin und her. „Seine Temperatur ist gestiegen und ihm geht es schlecht.“
„Mmmh.“, war die einzige Antwort von Lith, als er das Glas leerte und es erneut füllte. „Er ist freigestellt, es nützt nichts, wenn wir einen Mann verlieren, oder gar, das es sich weiter ausbreitet, du auch.“, schloss er, „du wirst dich um ihn kümmern. Du bist der Einzige an Bord, mit dem er sich versteht, dem er vertraut.“
Leona nickte. „Danke, Sir. Ihm wird es bald wieder besser gehen.“
Glücklich verabschiedete sie sich und zog ihren Freund hinunter, in den Schatten der Kajüte. Dort, legte er sich auf sein Lager. Arme und Beine von sich gestreckt, blickte er sie müde an.
Behutsam tauchte sie einen Lappen in einen Eimer Wasser und legte ihn ihm auf die Stirn. „Ruh dich aus, das ist das Beste was du tun kannst.“
Zaghaft nahm sie seine Hand, vergewisserte sich aber zuvor, ob nicht jemand bei ihnen war.
Sein Zustand schien schlimmer zu werden, denn er war beinahe zu schwach, um ihre Geste zu erwidern.
Keiner sagte etwas. So wurde es Abend. Später half sie ihm, sich aufzusetzen, um etwas zu Essen. Aber er hatte kaum Hunger. Nasse Perlen tropften von seiner Stirn, seine Kleidung klebte ihm am Leib, als wäre sie seine zweite Haut. Während alle schlafen gingen, legte sie sich schützend neben ihn, hielt unentwegt seine Hand und flüsterte so lange, bis sie eingeschlafen war: „Alles wird gut.“
10.
Der Morgen graute, und etliche Männer waren bereits auf ihren Posten. Nur Leona und Christjan nicht. Sein Atem ging schwer, beinahe keuchend. Wie anstrengend musste es für ihn sein, jedes Mal einen neuen Atemzug zu tun? Er schlief, jedenfalls hielt er beide Augen müde geschlossen und man konnte nur matt erkennen, wie sich seine Pupillen unter den Lidern bewegten.
Leona hatte sich erhoben, war aufgestanden und getastete wie jeden Tag ihre kurzen Haare, natürlich hatte sie sie im Laufe der Zeit nachschneiden müssen. In all den Monaten, die verstrichen waren, hatte ihr jedoch etwas gefehlt, sie hatte ihrer Meinung nach nicht nur ihre Haare verloren, als Christjan sie ihr genommen hatte, sondern auch ihre Persönlichkeit. Ihr altes Leben. Schwerfällig griff sie sich an den prallen Bauch, als sie in die Knie ging, um Wasser zu holen, es ihm zu überreichen und ihm auf die Stirn zu legen. Als sie vorsichtig an ihn herantrat, wurde er wach und versuchte sie freundlich anzulächeln. Seine Lippen bebten und er drehte sich hastig von ihr fort. Noch ehe sie etwas tun konnte, rollte er sich über die Kante, an der sie zuvor gelegen hatte und erbrach sich über ihr. Mitfühlend holte sie ihn zu sich zurück, deckte ihn zu, obwohl es ihm zu heiß wurde, und legte ihm wie jede Stunde einen nassen Lappen auf die Haut. Sie brannte, war heiß wie Feuer, wie musste er sich fühlen? So als würde er von innen heraus verbrennen?
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