Was? Und was macht sie überhaupt jetzt? Sie hakt sich bei mir ein. Gerade war ich noch am Buch lesen und jetzt laufe ich mit einer alles andere als unsympathischen Frau eingehakt zum Strand, als wären wir entweder beste Freunde oder ein sehr eingespieltes Paar. Gut gemacht. Sehr gut gemacht. Und eigentlich angenehm. Nur berührt mein eingehakter Arm jetzt ihre Brust. Eigentlich auch angenehm. Aber irgendwie auch gar nicht. Nein, nicht angenehm, aber äußerst interessant. Und es fühlt sich verboten an. Wahrscheinlich denkt sie, ich würde das mit Absicht machen. Dabei kann ich gar nichts dafür. Mein Arm ist einfach da wo er ist. Und da ist eben auch ihre Brust. Wahrscheinlich hält sie mich jetzt für einen notgeilen Grabscher. Oder merkt sie das alles gar nicht? Haben Frauen mehr oder weniger Gefühle in ihren Brüsten, als ich in meinem Unterarm? Macht sie das mit Absicht? Oder merkt sie gar nicht, was sie da gerade tut? Ich werde Frauen nie verstehen. Aber auf jeden Fall kann es so nicht weitergehen. So kann ich mich ja auf kein Gespräch konzentrieren:
»Schatz, mein Unterarm berührt deine Brust.«
»Schatz?«
»Ja?«
»Du nennst mich Schatz?«
»Erstens kenne ich deinen Namen nicht und zweitens, na ja, du berührst mich mit deiner Brust!«
»Erstens Nina. Und zweitens: Na und?«
»Erstens Holger und zweitens: Ist schon schön, aber es macht mich nervös!«
»Erstens: Hallo Holger. Zweitens: Das war eigentlich auch mein Plan. H ab ’ dir deine Nervosität leider nur nicht angemerkt.«
»Wie, dein Plan?«
»Na ja, mein Plan eben. Deinen Arm ein bisschen an meine Brust halten und gucken, wie du nervös wirst.«
»Ah. Und das findest du lustig?«
»Es ist saulustig und vor allem interessant. Man lernt eine Menge über den Mann, den man gerade im Arm hat. Manche sind so nervös, dass sie kein Wort mehr sagen können. Solltest du auch mal machen.«
»Wie soll das denn gehen? Ohne dass meine Auserwählte gleich nach der Polizei ruft, wenn ich ihre Hand in meinen Schritt halte?«
»Oh... Ja, vielleicht doch keine gute Idee.«
»Und was hast du gerade über mich gelernt?«
»Du bist auf jeden Fall der erste, der die Sache direkt angesprochen hat.«
»Und?«
»Keine Ahnung, was es bedeutet.«
»Wie? Du machst hier psychologische Spielchen mit unschuldigen Machos und weißt nicht, was es bedeutet, wenn das Ergebnis vorliegt?«
»Nein. Also... Also noch nicht.«
»Superspiel! Macht echt Sinn.«
»Nun zick mal nicht rum! Wo waren wir denn davor stehengeblieben?«
Stehengeblieben? So viele Themen, bei denen wir hätten `stehenbleiben` können, gab es doch noch nicht in den ersten Minuten unserer Bekanntschaft. Das ist doch ein Fluchtversuch. Ist ihr ihr gescheitertes kleines psychologisches Experiment ein bisschen peinlich? Ich glaube, ja. Klar ist es ihr peinlich. `Wo sind wir denn stehengeblieben`, macht überhaupt keinen Sinn. Gut so. Jetzt nur noch ein paar Sekunden Stille, schweigend den Sieg genießen und dann einfach weiter machen, als wäre nichts gewesen:
»Wo wir stehengeblieben sind? Du hast gerade von der Silberhochzeit deiner Eltern erzählt.«
»Ja, genau... Das war so... Es fing alles an mit meinem Onkel. Du weißt ja, der Onkel, der meine Mutter nicht wirklich leiden kann. Der kam eine halbe Stunde zu spät zum Essen. Ob das Absicht war, weiß ich bis heute nicht. Meine Mutter meint natürlich, dass es Absicht gewesen ist, aber für die Geschichte ist es eigentlich auch egal. Also, du musst dir diese riesige, schön gedeckte Tafel vorstellen. Meine ganze rausgeputzte Familie. Und mitten in den ersten Gang platzt mein Onkel, als wäre nichts dabei. Macht eine große Runde und begrüßt jeden einzelnen mit Küsschen links, Küsschen rechts oder Handschlag mit Schulterklopfen...«
Sie labert. Sie labert irgendwas. Sie hört einfach nicht auf. Eindeutig völlig frei und völlig spontan erfunden die Geschichte. Und jetzt lässt sie auch noch meinen Arm wieder frei, nur um wild herum zu gestikulieren. Gib mir deinen Arm zurück, ich hab’ mich gerade daran gewöhnt. Und ich mag deinen Arm. Na gut, dann schaue ich dich einfach von der Seite an. Bei der sinnfreien Geschichte kann ich mich auch auf interessantere Dinge konzentrieren. Ich könnte mir jetzt mal ganz in Ruhe überlegen, was das hier gerade wird. Ein ziemlich unkonventionelles Kennenlernen. Sie ist auf jeden Fall ein bisschen verrückt. Aber sie gefällt mir. Ihre Stimme ist einfach sensationell.
» ... mein Onkel hat sich dann vorgebeugt und dem Silberbräutigam etwas ins Ohr geflüstert. Meine Mutter, die Silberbraut, hat es angeblich verstanden und er soll angeblich gesagt haben...«
Hmmm... Wieso kann ich mir denn nicht einfach ein paar sinnvolle Gedanken machen? Einfach die Zeit ihrer Geschichte nutzen und mir ein paar schlaue Gedanken machen, wie das hier alles weitergehen soll. Aber irgendetwas in ihrer Stimme zwingt mich zum Zuhören. Normalerweise kann ich mein Gehirn doch immer wunderbar auf Stand by-Modus stellen, sobald der Inhalt vom Small Talk sinnfrei wird. Wahrscheinlich ist es das gelegentliche Hamburgische, das mich hier innerlich schmunzeln lässt und zum Zuhören zwingt. Oder hat sie eine Gabe, zu erzählen? Oder eine Stimme, die für meine Ohren gemacht ist? Keine Ahnung. Oh, ich schmunzle nicht nur innerlich über ihre Geschichte, ich grinse auch äußerlich. Vielleicht ist es auch das nicht ganz verschwinden wollende Gefühl auf meinem Unterarm, das mich grinsen lässt. Ob sie das merkt? Sieht sie mich noch oder ist sie völlig im Bann ihrer eigenen Geschichte? Hält sie mich für einen debilen Schmunzler? Denkt sie, ich finde ihre Geschichte lustig? Oder bin ich nur ein ganz normales Ich-halte-mal-seinen-Arm-an-meine-Brust-und-schaue-wie-er-reagiert-Studienobjekt? Labert sie einfach nur und nimmt mich gar nicht wirklich wahr? Aber ich muss ja nicht alles verstehen. Ich unterstütze ihre Geschichte einfach mit einem gelegentlichen “Hmm“, “Echt?“ oder “Ja?“ und warte mal ab. Ich fühle mich wohl. Sie macht das gut. Ich fühle mich wohl und das in der Nähe einer neu kennen gelernten Frau. Wie lange hatte ich das denn schon nicht mehr? Jetzt erstmal nichts versauen. Ruhig bleiben, sie reden lassen. Es läuft doch...
»... und dann, völlig aus dem Nichts, fängt meine andere Tante, also nicht die Frau von dem Onkel, der alles verbockt hat, sondern die andere Schwester meiner Mutter. Also sie fängt an zu weinen. Völlig grundlos. Sie hatte mit der ganzen Sache eigentlich nichts zu tun...«
Aber wie lange hält sie ihren Laber-Modus durch? Bis ich aufgebe? Bis ihr langweilig wird? Soll ich vielleicht doch mal eingreifen? Ach, was soll`s. Nur Small Talk bringt es auf Dauer ja auch nicht. Und auf andere sinnvolle Sachen kann ich mich nebenbei auch nicht konzentrieren.
»... und dann hat meine Mutter gesagt, ‚Manfred das kannst du nicht machen, so kannst du nicht mit ihr umgehen.’«
»Du bist also allein hier. Aber warum?«
»Was?«
»Warum bist du nach Tarifa gekommen?«
»Gefällt dir meine Geschichte nicht?«
»Doch, doch. Aber die hast du mir doch letzte Woche schon erzählt, Schatz.«
»Ach wirklich?«
»Wirklich.«
»Letzte Woche? Bist du dir da sicher?«
»Ganz sicher.«
»Das kommt wohl davon, wenn man alleine reist. Man wird ein bisschen wunderlich. Ich war der festen Meinung, wir hätten uns gerade erst kennen gelernt. Komisch irgendwie. Bist du denn allein hier?«
»Ja, ja. Wie schon gesagt, ich bin allein hier.«
»Aber warum?«
»Warum allein oder warum hier?«
»Beides.«
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